Umwelt auf einmal ganz hinten? Kein Grund mehr zur Sorge? Es sind nicht nur Stadtratswahlen, die einen ins Grübeln bringen. Auch Bürgerumfragen zeigen oft sehr deutlich, dass die Leipziger die Probleme der Stadt aus völlig verschiedenen Perspektiven und mit völlig anderen Einschätzungen sehen, was denn nun tatsächlich die größten Probleme der Stadt betrifft.
Am Mittwoch, dem 12. Juni, legte die Stadt schon mal die kleine Vorab-Auswertung zur Bürgerumfrage 2023 vor. Die Gesamtauswertung wird es erst im Herbst geben. Aber das Besondere an dieser Vorabauslese ist, dass sie drei typische Leipziger Bevölkerungsgruppen im Vergleich zeigt, die mit völlig verschiedenen Lebensthemen beschäftigt sind. Und das prägt eben auch ihre Problemsichten – und zwar noch viel stärker als in den Vorjahren.
Leipzigs Statistiker sprechen lieber von Herausforderungen statt Problemen. Aber letztlich kommt es auf dasselbe heraus. Denn was man nicht als Problem begreift, wird auch nicht zur Herausforderung und damit zum Handlungsauftrag.
Keine Sorge um die Umwelt?
Deswegen lohnt sich auch der Blick auf den Topos Umwelt, der bei älteren Erwachsenen (65 bis 85 Jahre) und bei Eltern mit Kindern mit 8 bzw. 10 Prozent der Nennungen fast keine Rolle spielt. Was bei den Eltern verblüfft, denn ihre Kinder wachsen in eine Welt hinein, in der Klimaextreme immer stärker das Leben bestimmen werden. Da müsste die Sorge um die Umwelt eigentlich ganz oben in der Problemliste stehen.
Doch eher sorgen sich die jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) um die Umwelt, auch wenn es hier ebenso nur 22 Prozent sind, immerhin 10 Prozent mehr als der Stadtdurchschnitt. Ist das Thema Umwelt tatsächlich „durch“? Oder geht es einfach unter, weil die Menschen mit anderen Probleme jeden Tag viel stärker konfrontiert sind?
Das ist durchaus wahrscheinlich. Schon wenn man allein auf die jungen Erwachsenen schaut, sieht man, dass für sie die Themen Wohnen (66 Prozent) und Verkehr (49 Prozent) deutlich stärker ins Gewicht fallen als im Stadtdurchschnitt, wo beide Themen sowieso schon keine geringe Rolle spielen mit 48 und 43 Prozent der Nennungen. Nur wird es für junge Leute, die oft noch keinen hochbezahlten Arbeitsplatz haben und gerade erst eine Familie gründen wollen, zum echten Problem, wenn im Stadtgebiet keine bezahlbaren und familiengerechten Wohnungen mehr zu finden sind.
Und beim Thema Verkehr kommt hier ganz offensichtlich der größere Anteil junger Leute zum Tragen, die mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs sind und dabei merken, dass die Bedingungen für den Radverkehr an vielen Stellen noch desolat sind.
Vor Jahren stand für junge Leute noch ein Thema wie Arbeitsplätze ganz oben auf der Problemliste. Das ist fast vergessen. Arbeitsplatzprobleme haben die jungen Leute eher nicht. Und Kriminalität und Sicherheit sind mit 23 Prozent der Nennungen auch nicht die Lebensprobleme junger Leute.
Ein Thema des Alters: Sicherheit und Ordnung
Völlig anders als bei den Leipziger Senioren, für die – mittlerweile aus vielen Bürgerumfragen so schon bekannt – Kriminalität und Sicherheit mit 67 Prozent der Nennungen ganz oben auf der Problemliste stehen, gleich gefolgt von Sauberkeit und Ordnung mit 44 Prozent. Verkehr spielt mit 36 Prozent der Nennungen bei den Senioren eine etwas geringere Rolle als im Stadtdurchschnitt (43 Prozent).
Wobei ja bekanntlich Verkehr für jeden Stadtbewohner etwas völlig anderes bedeutet – für emsige Radfahrer etwas anderes als für eingefleischte Autofahrer oder für tägliche ÖPNV-Nutzer. Um das Theme genauer zu beleuchten, müssen wir tatsächlich auf die Endauswertung der Bürgerumfrage 2023 warten.
