Was immer etwas seltsam ist, sind vor allem junge Journalisten-Kollegen von solchen Formaten wie โBuzz-Feedโ oder anderen โHier-ist-es-geilโ-Formaten, die sich mitten in eine Neonazi-Demo oder in einen Polizeieinsatz hineinstellen und dann selbst zum Gegenstand der Berichterstattung werden: Ich hab was abbekommen vom rechten Fuรball-Hooligan. Bilder, die Eindruck machen, aber eben auch inmitten einer jagenden Orka-Herde gelingen dรผrften. Gegen 19:30 Uhr entwickelt sich am 1. September etwas, was man als ein Durcheinander mit Rรคumpanzer und Wasserwerfer bezeichnen kรถnnte. Die Lage wird jedenfalls schnell unรผbersichtlich.
Doch zuerst zu den jungen โich-knipps-film-Dir-ins-Gesichtsโ-Kollegen. Es hat hier und da etwas passiv-aggressives, wenn man sich mit einer Kamera praktisch direkt vor einer heranstรผrmenden Gruppe von nicht zwingend auf Gesprรคchsbasis agierenden AfD/Pegida/Pro Chemnitz-Schlรคgern aufbaut oder mรถglichst, trotz fettem Objektiv, mitten in eine Polizeimaรnahme rennt. Nennen wir es mal schlicht unรผberlegt, was sich da bei einigen binnen von Minuten am Karl-Marx-Denkmal entwickelt. Aber die Presseagenturen zahlen halt nur fรผr schnelle, mรถglichst heftige Bilder โ so manche Zeitung will lieber Emotionen, statt Fakten.
Und so kommt es zu Situationen, bei denen angetrunkenen Chemnitzer FC-Hools und organisiert auftretenden Schlรคgern im Gewimmel aus Hass und Gewalt auf Zahnbรผrstenlรคnge mitten ins Gesicht gefilmt wird. Ganz so, als sei er Lady Diana oder Angela Merkel nach dem Ende einer Pressekonferenz.
Schwierig festzustellen, wie viele Fotojournalisten und Kameraleute hier und jetzt bei der Jagd nach Bildern ab und zu ein gewisses Restmaร an Selbstschutz vergessen. Oder den letzten Abstand in hochdynamischen Szenen verlieren, wenn die Polizei im Falle eines Angriffs hier, auf diesem engen Raum, im Zweifel noch rechtzeitig helfen soll. Denn die hat in diesen Minuten, als Wasserwerfer und Rรคumpanzer auffahren, auch gut mit sich und den erneut nach vorn stรผrmenden aggressionsgeladenen Mรคnnern der auslรคnderfeindlichen Demonstration zu tun. Wie ein Video spรคter im Netz zeigt: mancher hier wird auch nicht davor zurรผckschrecken, einzelne Polizeibeamte gezielt anzugreifen.
Sex und Hass sells, seit Anbeginn der Medien, doch besser ist wohl bei den ersten Vorwรคrtsbewegungen dieser brรผllenden Masse erst einmal etwas โLand gewinnenโ. Denn wie gewalttรคtig einige im Umfeld der Chemnitzer Konflikte sind, kommt spรคtestens nochmals klar heraus, als ein รถffentlich-rechtliches Fernsehteam unweit des Aufmarsches in einem Haus die Treppe hinuntergeprรผgelt wird. Man wollte von oben filmen, der Mieter scheint ihnen eine Falle gestellt zu haben, als er sie einlieร.
Abstand gewinnen
Die Szenen, welche sich derweil auf der Straรe abspielen, werden kurz darauf natรผrlich auch weidlich im Netz ausgeschlachtet werden: Das Gemisch aus Rentnern mit weiรen Rosen in der Hand, Neonazis und AfD-Leuten darf nicht mehr durch Chemnitz marschieren, die eigentliche Demonstration ist beendet, nun gehtโs eigentlich nach Hause. Die einen wollen nicht, die nรคchsten schlieรen sich an und sehr schnell hockt sich der erste auf die Schaufel eines Rรคumpanzers. Erste Flaschen fliegen, es kommt Bewegung in die Masse, die Sachsenfahne weht wie zum letzten Gefecht. Manch einer wรคhnt sich hier tatsรคchlich in einer Art Selbstermรคchtigung im Kampf gegen eine Diktatur. Momente, in denen man fรถrmlich darauf wartet, dass sich noch jemand vor den Wasserwerfer wirft.
