Wenn der Sรคchsische Verfassungsschutz in den vergangenen anderthalb Jahren gut aufgepasst hat, dann mรผsste er in seinem nรคchsten Jahresbericht auch eine Karte verรถffentlichen kรถnnen, in der die Strukturen der organisierten Rechten in Sachsen sichtbar werden. Auch eine Dresdner Gruppe wรผrde darin auftauchen, die aufs engste verbandelt ist mit der Freitaler rechten Szene.
Denn die beiden Anschlรคge vom 26. September in Dresden kommen nicht aus heiterem Himmel โ so wenig wie die Anschlรคge in Bautzen oder anders wo in Sachsen. Dahinter agiert ein Netzwerk, von dem das Landesamt fรผr Verfassungsschutz (LfV) โ wenn man seinen Berichten glaubt โ nichts weiร und auch nichts wissen will. Weder der Schock durch das Bekanntwerden des NSU 2011 hat etwas bewirkt noch der sogenannte Umbau im LfV, der im Grunde nur ein Austauschen von Kรถpfen war und ein Vertuschen der Vorgรคnge um den NSU โ samt Aktenschredderei und Hinhalten des Untersuchungsausschusses im Landtag.
Selbst seit schon wieder Asylbewerberunterkรผnfte brannten, suggerierte Sachsens Regierung Schรถnwetter in Sachsen und der Biedenkopf-Spruch von den Sachsen, die keine Nazis wรคren, machte die Runde. Seinen Sachsen. Dabei fielen die Vorfรคlle um die โSkinheads Sรคchsische Schweizโ und die Vorgรคnge in Hoyerswerda in seine Amtszeit als Regierungschef. Da vernebelte man die Probleme lieber und lieร es am Ende zu, dass sich Rechtsextreme in sรคchsischen Kleinstรคdten nicht nur verankern, sondern auch vernetzen konnten. Und voneinander lernten.
Denn der NSU โ das hรคtte man zumindest beim Verfassungsschutz wissen mรผssen โ war ja nicht Vorbild fรผr die Szene, sondern Ergebnis eines aktiv betriebenen Prozesses innerhalb der radikalen Rechten, die das Bilden autonomer Terrorgruppen zum Ziel hatte. Da grรผndete man keine Vereine oder schrieb Mitgliedsdokumente. Vielleicht ist es das, was es den Schlapphรผten so schwer macht, die Bildung solcher Gruppen zu erkennen.
Und jedes Mal ist die รberraschung groร, wenn wieder ein kleines, radikales Grรผppchen loszieht und Anschlรคge verรผbt. Seit 2015 zusehends im Windschatten einer Aufheizung der Flรผchtlingsdebatte in sozialen Netzwerken, wo immer auch rechtsradikale Kader offen โ oder im gutbรผrgerlichen Mรคntelchen โ dafรผr sorgen, dass die Debatten sich verschรคrfen und die besorgten Bรผrger, die sich in diese Debatten verirren, das Gefรผhl kriegen, es ist die Bevรถlkerungsmehrheit, die hier tobt.
Selbst die sรคchsischen Ermittler taten lange so, als wรคren all diese seltsamen Bรผrgerwehren, die da in den kleinen Stรคdten Sachsens aufploppten, tatsรคchlich die Selbstorganisation von braven Handwerkern, Angestellten und Familienvรคtern, die Angst um die Sicherheit ihrer kleinen schnuckeligen Gemeinden hatten.
Das Staunen war groร, als sich die ersten dieser Grรผndungen als rechtsradikaler Stoรtrupp entpuppten, die gar nicht so ungeplante Zusammenkunft von radikalisierten Rechten, die auch vor Anschlรคgen nicht zurรผckschreckten.
Einige dieser Gruppen wurden mittlerweile von der Polizei aufgerollt โ die โOldschool Societyโ zum Beispiel oder die sogenannte โBรผrgerwehr Freitalโ. Augenscheinlich noch nicht mit besonderer Nachforschung, mit wem diese Rechtsradikalen noch so im Kontakt stehen. Mit Gleichgesinnten in Dresden zum Beispiel.
Und wo der Verfassungsschutz schon nicht berichtet und auch die Polizei eher nur punktuell verrรคt, wo sie aktiv geworden ist, da versucht die linke Landtagsabgeordnete Kerstin Kรถditz, die Daten und Fakten zusammenzutragen und bei der Landesregierung die Hintergrรผnde abzufragen.
