Die Zeile aus Bechers Nationalhymne ist ernst gemeint. Denn dieses Buch zeigt Leipzig, wie es 1945 da lag, nach dem großangezettelten Krieg der Nazis und den Flächenbombardements der Alliierten auf deutsche Städte, bei denen Leipzig Ende 1943 ins Visier geriet. Das Ergebnis waren großflächige Zerstörungen im inneren Stadtgebiet, die Zerstörung zehntausender Wohnungen, einige Tausend Getötete. Und eben eine Stadt, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können.

Eine Stadt in Schutt. Trümmerberge allerorten. Gern Mondlandschaften genannt, obwohl es reines Menschenwerk war. Ergebnis eines sinnlosen Krieges, wilden Größenwahns, einer schneidigen Kriegsmaschinerie, die Berge von toten Helden produzierte. Und welche die Überlebenden vor eine Aufgabe stellte, die es in dieser Form vorher noch nie gegeben hatte: Das alles wieder aufzubauen. Eine Generationenaufgabe.

Noch heute gibt es im Leipziger Stadtgebiet alte Kriegsbrachen, die seither nicht wieder bebaut wurden, teilweise heftig umkämpft, weil den Anwohnern das dort entstandene Grün lieb und teuer geworden ist. Viele Straßen, die heute solche grünen Oasen aufweisen, waren bis zu den Bombennächten der letzten Kriegsjahre dicht gebaut. Oft wurde später in völlig neuen Strukturen neu gebaut, gingen komplette historische Straßen und Gassen verloren, entstanden andernorts jahrzehntelange Provisorien, die erst lange nach der „Wende“ neuer Bebauung wichen.

Mahnende Erinnerung

Noch ist das in der Erinnerung vieler älterer Leipziger präsent. Doch mit jedem Jahrgang, der wegstirbt, geht diese Erinnerung mehr und mehr verloren. Und das ist tragisch, deutet Heinz Peter Brogiato in der Einleitung an, denn die zertrümmerte Stadt war auch eine Mahnung und eine lange Zeit noch sichtbare Erinnerung daran, dass die Deutschen sich in grausamster Weise schuldig gemacht hatten. Und dass der von ihnen ganz allein ausgelöste Krieg zurückgekehrt war und ihre schönsten Städte in Trümmerberge verwandelt hat.

Als langjähriger Leiter der Geographischen Zentralbibliothek und des Archivs für Geographie im Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig kennt Brogiato die dort gesammelten Fotobestände genau. Und ein ganz besonderer Bestand sind die Fotos von Johannes Baufeld, der als Fotograf in Leipzig seit 1933 nachweisbar ist. Rund 250 Fotos sind von ihm im Archiv verzeichnet, die vor allem in den Jahren 1945/1946 entstanden sein müssen, also genau in jener Zeit, als Leipzigs Inneres eine riesige Trümmerwüste war und reihenweise markante Gebäude nur noch als Ruine dastanden.

Wie müssen sich die Menschen in dieser Ruinenwelt gefühlt haben? Immerhin haben sie alle noch das unzerstörte Leipzig der Vorkriegszeit gekannt, haben freilich auch die Bombennächte meist in der Stadt miterlebt, manche auch den Feuersturm, der im Dezember 1943 den Großteil des Grafischen Viertels in Schutt und Asche legte – und damit das Ende der einst berühmten Buchstadt besiegelte.

Trümmerbahnen in der Stadt

Wie fühlten sich die Zehntausende, deren Wohnhäuser nur noch Steinhaufen waren, die ohne Hab und Gut anderswo ein Obdach finden mussten? Wie fühlten sich all diejenigen, die in dieser Stadt alles wieder irgendwie zum Laufen bringen mussten?

Wobei Brogiato betont, dass die Infrastrukturen mit das Erste waren, was die Leipziger wieder instand setzten, während parallel dazu die Gleise der Trümmerbahnen gelegt wurden, die den Schutt über Jahr hinweg aus der Stadt fortschaffen mussten – auf die Bauernwiesen, wo daraus der Fockeberg entstand, und auf die Frankfurter Wiesen, wo daraus die Wälle des Zentralstadions wurden.

Natürlich sieht man auf den Bildern auch diese Trümmerbahnen, die Trümmerberge – etwa auf dem Augustusplatz – ebenso. Manchmal ist Baufeld direkt hinaufgeklettert, um die sich langsam wieder mit Leben füllende Stadt von oben zu fotografieren. Sein besonderes Verdienst: Er hat die markanten Straßenzüge gerade in der Innenstadt und in den Vorstädten fotografiert – ganz offensichtlich, um für alle Zeiten festzuhalten, wie schwer verwundet die Stadt in diesen Jahren war.

All das aber ist mittlerweile rund 80 Jahre her. Mit Blick auf ganz ähnliche Verwüstungen durch wilde Kriege aktuell in der Ukraine und im Gaza-Streifen bot es sich sichtlich an, mit einem solchen Bildband daran zu erinnern, dass so ein Horror auch in Leipzig geschah. Doch allein dabei wollte es Heinz Peter Brogiato nicht belassen.

