LZ/Auszug aus Ausgabe 59Wenn die Wohnkosten zu hoch sind, kann und sollte die öffentliche Hand einspringen und den Abstand zwischen dem, was zu zahlen und dem, was für viele Haushalte leistbar ist, überbrücken. In den letzten beiden Folgen dieses Einmaleins ging es darum, auf welche Arten dies grundsätzlich geschehen kann: Entweder Nachfrage- bzw. „Subjekt“-seitig, also durch Beiträge an die Mietzahlungen einzelner Haushalte oder angebots- bzw. „Objekt“-seitig, also durch Übernahme eines Teils der Kosten für den Wohnungsbau.
Beide Methoden sind, wie sich zeigte, mangelhaft: Die Subjekthilfe in prinzipieller Hinsicht, da sie in jedem Fall letztlich die Renditen von Vermietern finanziert und keinen Einfluss auf das Wohnungsangebot nehmen kann. Und die Objekthilfe durch die Art und Weise wie sie in der Bundesrepublik nach wie vor ausgestaltet ist: Als Kreditvergünstigung oder Zahlung an jeden – auch privaten – Akteur, der bereit ist, Wohnungen zu den mit der Förderung verbundenen Bedingungen zu errichten, wodurch kein öffentliches Eigentum, sondern nur eine zeitlich beschränkte „Sozialbindung“ zustande kommt.
Ist die Förderung „ausgelaufen“, verwandelt sich eine geförderte Wohnung in eine „normale“ Mietwohnung, mit der der Eigentümer verfahren kann, als ob er nie öffentliche Gelder zu ihrer Errichtung erhalten hätte.
Sinnvoller wäre es, Objektförderungen nur im Austausch gegen dauerhafte soziale Bindungen zu gewähren. Dies wäre möglich, wenn sie nur jenen Akteuren zukäme, die per se nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet sind und folglich auch nach dem rechnerischen „Auslaufen“ der Subvention sozialverträglich wirtschaften. Obschon stets auch Private förderfähig waren, bestand bis 1990 in der Bundesrepublik ein solcher gesetzlich definierter gemeinnütziger Wohnungssektor, der insbesondere Genossenschaften und kommunale sowie landeseigene Gesellschaften umfasste.
Der Niedergang der „Neuen Heimat“
Das dominierende gemeinnützige Unternehmen war jedoch die gewerkschaftseigene „Neue Heimat“ (NH). Sie war in der Zeit des Wiederaufbaus, in der vor allem ein großmaßstäbliches Vorgehen gefragt war, zu einem Riesenkonzern geworden, der sich in einer Art unternehmensbürokratischen Eigenlogik zunehmend vom ursprünglichen Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu errichten und zu verwalten, entfernte.
In den Achtzigerjahren wurde nicht nur bekannt, dass sich Mitglieder der NH-Führungsebene verschiedentlich aus Unternehmensaktivitäten bereichert hatten, sondern auch, dass der Riese wirtschaftlich auf tönernen Füßen stand. Die NH musste abgewickelt werden und die Kohl-Regierung nutzte diesen immensen Reputationsschaden für den gemeinnützigen Wohnungsbau als Argument, den Status der Wohnungsgemeinnützigkeit (mit dem vor allem diverse Steuervergünstigungen verbunden waren) insgesamt abzuschaffen.
Vielen Aspekten der paternalistischen, gemeinnützigen Wohnungswirtschaft der alten Bundesrepublik muss man auch aus Mietersicht keine Tränen nachweinen. Doch die Idee einer Wohnungsgemeinnützigkeit – deren Wiedereinführung zumindest Grüne und Linke mittlerweile fordern – kann nach wie vor als Schlüssel zu einer sinnvollen Wohnungsbauförderung betrachtet werden.
Ein Blick nach Wien und Zürich
Anschauliche Praxisbeispiele bieten die jeweils größten Städte der deutschsprachigen Nachbarländer der Bundesrepublik, Wien und Zürich. Der Wiener Gemeindebau stellt ein weltweit beachtetes Beispiel einer funktionierenden öffentlichen Wohnungsversorgung dar. Seit der „munizipalsozialistischen“ Epoche des „Roten Wien“ in der Zwischenkriegszeit baut die Stadt dort (mal mehr, mal weniger) auf eigenem Boden, in eigener Verantwortung und mit eigenen Mitteln, also (anteilig) steuerfinanziert.
Auch in Zürich gab es von den Zwanzigerjahren an eine normsetzende „rote“ Epoche. Dort setzte und setzt man vornehmlich auf Genossenschaften, die bevorzugt städtische Grundstücke im Erbbaurecht erhalten. Dabei orientiert sich der Erbbaurechtszins (also die zu entrichtende „Pacht“) nicht an der spekulativen Preisbildung des privaten Grundstücksmarktes, sondern wird anhand der Baukosten – den real getätigten Investitionen – bemessen.
Zählt man öffentliches, genossenschaftliches und anderweitig gemeinnütziges Eigentum zusammen, so kommt der nichtprofitorientierte Sektor in Zürich auf einen Anteil von ca. 25 % des gesamten Wohnungsbestandes, in Wien sogar auf ca. 45 %. Dabei gehören die beiden Städte zu den prosperierendsten (und teuersten) Europas und belegen in einem weltweiten Lebensqualitäts-Ranking, das sich vor allem an die globale Managerkaste richtet, regelmäßig die Plätze 1 und 2.