Dass die beiden mutmaรlich rechtsmotivierten Sprengstoffanschlรคge in Dresden am Montag nicht aus heiterem Himmel kamen, dessen ist sie sich sicher.
โWenn sich der Verdacht der Polizei auf ein fremdenfeindliches Motiv erhรคrtet, ist nunmehr zum dritten Mal in kurzer Zeit โ nach der โOldschool Societyโ und der โGruppe Freitalโ โ eine mutmaรlich rechtsterroristische Gruppierung im Freistaat Sachsen in Erscheinung getretenโ, stellt sie fest. โMehrere Beschuldigte im Freital-Verfahren weisen Bezรผge in die Landeshauptstadt auf. Ich gehe davon aus, dass die Polizei auch in diese Richtung umfassend ermitteln wird.โ
Fรผr einen rechtsmotivierten Hintergrund spreche in diesem Fall auch, dass die Anschlรคge am Jahrestag des Oktoberfest-Attentats stattfanden.
โZudem tagte gestern, unweit des Tatortes am Kongresszentrum, der NSU-Ausschuss des Sรคchsischen Landtages โ womรถglich handelt es sich um eine Drohgebรคrde. Weit gravierender ist, dass bei dem Anschlag auf die Moschee im Stadtteil Cotta Menschenleben offenbar aufs Spiel gesetzt wurden. Das ist der Gipfel einer seit Monaten weithin ungebremsten Radikalisierung von rechts, die sich insbesondere im Raum Dresden beobachten lรคsstโ, so Kรถditz. โUnverstรคndlich erscheint mir, dass die รffentlichkeit erst einen halben Tag nach dem Geschehen offiziell informiert wurde. Ich zรคhle darauf, dass wenigstens die Ermittlungen professionell laufen werden โ und die Staatsregierung endlich ernsthaft gegen rechte Gewalt einschreitet!โ
Denn tatsรคchlich scheinen sich solche kleinen, gewaltbereiten Kampftrupps auch anderswo in Sachsen zu bilden. Vielleicht im Vertrauen darauf, dass die fremdenfeindliche Stimmung noch weiter zunimmt und die Gewalttaten ihrerseits die Stimmung weiter anheizen.
โNazikiezโ und โQuartierkampfโ heiรen einige solcher Gruppierungen, deretwegen sie immer wieder Anfragen beim Innenminister stellt, zuletzt war eine Gruppe โKopfsteinpflasterโ aus Chemnitz Thema. Im Juni hatte sie eine Veranstaltung der Gruppierung โRechtes Plenumโ zum Thema gemacht, mit der die รผberregionale Vernetzung der sรคchsischen Naziszene sichtbar wird. Sachsen scheint fรผr Teile der rechtsradikalen Szene zu einer Art Testfeld geworden zu sein fรผr das Erproben neuer Taktiken bei der Destabilisierung sowieso schon verunsicherter Milieus. Dass es freilich wieder die 100 Jahre alten Rezepte sind, verblรผfft nur auf den ersten Blick. Die staatlichen Reaktionen spielen diesen Puppenspielern im Zwielicht bislang ja immer wieder in die Hรคnde.
Anfrage zur Gruppierung โKopfsteinpflasterโ. Drs. 5902
Anfrage zu Aktivitรคten des โRechten Plenumsโ. Drs.5566
In eigener Sache โ Eine L-IZ.de fรผr alle: Wir suchen โFreikรคuferโ
Leser fragen, wir antworten: Was kostet die Herausgabe der L-IZ.de? Warum 1.500 Abos?
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
โโฆ Ich gehe davon aus, dass die Polizei auch in diese Richtung umfassend ermitteln wird.โ
Wird sie wohl, wenn sie denn darf โฆ
โWenn der Sรคchsische Verfassungsschutz in den vergangenen anderthalb Jahren gut aufgepasst hatโฆโ
Der war gut.^^
Bei uns haben die sieben Jahre lang so gut aufgepasst, dass sich die beobachtete Gruppe am Ende einfach โselbst aufgelรถstโ und die wรคhrend der Zeit โ unter VS-Aufsicht โ besorgten Waffen entsorgt hat. Unauffindbar natรผrlich. Knapp drei Monate vor โunseremโ NSU Mord.
Wahrscheinlich wรคrs besser fรผr alle gewesen, wenn der VS NICHT aufpasst hรคtte. Man kรถnnte fast auf die Idee kommen, dass es ohne weniger Tote gegeben hรคtte. Aber nur fast.