Wahrscheinlich gibt es kein anderes Bundesland, in dem polizeilich derart viele Daten รผber die Einwohner gesammelt werden wie in Sachsen. Das fing 2011 mit der riesigen Funkzellen-Datenabfrage an und wird, wie es aussieht, mit der riesigen Fuรballfan-Landstreicher-Linksextremisten-Datei der Gegenwart nicht aufhรถren. Nach der hat sich der innenpolitische Sprecher der Grรผnen-Fraktion, Valentin Lippmann, mal gesondert erkundigt.
Denn im Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen โPASSโ hat die sรคchsische Polizei mittlerweile 1.156 Personen allein unter dem Merkmal โGewalttรคter Sportโ gespeichert. Das sind, stellt Lippmann fest, viel mehr als bislang angenommen. Zudem werden weitere, sogenannte personengebundene Hinweise zu Personen gespeichert, die die dort gespeicherten Betroffenen regelrecht stigmatisieren.
โDie Datensammlung der Polizei zu den personengebundenen Hinweisen ist uferlosโ, stellt der Grรผnen-Abgeordnete nach dieser jรผngsten Anfrage im sรคchsischen Landtag fest. โEin Groรteil dieser, bestimmten Personen zugeordneten Merkmale ist รผberflรผssig, stigmatisierend und mรถglicherweise rechtswidrig. So werden 723 Personen bei der sรคchsischen Polizei mit dem Merkmal โAnsteckungsgefahrโ, 1.529 Personen mit dem Merkmal โpsychische und Verhaltensstรถrungโ und 432 Personen als sogenannte Land- und Stadtstreicher stigmatisiert. Auch der Hinweis โwechselt hรคufig Aufenthaltsortโ, der zu mehr als 2.000 Personen gespeichert ist, kriminalisiert eine Lebensweise oder soll mรถglicherweise verklausulieren, dass es sich um Sinti und Roma handelt.โ
Schon fertig mit den Menschengruppen, die hier erfasst werden? Noch lange nicht.
Valentin Lippmann: โDa die personengebundenen Hinweise primรคr dem Schutz des Betroffenen und der Eigensicherung von Polizeibediensteten dienen sollen, ist der Zweck der Speicherung fรผr die Merkmale โLandstreicherโ und โhรคufig wechselnder Aufenthaltsortโ nicht ersichtlich. Auch die Rechtmรครigkeit der Bezeichnung von 1.454 Personen als โSprayerโ oder von 859 Personen als โUrkundenfรคlscherโ erscheint vor diesem Hintergrund hรถchst zweifelhaft.โ
Die Zahl der Fuรballanhรคnger, die hier namentlich gesammelt werden, weil sie in den Fokus der Polizei gerieten, ist dann nach Lippmanns Einschรคtzung doch erstaunlich hoch und mit anderen Dateien dieser Art nicht mehr vergleichbar.
โDass zudem 1.156 sogenannte โGewalttรคterโ Sport gefรผhrt werden, ist mehr als verwunderlichโ, sagt er deshalb. โZuletzt hatte die Polizei auf mehrere Anfragen von mir mitgeteilt, dass an die Gewalttรคterdatei Sport des Bundeskriminalamtes 313 Personensรคtze aus Sachsen รผbermittelt wurden. In der von mir kritisierten Datensammlung zu angeblich gewaltbereiten Fuรballfans in der Datei โEfasโ war noch von 594 Personen die Rede. Dass PASS nunmehr fast doppelt so viele Personen als angeblich gewaltbereite Fuรballfans bezeichnet, muss Innenminister Markus Ulbig erklรคren.โ
Und dann ist da noch das Lieblingssteckenpferd des sรคchsischen Innenministers: Die Jagd auf Linksextremisten. Und selbst da findet Lippmann erstaunliche Zahlen.