โWas filmst Du denn hier?โ. Der unschwer als aktiver Sportfan zu erkennende Mann mit klarem Chemnitzer Idiom ist flott von hinten herangelaufen in diesem selbst bei Abstand entstehenden Durcheinander und nun steht man sich gegenรผber. โGuten Abend, L-IZ, na die Demo natรผrlich.โ Ruhig bleiben, gerade in die Augen schauen, einfach den Presseausweis herzeigen macht auch mal Spaร, gerade wenn jemand glaubt, hier die Ordnungsmacht zu sein. Und funktioniert dieses Mal. Nachweise und Legitimationen mag der Deutsche ja, alles amtlich also hier.
โUnd, was wirste schreiben?โ Nun ja โฆ Dass es bis zu dieser Begegnung noch (zumindest nonverbal) halbwegs friedlich war. Der kleine Einschรผchterungsversuch verpufft, kurz darauf wird einer seiner Mitdemonstranten im gebรผckten Gang von der Polizei vorbeigefรผhrt.
Da ist der Sportler schon in die wabernde Masse abgetaucht und wahrscheinlich schreit er nun den allzeit benutzbaren Ruf mit, dass er das Volk ist.
Als spรคter, nach einigen weiteren Straftaten und Gerenne am โNischelโ, kleinere Gruppen einzeln von der Polizei an die Gedenkstรคtte fรผr Daniel H. und dann nach Hause gelassen werden, entspannt sich die Szenerie ganz langsam. Zeit, die Biege zu machen, es ist so weit alles โim Kastenโ. Parallel finden sich etwa 300 Personen am โRoten Turmโ aus dem autonomen Lager in einem Polizeikessel wieder und bei jedem werden einzeln die Personalien festgestellt. Kurz darauf wird die Frage laut, wieso das eigentlich bei Autonomen geht, nicht aber bei den Herrschaften, die zum Beispiel ne Runde Flaschen auf Wasserwerfer warfen oder eine Runde auf dem Rรคumpanzer mitfahren wollten.
Aber die Polizei wird dazu ja sicherlich noch ermitteln, Kameras hatte sie jedenfalls รผberall dabei.
Zu diesem Zeitpunkt ist der Groรteil des Gegenprotestes aus Leipzig bereits abmarschbereit, der Tag neigt sich dem Ende, vor 23 Uhr ist heute eh keiner wieder zu Hause โ der erste von gesamt drei vollen Zรผgen soll bald abfahren. Und weil sich Chemnitz, angesichts des hohen Gewaltpotenzials aufseiten der AfD/Pegida und โPro Chemnitzโ-Anhรคnger jรผngeren Semesters, eben doch nicht sicher anfรผhlt an diesem 1. September 2018, kommt die ganze Abreiserei dann doch nicht ohne ein gewisses mulmiges Gefรผhl aus.
Wenn eingefleischte Neonazis zeigen wollen, wie so eine national befreite Zone und Hass auf Gegendemonstranten aussieht, bilden sie gern Gruppen und durchstreifen die Stadt. Genau diese รberlegung haben nun viele im Kopf, als es fรผr die rund 1.500 Leipziger wieder Richtung Chemnitzer Hauptbahnhof geht. Fast gewohnt, aber doch mal erwรคhnenswert, dass man sich hier als โLรผgenpresseโ-Journalist dann letztlich eben aufgehobener fรผhlt, als noch eben Aug in Aug mit dem Geschrei und Gewรผhle am Karl-Marx-Denkmal. Im Zweifel bekรคme man da wohl deutlich eher ein Problem mit Leib und Leben, als hier inmitten des Gegenprotestes auf dem Weg zum Bahnhof.
Geithain bleibt stabil
Man bleibt bewusst zusammen, der Gang ist schnell, an jeder Seitenstraรe kรถnnte doch noch etwas geschehen. Eine Dreiergruppe mit Deutschlandfahne wird im Vorรผbergehen mit โScheiร-Nazisโ bedacht. Immer wieder machen Gerรผchte die Runde, doch bis zum Bahnhof bleibt alles verhรคltnismรครig ruhig bis auf einen zu stark unter Adrenalin stehenden vermummten Autonomen. Der auch auf Nachfrage der offenkundig mit ihm bekannten Umstehenden die Gesichtsbedeckung lieber beibehalten mรถchte. Man einigt sich friedlich, wenn auch unter etwas Anschreien darauf, dass man sich nun gegenseitig in Ruhe lassen wird.
