Das Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag, 29. April, eine Klage gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung angenommen, die unter anderem von mehreren Fridays for Future Aktivistinnen und Aktivisten eingereicht und vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und Greenpeace unterstützt wurde. Das BVerfG entscheidet, dass das deutsche Klimagesetz teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Und das betrifft eben auch Sachsen, wie Volkmar Winkler feststellt.
Denn die Bundesregierung muss nun nach den deutlichen Worten des Bundesverfassungsgerichts engere Emissionsreduktionsziele ab 2030 vorlegen. „Das Bundesverfassungsgericht bestätigt mit der Klimaklage, was die Naturwissenschaft seit Jahren zeigt: Aufschieben und unzureichende Klimaziele gefährden nicht nur die Natur, sondern unser Recht auf Leben und das Recht auf Zukunft. Das unter dem Protest von 1,4 Mio. Menschen beschlossene Klimapaket ist nicht ausreichend und muss sich jetzt ändern!“, erklärte am Donnerstag Line Niedeggen, Fridays for Future Aktivistin.Und Sachsen? Die sächsische Regierung sollte jetzt über ambitionierte Klimaziele nachdenken.
„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz schreibt auch Sachsen ins Stammbuch: Klimaschutz muss beschleunigt werden. Das bedeutet, die Fortschreibung des sächsischen Energie- und Klimaprogramms (EKP) muss jetzt zügig verabschiedet und umgesetzt werden“, sagte am Donnerstag Volkmar Winkler, Sprecher für Klima- und Umweltschutz der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag.
„Und wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. Sachsen muss sich – wo immer möglich – ambitionierte Ziele setzten und entsprechende Instrumente festschreiben. Das Energie- und Klimaprogramm darf kein starres Instrument sein.“
Das Energie- und Klimaprogramm hätte schon 2019 vorliegen müssen. Doch das blieb dann im Wahlkampfendspurt gründlich auf der Strecke, ganz zu schweigen davon, dass es wohl nicht einmal die nötigsten Weichenstellungen im sächsischen Klimaschutz vorgenommen hätte.
Ab Herbst 2019 war dann Wolfram Günther neuer Umweltminister in Sachsen. Der brachte das Provisorium gar nicht erst ins Verfahren ein, sondern ließ sein Haus ein neues Klimaprogramm erarbeiten. Das war am 13. April Thema im turnusgemäßen Koalitionsausschuss der sächsischen Regierungskoalition von Sächsischer Union, Bündnis 90 / Die Grünen und SPD.
Im Anschluss nach der Runde sagte Norman Volger, der Vorsitzende der sächsischen Grünen: „Wir können feststellen, dass wir beim Energie- und Klimaprogramm sowie beim Thema Mietpreisbremse zumindest verbindliche Verfahren festlegen konnten, um in diesen Bereichen bis Ende Mai Beschlüsse im Kabinett herbeizuführen. Sachsen braucht dringend ambitionierte Ziele bei der CO2-Reduktion und einen deutlichen Zubau Erneuerbarer Energien.“
Schon am 16. März hatte Wolfram Günther angekündigt, dass das neue Klimaprogramm bald öffentlich wird. „Die EU ist derzeit dabei, ihre Instrumente an das erst kürzlich verschärfte Klimaziel 2030 anzupassen. Deutschland wird mit seinen Zielen und Umsetzungsmaßnahmen nachsteuern müssen. Und auch wir im Freistaat Sachsen werden einen substanziellen Beitrag zur Energie- und Klimawende leisten. Das erarbeiten wir gerade mit der Fortschreibung des sächsischen Energie- und Klimaprogramms“, sagte er.
Und es wäre nicht nur beschämend für Sachsen, wenn sein neues Klimaprogramm nicht mal den Zielen der EU entspricht. Es wäre auch wirtschaftlich fatal, denn mit der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts ist endgültig klar, dass ein Verwässern des Klimaschutzes nicht durch das Grundgesetz gedeckt ist. Eine Klimastrategie, die nicht die Rechte der jüngeren Generationen wahrnimmt, wird damit zu einem berechtigten Klagegrund.
„Klimaschutz ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Deshalb braucht es mehr Anstrengungen, um unsere Industrie, die Mobilität und den Energieverbrauch nachhaltig auszurichten. Es geht um Anstrengungen für den Klimaschutz genauso wie um Anstrengungen für Innovationen und die Sicherung des Wirtschaftsstandortes“, sagt deshalb auch Volkmar Winkler.
„Dafür sind vor allem langfristige Investitionen notwendig, für die wir als SPD-Fraktion mit unserem Vorschlag für einen Sachsenfonds 2050 weiter streiten werden – auch wenn wir unsere Koalitionspartner bisher nicht davon überzeugen konnten. Genau darüber lohnt es zu sprechen – statt darauf zu pochen, Kredite schnellstmöglich zurückzuzahlen.“
Eigene Vorstellungen über so einen Zukunftsfonds hatten ja die Grünen eingebracht.
„Die Verhinderung der Klimakrise ist die größte Herausforderung der aktuellen Zeit. Um langfristig Entwicklungschancen für unsere Umwelt, für Mensch und auch die Wirtschaft in Sachsen zu sichern, fordern wir Bündnisgrüne schon lange nach entschiedenen Maßnahmen zur Stärkung unserer Klimaresilienz. Mit der Errichtung des Klima-Fonds gehen wir jetzt große Schritte in die richtige Richtung“, sagte am 23. April Dr. Daniel Gerber, energie- und klimapolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen nach der Sitzung des Ausschusses für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft.