Außerhalb des gemeinnützigen Segments trifft man hier folglich durchaus auch Miet- und Kauf-Quadratmeterpreise jenseits von gut und böse an. Neoliberale Warnungen vor „wirtschaftszersetzenden“ Wirkungen einer interventionsfreudigen Wohnungspolitik kann man also getrost als interessengeleitete Propaganda verbuchen.
In beiden Fällen sind vor allem die Langzeiteffekte beeindruckend. Die 382 Wohnanlagen der Zwischenkriegszeit, die den historischen Kern des Wiener Gemeindebaus bilden, sind alle nach wie vor im Besitz der Stadt. Und in Zürich wurden in den letzten Jahren die Erbbaurechte etlicher Genossenschaftssiedlungen nach einer ersten Laufzeit von 60 Jahren erneuert. Unter solchen Bedingungen sind Grundstücke weitgehend entschuldet, die Unabhängigkeit von Kapitalkosten nimmt zu. Das bedeutet; namhafte Baukosten fallen in langen zeitlichen Abständen wieder an, wenn – wo dem nicht beispielsweise der Denkmalschutz entgegensteht – eine Siedlung komplett abgerissen und neu gebaut wird. Dies kann sinnvoll sein, um durch Verdichtung mehr Wohnraum zu gewinnen.
So kommt – anders als im deutschen System – eine gewisse Dekommodifizierung (also „Marktferne“) von Wohnraum zustande, die ein nachhaltiges Wirtschaften mit niedrigen Mieten ermöglicht, ohne sich dies immer wieder mit neuen Subventionen erkaufen zu müssen. Auf die gewaltigen Vorteile einer solchen Dauerbindung zielen denn auch im Kern die Vorschläge für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland ab.
Die Chancen in Leipzig
Für eine neue Ära der Gemeinnützigkeit wäre gerade Leipzig keineswegs schlecht positioniert. Die Anteile von Wohnungen in öffentlichem (LWB: ca. 10 %) und genossenschaftlichem (ca. 15 %) Eigentum sind mit denen Zürichs vergleichbar und ein Großteil dieser Bestände wird bereits heute zu moderaten Mieten nachhaltig bewirtschaftet. Doch dies offensiv als Gegenmodell zum kapitalistischen Mietenwahnsinn zu vertreten, wie es in Wien und Zürich getan wird – das kommt den Leipziger Genossenschaftsvorständen nicht in den Sinn.
Lieber paktieren sie in Sachen Lobbying aufgrund vermeintlich gemeinsamer Interessen mit der privaten Immobilienwirtschaft. Und in der Leipziger Stadtverwaltung – obschon theoretisch so rot-(rot-)grün steuerbar wie in den beiden genannten Städten – sitzt die Denke vom Kapital als scheuem Reh noch zu tief: Bloß keine (profitorientierten) Investoren verschrecken.
Da ist mittlerweile selbst die Berliner Wohnungspolitik weiter, die historisch gesehen den GAU des deutschen Objektförderungsirrsinns darstellt und damit den First Cities der südlichen Nachbarländer nicht das Wasser reichen kann. Doch – hierfür ist das Gejammer der Immobilienlobby der beste Indikator – die R2G-Mehrheit steuert (unter Ächzen, namentlich der SPD) auf eine Politik um, die zumindest die landeseigenen Gesellschaften als naheliegenderes Instrument einer sozialen Wohnungsversorgung betrachtet als Private (wohingegen die Genossenschaften noch klagen, dass sie außen vor bleiben).
Auch in Leipzig müssen die Verantwortlichen sich entscheiden: Wollen Stadtrat und Stadtverwaltung bei der Entwicklung großer Areale weiterhin auf die zweifelhafte „Partnerschaft“ mit profitorientierten Unternehmen setzen. Marktplayer, von denen einige den Goodwill des Oberbürgermeisters trotz vergangener Fehlleistungen in besonderem Maße zu genießen scheinen. Oder in Zukunft konsequent auf gemeinwohlorientierte Akteure setzen? Und wollen die großen Genossenschaften – die damit neben der LWB in erster Linie angesprochen wären – sich weiterhin in erster Linie als „Bestandshalter“ verstehen und damit die Vorteile ihrer Wirtschaftsweise vor allem ihren bisherigen Mitgliedern zugute kommen lassen?
Oder besinnen sie sich auf ihre Wurzeln als kollektive Selbsthilfeorganisationen von Mieterinnen und Mietern, die aktiv und expansiv eine andere Art der Wohnungsversorgung voranbringen?
Das ist der Punkt, an dem die Leipziger Mieterinnen und Mieter – in stadtpolitischen Bewegungen und bei Wahlen – den Zuständigen keine Ausreden mehr durchgehen lassen dürfen. Denn würden hier die richtigen Weichenstellungen vorgenommen, wäre auch unter den Bedingungen des marktwirtschaftlichen Hier und Heute schon viel gewonnen. Dann bliebe in erster Linie noch die Frage, wie man langfristig an genügend Grundstücke kommt, auf denen die Idee einer gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft in die Tat umgesetzt werden kann. Darauf wird die nächste Folge dieser Reihe zu sprechen kommen.
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