VideoEs ist kein Interview im eigentlichen Sinne, es ist ein Gespräch zweier Menschen, die verschiedenste persönliche Erinnerungen an ein Land, eine Wendezeit und Sichtweisen auf die Folgen eines Wiedervereinigungsprozesses haben. Im Juni 2018 ging es für Michael Freitag nach Dresden, auf der Suche nach Antworten zum Wirken der Treuhand in den Jahren 1991/92, zu einem Besuch bei der heutigen Staatsministerin für Integration und Gleichstellung Petra Köpping (SPD). Es wurde eine Unterhaltung über eine sehr dynamische Zeit, aus der DDR zum Beginn des Jahres 1989 heraus, mitten hinein in die dichten Einschläge der Veränderungen in den 90er Jahren in Sachsen und Ostdeutschland.

Das Gespräch (hier Teil 1) zwischen Staatsministerin Petra Köpping und Michael Freitag  fand am 5. Juni 2018 im Rahmen einer größeren Recherche zur Treuhand im Dresdner Ministerium für Gleichstellung und Integration statt. Video: L-IZ.de

Wenn man an die Umbrüche der Wendezeit denkt, gibt es nach wie vor eine Art der medialen Betrachtung, die offenkundig nicht als alleiniges Erklärungsmuster taugt, neben vielen Erfolgen im Osten Deutschlands, den immer wieder aufbrechenden Frustrationserscheinungen nahezukommen. Erzählt wurde ostdeutsche Geschichte vor allem in der bis heute klar westdeutsch dominierten Presselandschaft als eine der Stasi-Verstrickungen, gefolgt von öffentlich-rechtlichen nOstalgie-Shows im MDR. Hier und da auch die Frage: Was war die DDR eigentlich wert?

Doch was es mit den Menschen machte, denen, die Verluste hinnehmen mussten, ebenso wie mit denen, die einen vollständigen Kulturwechsel in Schule, Arbeit, Justiz, Finanz- und Eigentumsverhältnissen leichter verkrafteten, scheint noch immer zu stark im Dunkel zu liegen. Petra Köpping hat in den letzten Jahren in vielen Gesprächen Geschichten gesammelt und diese im September 2018 in der Streitschrift “Integriert doch erst mal uns!” veröffentlicht.

Auch im persönlichen Gespräch im Juni dieses Jahres tauchen bei ihr Menschen auf, die ihre Zeit nach 1990 erfolgreich gestalten konnten und dennoch bis heute gravierende Verlustängste mit sich herumtragen. Gefolgt von Menschen, wie in Groß-Dubrau, die noch immer auf Antworten zu einem offenbar sinnlos zerstörten Betrieb warten und Eisenbahner, denen bis heute zustehende Renten verweigert werden.

Sie alle waren und sind Zeugen eines einmalig schnellen und radikalen Transformationsprozesses einer ganzen Volkswirtschaft mit 17 Millionen Einwohnern und so mancher merkte auch schnell, dass er nicht dafür gebraucht wurde. Massenarbeitlosigkeiten über Nacht, die zu prägenden Erfahrungen wurden, pflastern die Nachwendezeit ebenso, wie der Weggang “in den Westen” und mutige Versuche, sich vor Ort noch einmal ganz neu zu erfinden.

Nicht grundlos beginnt also das Vorwärtstasten in die Vergangenheit mit Petra Köppings Weg selbst, ihren Erlebnissen als Bürgermeisterin vor und nach 1989, bis die ersten Wirkungen der Treuhand auch in ihrem Leben auftauchen. Mit dabei in Teil 1, ihre Gründe zum Austritt aus der SED vier Monate vor den großen Demonstrationen in Leipzig, die nach 1990 deutlich unterschätzte Frage der Grund- und Bodenbesitzverhältnisse für Landwirtschaftliche Betriebe und erste Einordnungen zu den Gründen des Auftauchens von PEGIDA in Dresden.

Und natürlich erste Überlegungen, was heute noch im Bereich der Nachwendezeiterfahrungen dabei helfen könnte, das Grummeln unter sächsischen Bürgern besser einzuordnen und zu befrieden. Gegebenenfalls die richtigen Wege zu finden, auch gesamtdeutsch besser zu verstehen, was da geschah und geschieht im Freistaat Sachsen. Und was die für jedermann einsehbare Offenlegung der Treuhandakten mit Glorifizierungen oder Verdammung gesamtdeutsch und in Hinblick auf die AfD bringen könnte.

In Teil 2 geht es dann um die Frage, was ein Volkseigener Betrieb für die Menschen war, wohin sich Ostdeutsche wenden können, wenn sie ihren Kindern die verschwundene Vergangenheit zeigen möchten und wie lang die biografischen Linien bis heute reichen. Und wie mit den Treuhandakten umzugehen sein sollte, die einen wichtigen Zeitraum deutsch-deutscher Geschichte beinhalten.

Und auf einmal findet man sich in einer Debatte um Heimat und Identität ebenso wieder, wie die Gefühle der nachgeborenen Generation im Osten und der Frage, wie ungleich der wirtschaftliche Wettbewerb Ost-West noch bis heute ist. Und die Rentenfrage, der “Jammer-Ossi” und die Siegerkulturfrage tauchen wieder auf und Überlegungen, warum sich gegenseitige Fehlsichten bis heute so hartnäckig halten.

Videointerview (Teil 2): „Ich jammere nicht, ich höre den Leuten zu“ – Staatsministerin Petra Köpping (SPD) im Gespräch

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