Das Leipziger โ€žPlatznehmenโ€œ-Netzwerk hat da noch einen Nachtrag zu den Ereignissen am Montag, 27. August, zu ihren Erlebnissen in Chemnitz. In diesem schildert das Netzwerk in einem heute versandten Bericht vor allem eine Abreisesituation nach dem Ende des Demonstrationsgeschehens, was es in sich hat. Offenbar wurde mehr als einmal versucht, die Reisegruppe zu attackieren, von chaotischen Zustรคnden, unterbesetzter Polizei und รœberforderungen ist die Rede.

Es wird ja viel debattiert dieser Tage angesichts der verbreiteten Bilder seit Montag aus einem Chemnitzer Demonstrationsgeschehen, welches vor allem von zu wenig Polizeibeamten und 6.000 Versammelten zeugt, an deren Spitze klar erkennbar Neonazis und Hooligangruppierungen aus mehreren Bundeslรคndern die Wortfรผhrerschaft รผbernahmen. Auf von der rechtsradikalen Facebookgruppe โ€žBรผrgerinitiative Heidenauโ€œ auf Facebook selbst gefilmten und รผbertragenen Videos ist der Sprรผchekanon an der Zugspitze dabei klar.

Von โ€žDeutschland den Deutschen, Auslรคnder rausโ€œ รผber โ€žhier marschiert der nationale Widerstandโ€œ bis โ€žfrei sozial und nationalโ€œ (und โ€ždeutschโ€œ โ€ฆ) oder โ€žLรผgenpresse, auf die Fresseโ€œ, โ€žWiderstand, Widerstandโ€œ reichen die Skandierungen. Irgendwer fragt wรคhrend des Marsches nach dem Gauleiter und โ€žWer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassenโ€œ drรถhnte es in der Montagnacht durch Chemnitzer StraรŸen.

Wer da noch mitlief wusste, was gemeint war, auch, wenn โ€žChemnitzโ€œ, gefolgt von rhythmischem Klatschen, erschallte, dass sich hier ebenso Anhรคnger des Chemnitzer FC an der Zugspitze neben NPD- und โ€žIII.-Wegโ€œ-Kadern, Pegida- und AfD-Fans eingefunden hatten. Zwischendurch findet es die filmende Frau hรถrbar โ€žgeilโ€œ, was spรคter in mancher Zeitung als Pogromstimmung und den Versuch der รœbernahme der StraรŸenhoheit durch ein Versagen der Sicherheitsbehรถrden beschrieben wird.

Ebenfalls aus Leipzig mit rund 300 Mitreisenden dabei: das Netzwerk โ€žLeipzig nimmt Platzโ€œ, bekannt seit Jahren mit Gegenprotesten bei Leipziger NPD-Aufmรคrschen, Legida-Kundgebungen und anderen rechtsradikalen Demonstrationen. Als breites Bรผndnis aus Vertretern der Kirchen, Politik und Parteien sowie Jugendorganisationen hat es sich den Ruf der Friedlichkeit im Protest gegen rechtsextreme Umtriebe erarbeitet.

Seither geht es praktisch Schlag auf Schlag

Nach einigen Tagen des Sammelns der Eindrรผcke folgte nun heute eine Einschรคtzung des Bรผndnisses, welches noch am 25. August das โ€žBrรผckenfestโ€œ gestaltete, zu den Zustรคnden, welche man in Chemnitz erlebte. Diese haben nun auch den Sรคchsischen Flรผchtlingsrat bewogen, ein fรผr Samstag geplantes Festival namens โ€žSommerTraum Open-Airโ€œ abzusagen โ€“ man kรถnne die Sicherheit der Besucher in der derzeitigen Situation in Chemnitz nicht gewรคhrleisten.

Eindrรผcke eines Youtube-Users vom Montag in Chemnitz am frรผhen Abend. Quelle: Youtube Xandi Azizan

Seit heute wird dennoch erneut zum Gegenprotest mobilisiert, am Samstag nach Chemnitz zu fahren und sich ab 15 Uhr an der Johanneskirche einzufinden. Dann mรถchte Bjรถrn Hรถcke (AfD) gemeinsam mit Pegida eines Tรถtungs-Verbrechens an dem 35-jรคhrigen Daniel H. gedenken, dessen Tod auch auf rechtsextremer Seite wohl nur so interessant ist, weil derzeit ein irakischer Tรคter, welcher bereits vorbestraft war, in Untersuchungshaft sitzt und ein syrischer Mitverdรคchtiger ebenfalls verhaftet wurde.

Lรคngst sind der Tod selbst und die Ermittlungen der Polizei von illegal verรถffentlichten Haftbefehlen, Vorverurteilungen und Hetzorgien im Netz und dem Versuch, eine bรผrgerkriegsรคhnliche Stimmung in Chemnitz zu inszenieren, รผberschattet.

Und natรผrlich kรถnnte sich die Situation nun, nach den Bildern vom Montag und Sonntag, weiter zuspitzen. Mittlerweile gibt es auch vereinzelte erste Aufrufe im Netz, welche sich gezielt an Migranten richten und zur Demonstrationsteilnahme in den kommenden Tagen in Chemnitz aufrufen.

Und bereits am Montag, 3. August, ist nun ab 17 Uhr ein Gratiskonzert anberaumt, bei welchem die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., Kraftklub, Marteria, Casper, Nura und Trettmann in Chemnitz am โ€œMarx-Kopfโ€ oder kรผrzer am โ€œNischelโ€ gegen Rechts auftreten werden.