Aber wie sehr sich der Gruppenblick auf Leipzigs Probleme jedes Mal völlig anders gestaltet, zeigt auch der Blick auf die Herausforderungen, die die Eltern mit Kindern sehen. Und da steht – ganz ähnlich wie bei den jungen Erwachsenen – das Wohnen mit 53 Prozent der Nennungen ganz oben, diesmal aber – logisch – direkt gefolgt vom Thema Kitas und Schulen mit 50 Prozent.
Und da ahnt man, in welcher Zwickmühle die Stadtpolitik steckt: Baut man die Stadt nun familiengerecht um, sodass das Elternsein weniger Probleme bereitet? Oder eher für die jungen Leute, die gerade ins Berufsleben starten? Oder für die Alten, die sich im öffentlichen Raum zunehmend verunsichert fühlen?
Natürlich kann man so nicht separieren, sondern muss alle Bevölkerungsgruppen mitdenken.
Die Sache mit der Zufriedenheit
Man kann natürlich auch – wie es die Bürgerumfrage auch tut – die Fragestellung umdrehen und die Leipziger fragen, wie sie mit den Angeboten der Stadt zufrieden sind.
Die Stadt fasst das kurz so zusammen: „Höchste Werte im Zufriedenheitsranking erhalten nach wie vor die Angebote von Kunst und Kultur (82 Prozent) sowie öffentliche Grünanlagen und Parks (76 Prozent). 68 Prozent der Leipzigerinnen und Leipziger bewerten den Ausbau der Naherholungsgebiete positiv. Wie in den Vorjahren erfahren diese drei kommunalen Lebensbereiche die höchste Bewertung.
Der deutlichste Zufriedenheitsrückgang im Vergleich zum Vorjahr (-5 Prozentpunkte) ist für das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen festzustellen: Die Zufriedenheit sinkt trotz verbesserter Versorgungslage weiter und liegt bei 22 Prozent.“
Was dann einen völlig neuen Aspekt in die Debatte bringt: Die heutigen jungen Eltern haben die extreme Kita-Platz-Knappheit vor zehn Jahren nicht miterlebt. Sie haben mittlerweile das breiteste Kita-Angebot zur Auswahl, das es in Leipzig je gab. Doch dafür treten nun neue Ansprüche hinzu – wie zum Beispiel das genau passende Kita-Angebot, möglichst in Wohnortnähe.
Auch das ein verständlicher Wunsch, denn wenn man Arbeit und Familie unter einen Hut bekommen möchte und gleichzeitig hohe Ansprüche an die Kinderbetreuung hat, wird die Suche nach der richtigen Einrichtung doch oft wieder zu einem Slalomlauf.
Da geht dann fast unter, dass das Angebot an Arbeits- und Ausbildungsplätzen heute ebenfalls viel besser ist als vor 10, 15 oder 20 Jahren. Anders als es die eine oder andere Partei im Wahlkampf suggerierte, ist Leipzig ganz und gar nicht im Niedergang begriffen, sondern alle entscheidenden Parameter haben sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert.
Womit vergleicht man?
Dafür werden einige damals ja kaum wahrgenommene Probleme jetzt sichtbarer, weil man – siehe Stichwort Umwelt – eben doch genauer hinschaut und sieht, was ganz und gar nicht gut ist. So wie die jungen Erwachsenen mit dem Zustand der Leipziger Gewässer deutlich weniger zufrieden sind als der Stadtdurchschnitt – 45 zu 57 Prozent. Während die Senioren mit dem Zustand der Gewässer mit 58 Prozent deutlich zufriedener sind.
Was auch darauf hindeutet, dass die jungen Leute – was den Zustand unserer Umwelt betrifft – deutlich stärker sensibilisiert sind. Auch weil sie den tatsächlich miserablen Zustand der Gewässer zur Zeit der „Wende“ nie kennengelernt haben. Für Ältere hat sich der Gewässerzustand also sichtbar verbessert. Aber wenn man den Vergleich mit der Schaumbrühe von 1989 nicht hat, sieht man eben dennoch, dass der Zustand trotzdem nicht gut ist.
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