โErklรคrungsbedรผrftig ist auch die groรe Abweichung von an das bundesweite Polizei-Informationssystem (INPOL) รผbermittelten Daten im Vergleich zu im PASS gespeicherten Daten. So wurden im INPOL aus Sachsen nur 341 linksmotivierte Straftรคter, im PASS hingegen 1.765 Personen registriert. Das sind mehr als fรผnfmal so viele.โ
Das Problem: Das Sรคchsische Polizeigesetz gibt der Polizei sehr weitreichende Befugnisse, solche personengebundenen Daten zu speichern. In Paragraph 43, der von Markus Ulbig als Grundlage der Datensammlung genannt wird, heiรt es in Abschnitt 1: โDer Polizeivollzugsdienst kann personenbezogene Daten in Akten oder Dateien speichern, verรคndern und nutzen, soweit dies zur Erfรผllung seiner Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist. Der Polizeivollzugsdienst kann personenbezogene Daten nur fรผr Zwecke speichern, verรคndern und nutzen, fรผr die die Daten erhoben worden sind. Fรผr andere Zwecke kann er personenbezogene Daten nur speichern, verรคndern und nutzen, wenn die Daten fรผr diese Zwecke mit den Mitteln hรคtten erhoben werden dรผrfen, mit denen sie zulรคssigerweise erhoben worden sind.โ
Das ist ein echter Gummiparagraph. Genauso wie Absatz 3, wo steht: โDie Dauer der Speicherung ist auf das erforderliche Maร zu beschrรคnken. Fรผr automatisierte Dateien sind Termine festzulegen, an denen spรคtestens รผberprรผft werden muss, ob die suchfรคhige Speicherung von Daten weiterhin erforderlich ist (Prรผfungstermine). Fรผr nichtautomatisierte Dateien und Akten sind Prรผfungstermine oder Aufbewahrungsfristen festzulegen. Dabei sind der Speicherungszweck sowie Art und Bedeutung des Anlasses der Speicherung zu berรผcksichtigen.โ
Schwer vorstellbar, dass all die Hunderten von Namen dort innerhalb eines Jahres gesammelt wurden. Hier haben Polizeibeamte รผber Jahre Daten zusammengetragen und sich eine Datei irgendwie โpolizeibekannter Personenโ zusammengebaut. Dabei haben sie sichtlich eine ganze Reihe von Grauzonen im sรคchsischen Polizeigesetz genutzt.
Und statt ehrlich Stellung zu nehmen nach den Kriterien, nach denen die Datensรคtze gesammelt werden, redet sich Innenminister Markus Ulbig mit einem obskuren Geheimnisschutz heraus: โDarรผber hinaus kann die Frage nicht beantwortet werden. Einer Beantwortung stehen รผberwiegende Belange des Geheimschutzes entgegen. Mit der Frage werden Auskรผnfte aus Vorgรคngen begehrt, die gemรคร Nummer 8 in Verbindung mit Nummer 3 der Verwaltungsvorschrift der Sรคchsischen Staatsregierung รผber die Behandlung von Verschlusssachen vom 4. Januar 2008 als โVS โ Nur fรผr den Dienstgebrauchโ eingestuft wurden.โ
Wie kรถnnen Kriterien fรผr die Aufstellung so einer Datei unter โVSโ fallen?
Logisch, dass Valentin Lippmann bezweifelt, dass diese Dateien in irgendeiner Weise auf einer rechtlichen Grundlage entstanden sind: โOb diese Daten auf einer rechtlichen Grundlage erhoben worden sind, ist mehr als fraglich. Anders als das BKA-Gesetz kennt das sรคchsische Polizeigesetz personengebundene Hinweise nicht. Ich fordere den Innenminister auf, sรคmtliche gespeicherten Hinweise auf ihre Erforderlichkeit fรผr die Polizeiarbeit zu รผberprรผfen und alle nicht erforderlichen Daten zu lรถschen.โ
In eigener Sache
Jetzt bis 9. Juni (23:59 Uhr) fรผr 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prรคmien, wie zB. T-Shirts von den โHooligans Gegen Satzbauโ, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film โLeipzig von obenโ oder den Krimi โTraumaโ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstรผtzer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher
Oha, der Mufti Ulbig. Und per Ordre de Mufti ist linksextremistisch, wer ihn รถffentlich kritisiert zumindest im Bereich Rechte und Linke Kriminalitรคt, mit einem Renitenzhรคkchen versehen werden vermutlich Teilnehmer einer antirassistischen Demonstration โฆ
Kann er mich gleich mit draufsetzen auf seine Liste, wenn ich da nicht schon lรคngst draufstehe