„Der Fonds wird präventive Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels ermöglichen und Projekte anstoßen, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet: Dringliche Schritte in den Bereichen der Landwirtschaft oder zum Umbau unserer Städte gehören ebenso dazu, wie Darlehen für Initiativen zur Ressourceneinsparung in Unternehmen und die Stärkung der Zivilgesellschaft.“
Diesen Antrag hat der Ausschuss mehrheitlich angenommen. Es tut sich also durchaus etwas beim Umsteuern Sachsens, auch wenn der Prozess sich sehr zäh gestaltet und länger dauert, als es die Wähler erwarten.
„Die Koalition hat vereinbart, Klimaschutz als Ziel in die sächsische Verfassung aufzunehmen. Auch das ist eine Aufgabe, die noch erfüllt werden muss“, betonte Winkler am Donnerstag.
„Das Bundesverfassungsgericht hat heute weitsichtig für den mittelfristigen Klimaschutz geurteilt und die Grundrechte generationengerecht ausgelegt. Klimaschutz muss heute sicherstellen, dass zukünftige Generationen noch existentielle und materielle Chancen und Möglichkeiten haben. Dem kann man sich nur anschließen, umsetzen müssen wir es alle miteinander. Und wer ‚Fridays for Future‘ bisher belächelt oder angegriffen hat, der muss nach dem heutigen Urteil umdenken.“
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Es gibt 3 Kommentare
Ich sehe hier etwas falsch dargestellt. “die Bundesregierung muss […] engere Emissionsreduktionsziele ab 2030 vorlegen” beschreibt eigentlich genau das Gegenteil von dem, was das BVerfG beschrieben hat.
Ja, die Bundesregierung muss nun auch klare Zielvorgaben für die Zeiträume nach 2030 vorlegen, aber eine Grundlage, die das BVerfG eben auch klar benannt hat, sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den Berichten des IPCC beschrieben sind und dann zB. im Umweltgutachten des Sachverständigenrat für Umweltfragen eingeflossen ist.
Dazu Stefan Rahmstorf: “Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hat in seinem Umweltgutachten 2020 ein Emissionsbudget für Deutschland abgeleitet. Das #Bundesverfassungsgericht bezieht sich in seinem Urteil explizit darauf.”
Und wenn man da rein schaut oder eben auch einfach mal die die Grafik hernimmt, die Stefan Rahmstorf in seinem Tweet mit eingebunden hat (https://twitter.com/rahmstorf/status/1388038776937750529), muss man zum Ergebnis kommen, dass bei den aktuellen Maßnahmen und Zielen bis 2030 der größte Teil des CO2-Budgets 2030 für 1,5°C (und % Wahrscheinlichkeit ) bereits aufgebraucht ist.
Erst ab den Zeitraum nach 2030 stärkere Ziele zu beschließen, ist genau das, was das BVerfG als nicht verfassungsgemäß beschrieben hat.
Es wäre eine Ungleichbehandlung der jüngeren Generationen, weil mit den aktuellen Zielen vom CO2-Budget ab dem Jahre 2030 halt fast nichts mehr übrig ist, was man irgendwie aufteilen könnte. Um das Ziel des Abkommen von Paris – deutlich unter 2°C und möglichst bei 1,5°C Erderhitzung stoppen – noch zu erreichen, müssten Einschränkungen in der Freiheit – Dinge zu tun oder zu lassen – beschlossen werden, die die jetzige Zeit, in der wir heute leben wie ein Zeitalter der unendlichen Verfügbarkeit aller Ressourcen vorkommen lässt. Das hieße, die jüngeren Generationen müssten im Laufe ihres Lebens sich selbst viel länger und deutlicher einschränken, als es die aktuellen Generationen müssen und mussten. Genau das ist die Ungleichverteilung von Freiheit unter den Generationen, dem das BVerfG einen Riegel vorgeschoben hat und es wäre daher wirklich wichtig, dass wir das auch klar benennen, dass die Bundesregierung und natürlich erst recht das Land Sachsen deshalb im Hier und Heute ordentliche Ziele (und natürlich Maßnahmen) vorlegt und zwar für alle Jahre bis 2050 und diese müssen eben auch auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.
“Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen.” BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, Leitsatz 4, erster Satz
Ich verstehe nicht, wieso es angeblich so viele “Investitionen” in den Klimaschutz braucht. Stopp von ressourcenverschwendenden Baumaßnahmen, Stopp der Automobilproduktion (wir haben genug von den Karren auf den Straßen), Verbot der Massentierhaltung, das kostet doch alles kein Geld?
Liebe Lizzy, bitte verlinke nicht heimlich auf einen Spiegel-Artikel, sondern direkt zu der sehr informativen Pressemitteilung des BVerfG. Allein die Ladezeit auf dem Smartphone…
Dann handelt es sich nicht um eine “Klage”, die vorgestern “angenommen” wurde. Sondern es wurden schon vor Monaten “Verfassungsbeschwerden” erhoben, die bald darauf “zur Entscheidung angenommen” wurden (was schon ein Riesenerfolg ist!) und denen nun mit einem “Beschluss” teilweise stattgegeben worden ist.
Herzlichen Glückwunsch an die Klimaschützer!