Nicht nur Geheimdienste, auch die Polizei und diverse Innenminister interessieren sich für Software, mit der man irgendwie "Straftaten vorhersagen" kann. So wird es zumindest meist beschrieben, wenn von einer Polizeilichen Vorhersagesoftware ("Predictive Policing") die Rede ist. Noch vor einem Jahr war die Antwort von Finanzminister Prof. Dr. Georg Unland auf eine Nachfrage der Grünen knapp und klar: Haben wir nicht.
Oder mal in voller Länge die Antwort auf insgesamt vier Fragen: „Die sächsische Polizei nutzt keine Softwareanwendungen zur ‚polizeilichen‘ Vorhersage von Straftaten im Sinne der Anfrage und war auch nicht an deren Entwicklung bzw. Erstellung beteiligt.“
Woher kamen dann aber immer die Gerüchte, Sachsen sei an so einer Software interessiert? Dass es sie gibt, war schon mehrfach in großen Medienbeiträgen Thema. Immer wieder versuchen die diversen Herstellerfirmen natürlich, das Produkt anzupreisen wie Sauerbier. Ursprünglich zur Vorhersage von Nachbeben entwickelt, hat das Programm natürlich auch die Möglichkeit, andere Phänomene der physikalischen oder sozialen Welt mathematisch zu erfassen, Muster und Wahrscheinlichkeiten zu erkennen. Um mehr geht es eigentlich nicht.
Und im menschlichen Kriminalleben auch nur dann – darauf geht auch Kai Biermann in seinem „Zeit“-Artikel „Noch hat niemand bewiesen, dass Data Mining der Polizei hilft“ ein – wenn die Täter planmäßig handeln. Was ja bundesweit derzeit eine große Debatte ist, weil ein Großteil der steigenden Zahl von Einbrüchen augenscheinlich auf das Konto von organisierten Banden geht.
Aber Biermann hat sich in NRW, Niedersachsen und Bayern kundig gemacht, wo man solche Programme schon anwendet, und die Skepsis der Polizeibeamten, ob man mit der Software überhaupt Täter auf frischer Tat ertappen kann, ist deutlich. Denn natürlich kann so ein Programm nicht verraten, wo und wann die Täter das nächste Mal zuschlagen werden. Es errechnet aufgrund der eingespeisten Fakten, Daten und Fälle nur, ob es in einer bestimmten Region eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit für den nächsten Einbruch gibt.
Und da die Täter natürlich ihre Gewohnheiten, Erfahrungen und Lieblingszielorte haben, ist die jeweilige Warnung der Software natürlich ernst zu nehmen. Aber da das Programm weder Straße noch Uhrzeit nennen kann, bleibt der Polizei tatsächlich nur, im bezeichneten Ort verstärkt Streife zu fahren und Präsenz zu zeigen. Ob dann doch Täter auf frischer Tat aufgegriffen werden, hänge – wie bisher – vom Zufall ab. Deswegen betonen die leitenden Verantwortlichen, dass die Ergebnisse des Programms eigentlich erst noch wissenschaftlich ausgewertet werden müssen, bevor überhaupt gesagt werden kann, ob es etwas nützt oder nicht.
Sinn macht es bislang nur in der Prävention: Die Polizei ist in gefährdeten Gebieten stärker präsent in der Hoffnung, die Diebesbanden dadurch abzuschrecken.
Denn gerade bei Einbrüchen spielt der Zufall eine große Rolle. Die Aufklärungszahlen sind niedrig. Auch die sächsische Kriminalstatistik zeigt die Schere, die die Debatte um die Einbruchszahlen in den letzten Jahren so angeheizt hat: Von 2.227 Wohnungseinbrüchen im Jahr 2006 stieg diese Zahl auf 4.257. Im selben Zeitraum aber sank die Aufklärungsquote von 35,7 Prozent auf 20,7 Prozent.