Mit Martin Toste gewann er einen Fotografen, der alle von Baufeld festgehaltenen Situationen noch einmal aus der gleichen Perspektive im heutigen Zustand festhielt. Sodass man eine direkte Gegenüberstellung der zerstörten Stadt von 1945 und der heutigen Stadt hat, die oft gar nicht mehr verrät, welche Zerstörungen es einst hier gab.

Verschwundene Orte

Oft hat sich die Situation vor Ort sogar so gründlich verändert, dass Brogiato aus dem Archiv auch noch Straßenansichten aus der Zeit vor dem Krieg daneben platzieren musste, damit heutige Betrachter überhaupt eine Vorstellung davon bekommen, was hier tatsächlich an oft genug beeindruckender Architektur zerstört worden war. Und weil natürlich Fotografien allein nicht helfen zu entziffern, was man da nun eigentlich sieht, werden natürlich alle Situationen kurz erläutert.

Samt den oft drastischen Veränderungen, die in der Nachkriegszeit das Gesamtbild neu definierten – man denke nur an das komplette Verschwinden des alten Schauspielhauses, an dessen Stelle der überbreite Tröndlinring entstand, oder das Verschwinden des Gewandhauses im Musikviertel, dessen Wiederaufbau noch lange Jahre möglich schien. Doch stattdessen wurden die Trümmer des Bildermuseums am Augustusplatz beräumt und an seiner Stelle entstand das neue Gewandhaus.

Aber die älteren Leipziger wissen ja, dass das alte Leipzig kaum irgendwo wieder 1:1 hergestellt wurde. Manchmal entstand neben dem in alter Anmutung wieder instand gesetzten Gebäude – wie dem Alten Rathaus – ein mutwillig völlig von allen historischen Grundrissen abweichendes Bauensemble, wollten die neuen Herren der Stadt zeigen, was sie unter sozialistischer Baukunst verstanden. So geschehen ja auch am Rossplatz, wo gleich mal drei Straßen komplett vom Ring abgeschnitten wurden.

Brogiato kann gar nicht anders – er muss auch die kühnen Schläge der neuen Planer kurz skizzieren, die nach dem Krieg manchmal genauso mutwillig an die alte Stadtstruktur herangingen wie ihre Kollegen in westdeutschen Städten.

Und sie konnten sich auch in Leipzig auf den Willen der Einwohner stützen, die ihre Stadt natürlich von den Trümmern bereinigen und alles wieder aufbauen wollten. Einige Bilder von solchen Trümmerbereinigungen hat Baufeld auch aufgenommen. Manche auch an Stellen, an denen man heute keinen Moment an die Schatten des Krieges denken würde.

Und manche neue Lösung ist vielleicht gar nicht anders denkbar gewesen, wirkt heute so selbstverständlich, dass man die ganz alten Fotografien der Vorkriegsstadt nur noch mit Befremden anschauen kann. Mit den Straßenzügen hat sich an vielen Stellen eben auch die Atmosphäre der Stadt geändert.

Stadt im Wandel

Es ist unübersehbar, dass sich Leipzig nach den Zerstörungen des Krieges gravierend verändert hat. Auch gegenüber den Nachkriegsimpressionen, die dem Band extra beigegeben wurden und die vor allem die Maifeierlichkeiten von 1946 zeigen – mit einer Menschenmenge, wie sie der Leipziger Augustusplatz (Karl-Marx-Platz) erst 1989 wieder erlebt hat.

Und endgültig die erstaunliche Geschwindigkeit der Veränderung zeigen ganz zum Schluss Luftbildaufnahmen von Lothar Willmann, die Leipzig in den Jahren 1965 bis 1975 zeigen, als die Trümmer längst beseitigt waren und sich die neuen Baustrukturen der neuen, sozialistischen Stadtplanung gerade im Zentru zeigen. Auch das eine Etappe der Stadtgeschichte, die seither wieder überformt wurde, teilweise auch wieder verschwunden ist.

Eine vielschichtige Zeitreise also, zu der Heinz Peter Brogiato hier einlädt. Auch mit jenen leichten Momenten des Erschreckens, wenn man bei Vergleichen der Fotografien begreift, was da alles in donnernden Bombennächten zerstört wurde. Manchmal reicht auch alle Fantasie nicht mehr aus, um das alte Straßenbild wiedererstehen zu lassen. Aber die Mahnung ist in all diesen Fotografien eingeschrieben: So etwas wollen gewöhnliche Menschen nicht erleben müssen.

Ob Brogiatos Mahnung hilft? Vielleicht hilft das Buch. Denn nur wenn wir uns erinnern, gibt es eine kleine Hoffnung, dass nicht wieder lauter Verführte den Scharfmachern und Kriegsstiftern hinterherlaufen.

Heinz Peter Brogiato„Leipzig. Aus Ruinen auferstanden“ Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2024, 24,80 Euro.

Termintipp: Die Buch- und Bildpräsentation zum Buch „Leipzig. Aus Ruinen auferstanden“ mit Heinz Peter Brogiato und Martin Toste vom Leibniz-Institut für Länderkunde findet am Freitag, dem 22. November, um 18 Uhr im Oberlichtsaal der Stadtbibliothek Leipzig (Wilhelm-Leuschner-Platz 10/11) statt.

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