Wenig Zeit also, das Geschehene nachzubetrachten und die verschiedenen Eindrรผcke vom mittlerweile ausschlaggebenden Versagen des Sรคchsischen Innenministeriums und der Polizeifรผhrung bei der Lageeinschรคtzung am Montag zu hรถren.

Hier also die Schilderungen von โ€žLeipzig nimmt Platzโ€œ im Wortlaut

โ€žAm Montag machten sich, nach den verstรถrenden Nachrichten aus Chemnitz und einer kurzen Mobilisierung, 300 Menschen mit dem Zug aus Leipzig zum Protest nach Chemnitz auf. Schon im Vorfeld der Fahrt hatten wir ein merkwรผrdiges Telefonat mit der Bundespolizeiinspektion Leipzig. Wir versuchten auf die Gefahrenlage hinzuweisen und wurden ein wenig ausgelacht mit dem Hinweis, dass man sich nicht fรผr unsere Sicherheit zustรคndig fรผhle. Beim Einstieg auf dem Bahnhof waren tatsรคchlich Beamt*innen zu sehen, im Zug dann aber nicht.

In Chemnitz ankommend, wurde unsere Anreise zum Versammlungsort begleitet und es wurde auch eine Zeit fรผr die Rรผckreise verabredet. Auf dem Weg sahen wir keine Absperrungen, kaum Polizei โ€“ aus Leipzig kennen wir das anders.

Der Versammlungsort war spรคrlich bis gar nicht geschรผtzt und die anreisenden Rechten liefen quer รผber unser Versammlungsgelรคnde oder ohne Abschirmung vorbei. Man konnte sie รผberall in der Stadt antreffen. Die anreisenden Gewaltbereiten liefen ohne Polizeibegleitung in groรŸen Gruppen herum. Es war eine durchweg unsichere Situation.

Schnell erhรคrtete sich der Verdacht, dass viel zu wenig Polizei im Einsatz war, was wir spรคter auch noch eindrucksvoll sehen konnten. Der Protest war vielfรคltig โ€“ Menschen aus Halle, Dresden, Leipzig und Chemnitz, darunter auch Politiker*innen, waren gekommen, um sich dem Hass entgegenzustellen. Die spรคter entstandenen Bilder gingen รผber alle Kanรคle und sprechen fรผr sich.

Als wir unsere Abreise antreten wollten, hatte die Polizei erst einmal keine Krรคfte zur Begleitung und lieรŸ uns trotz anders lautender Vereinbarung warten. Erst als wir das dritte Mal am Einsatzwagen nachfragten und schlieรŸlich der Innenminister auftauchte, kam Bewegung in die Sache. Wir wollten unseren Zug erreichen, aber wir wussten nicht, was uns gleich noch erwarten sollte.

Nach ein paar Irritationen liefen wir mit zunรคchst nur dem Einsatzleiter los und sollten eine StraรŸe weiter von den begleitenden Einheiten empfangen werden. Wir waren noch nicht einmal an der HauptstraรŸe angekommen, als die ersten Angriffe marodierender rechter Gruppen auf uns starteten. Es war eine hรถchstgefรคhrliche Situation mit viel zu wenigen Beamt*innen. Auf dem ganzen Weg zum Bahnhof wurden wir immer wieder von allen Seiten angegriffen, mussten rennen, zurรผckweichen, warten.

Erst mit der Zeit kamen mehr Einsatzkrรคfte hinzu, um uns zu begleiten. Und es waren trotzdem fรผr die Situation wirklich wenige und sie waren kurzzeitig รผberfordert. Einige rannten auch falsch koordiniert in unsere Gruppe rein, statt zu den angreifenden Rechten. Es wirkte chaotisch. Wir konnten froh sein, dass unser Zug wartete und wir vom Bahnhof sofort losfahren konnten.

โ€šWir waren als Aktionsnetzwerk schon bei etlichen Demonstrationen, aber eine solche gefรคhrliche Lage haben wir noch nicht erlebt. Man kann von Glรผck sprechen, dass es vergleichsweise wenig Verletzte gab und keine Toten. Wir fordern eine Untersuchung der Ereignisse im Landtag. Wie konnte eine solch falsche Gefahrenprognose getroffen werden, wenn es sogar in den sozialen Netzwerken unzรคhlige Hinweise auf das anreisende Gewaltpotential gab? Und wie konnte man diese Situation den Menschen auf der Protestdemo aber auch den normalen Einsatzkrรคften antun? Warum wurde die Versammlung nach HitlergrรผรŸen, Vermummung, Bรถllerwรผrfen und Durchbrรผchen von Teilnehmer*innen nicht aufgelรถst? โ€“ Das alles bedarf umfassender Aufklรคrungโ€˜, so Irena Rudolph-Kokot fรผr das Aktionsnetzwerk โ€šLeipzig nimmt Platzโ€˜.

Wir danken allen Menschen, die mit uns in Chemnitz waren und rufen schon jetzt auf, dabei zu sein, wenn es wieder heiรŸt, sich Rechten jeglicher Couleur entgegenzustellen.โ€œ

Weitere aktuelle Beitrรคge und Melder rings um die Geschehnisse in Chemnitz auf der L-IZ.de

Mal wieder ein Licht entzรผnden in der Nacht: Das war das Brรผckenfest 2018 + Video & Bildergalerie

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