Was ganz sicher auch mit anderen Faktoren zu tun hat – der zunehmenden wirtschaftlichen Stabilisierung Sachsens zum Beispiel, was durchaus einige Gutverdiener-Haushalte zu attraktiven Zielen für Einbrecher gemacht hat. Aber auch die massive Ausdünnung der Polizeipräsenz auf der anderen Seite spielt eine Rolle. Da nutzt dann das beste Vorhersage-Programm nichts, wenn man keine Polizisten hat, die Streife fahren können – gerade in den ländlicheren Regionen. Wer sich an die Leipziger Debatte erinnert: Viele Politiker hätten die Polizei am liebsten in den sozialen Brennpunkten im Osten oder in Connewitz massiert gehabt.
Aber das sind nicht die eigentlichen Zielgebiete der Einbrecher, wenn man von den Gelegenheitsdieben und der durch Sucht bedingten Beschaffungskriminalität absieht. Aber gerade bei diesen beiden eher unkoordinierten Einbruchstypen hilft die Vorhersage-Software gar nicht weiter. Das Handeln dieser Art Einbrecher ist nicht berechenbar.
Aber Valentin Lippmann, der innenpolitische Sprecher der Grünen, belässt es nicht gern bei einmaligen Fragen an die Staatsregierung, wenn das Thema die ganze Zeit auch im Dresdner Landtagskosmos herumschwirrt oder – wie am 3. Mai – in der „Bild Dresden“ schon verkündet wird, Sachsen wolle die Software „PreCops“ schon demnächst in Einsatz bringen. Also hat er jetzt noch einmal vier Fragen gestellt. Diesmal hat der Minister geantwortet, der für das Thema wirklich zuständig ist (außer fürs Geld, da muss er natürlich wieder bei Georg Unland anfragen), Innenminister Markus Ulbig.
Und der bestätigt halb und halb, was die „Bild“ gemeldet hatte: „Im Rahmen einer gemeinsamen Kabinettssitzung am 3. Mai 2016 haben die Staatsregierungen der Freistaaten Bayern und Sachsen über verschiedene aktuelle Themen, darunter auch die innere Sicherheit, beraten. Als Ergebnis dieser Sitzung werden sich in Kürze Vertreter des Sächsischen Staatsministeriums des Innern und des Bayrischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr unter Einbeziehung der Landeskriminalämter zu einem ersten Arbeitsgespräch treffen, um über Kooperationsmöglichkeiten bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahls zu sprechen. – Dabei wird auch die Prognosesoftware PRECOBS (Pre Crime Observation System) ein Thema sein. Die bayerische Polizei testet die Prognosesoftware in den Ballungsräumen München, Nürnberg, Erlangen und Fürth. An den dabei gewonnenen Erfahrungen kann die sächsische Polizei partizipieren.“
Gerade in Nürnberg, so hat Kai Biermann herausgefunden, habe „PreCops“ wohl eher gezeigt, wo die Grenzen des Systems liegen. Die Täter weichen aus, wenn sie merken, dass etwas im Busche ist, die Einbrüche passieren weitab der prophezeiten Einbruchzone. Entsprechend groß ist dann das Interesse einiger Verantwortlicher, das System doch wieder mit mehr verfügbaren Daten zu füttern. Biermann spricht auch das Problem einer möglichen Rasterfahndung an, wenn das Pogramm immer mehr mit Daten aufgeladen wird. Und das ist ja bekanntlich ein Thema, bei dem Innenminister erst so richtig hellhörig werden.
Verständlich, dass Lippmann auch so ein Gefühl haben dürfte, wenn er Ulbigs Antwort liest: „Weitergehende Schritte in Richtung Vorhersagesoftware bleiben abzuwarten.“
Auf wen wartet denn der Minister da? Ist er es nicht, der entscheidet, ob „PreCops“ auch in Sachsen zum Einsatz kommt?
Oder will er nur den Abgeordneten erst mal ruhig stellen, bis die Entscheidungen getroffen sind? Von Godot zum Beispiel. Das ist doch der, auf den alle immer warten.
Die erste Antwort auf Valentin Lippmanns Anfrage von 2015. Drs. 1665
Die aktuelle Antwort von Innenminister Markus Ulbig. Drs. 5099
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