Kurz darauf gibt es von einigen Leipzigern auch ein erleichtertes Dankeschรถn an die zahlreichen Polizeibeamten, die hier bereits warten, um die Abreise zu sichern, als ein Securitymann des Bahnhofs am Eingang Polizeibeamte anschreit, er sei selbst โPolizeiโ. Ganz sicher nicht, denn die nehmen ihn jetzt mal kurz in die Mangel, Hundegebell und Schwitzkasten. Schnell wird klar โ er und sein Kollege haben wohl etwas gegen die Besucher aus Leipzig, drinnen soll es eine kurze kรถrperliche Auseinandersetzung mit den Heimreisenden gegeben haben, die bereits im Bahnhof angekommen waren.
Apropos Bahnhof. Hier wieder das gleiche Bild, wie bei der Anreise. Nur einmal in der Stunde wird ab jetzt ein rammelvoller Zug mit locker 500 Menschen vollbesetzt abfahren, eine bessere Lรถsung hat die Bahn auch dieses Mal nicht. Das Problem: Die Angst vor rechtsextremen รbergriffen wird mit der kleiner werdenden Gruppe der jeweils Zurรผckbleibenden und voranschreitender Dunkelheit nicht geringer. Man verfรคhrt also nach dem โKapitรคns-Prinzipโ, Starke bleiben erst einmal zurรผck, Kinder, Frauen und Mรผde zuerst. Und der Journalist, der feige Hund, weil er noch am Abend den ersten Demo-Nachbericht schreiben muss โ was er auch tut.
Im Zug dann ein einstรผndiges Rรผckfahrt-Spiel, welches den Abend beschlieรt und noch von der letzten Restangst der Heimfahrenden im Abteil angesichts frรผherer Vorkommnisse in Regionalzรผgen nach oder vor Demonstrationen zeugt. Wie viele eindeutig als Neonazis zu erkennende Mรคnner stehen an den Haltestationen bis Leipzig, die Fenster bleiben bei der Einfahrt anfangs zu. Burgstรคdt โ uff. Narsdorf, kein Vorfall. Geithain? Bleibt stabil. Hier steht gar kein Mensch am Bahnsteig. Die Stimmung steigt, spรคter wird auf Betrunkene gewettet, dann nur noch auf Mรคnner. Die Schlusswette in Leipzig geht verloren, kein rechtes Empfangskomitee, dafรผr die Bundespolizei mit groรem Aufgebot.
Ein einzelner Mann sitzt reichlich verdruckst im Abteil und kann wenig mit den jungen Menschen hier anfangen. Es ist nicht nรถtig zu fragen, er fรผhlt sich denkbar unwohl inmitten von Menschen, die ganz offen etwas dagegen haben, dass der Tod eines 35-jรคhrigen Chemnitzers seit Tagen schamlos fรผr politische Zwecke missbraucht wird. Aufgeschreckt von Menschen, die ihm ein uraltes Mรคrchen erzรคhlen wollen: Dass alles gut wird, wenn nur keine Menschen mehr aus anderen Lรคndern nach Sachsen kommen.
Geschrieben fรผr die, welche sich im privaten Umfeld, im Netz oder eben auf Demonstrationen schon immer gegen Rassenhass, gezielte Hetze und die pure Benutzbarkeit von โHumankapitalโ auflehnen. Auch dann, wenn die Kameras ausbleiben und kein (noch so symboltrรคchtiges) kostenloses Konzert winkt. All die, welche ungeachtet der unterschiedlichen Kritik, einem schrecklichen Verbrechen (wie schon so viele zuvor von so vielen verschiedenen Tรคter-innen) und den zu fรผhrenden Debatten einen Konsens teilen: Es gibt keine Zukunft ohne Solidaritรคt und Empathie fรผr alle Opfer falscher Politik. Dafรผr gebรผhrt diesen Menschen Dank.
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