Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland, auch wenn es einige deutsche Politiker gern dazu erklären würden und einige Bundesländer auch schon wieder Menschen dorthin abschieben. Auch Sachsen. Es sind zwar bisher nur Einzelfälle. Aber dass hunderte Afghanen keinen rechtlichen Aufenthaltsstatus bewilligt bekommen, spricht Bände. Dass Sachsen auch Menschen aus Afghanistan abschiebt, darüber haben wir im Dezember berichtet.
Damals hatte auch die Landtagsabgeordnete der Linken, Juliane Nagel, zum Thema nachgefragt. Und Innenminister Markus Ulbig ließ mitteilen: „Im Jahr 2014 wurde ein afghanischer Staatsangehöriger in sein Herkunftsland abgeschoben. Es handelte sich hierbei um eine ärztlich und bundespolizeilich begleitete Rückführungsmaßnahme, da er Betäubungsmittelkonsument war. 2015 gab es bisher keine Abschiebungen nach Afghanistan.“
Sechs Tage zuvor hatte er eine Anfrage des AfD-Abgeordneten André Barth beantwortet, und da waren allein für Oktober zwei Personen aus Afghanistan unter den Abgeschobenen aufgeführt. Wohin sie abgeschoben wurden, war da nicht zu lesen. Es kann durchaus ein Drittland gewesen sein, über das sie den verzweifelten Versuch unternommen hatten, nach Deutschland zu kommen, so dass der Innenminister zwar sagen kann, man hätte sie nicht nach Afghanistan abgeschoben – aber viel besser ist diese Abschiebung in zumeist zweifelhafte Drittländer auch nicht.
Logisch, dass Juliane Nagel in kürzeren Abständen nachfragt. Denn von sich aus kommt ja die sächsische Regierung nicht auf die Idee, die Zahlen zu Abschiebungen zu veröffentlichen – es sei denn, der knallharte Innenminister verkündet mal wieder stolz, er habe hunderte Menschen mit dem Flugzeug ausfliegen lassen.
Es sind halt immer wieder auch Menschen aus Afghanistan dabei, was juckt das eine Regierung, die sich ganz bürokratisch an Paragraphen klammert und dann – wie jetzt im April wieder – verkündet: „Es erfolgten keine Abschiebungen nach § 58 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes nach Afghanistan.“
Denn aktuell gilt für alle Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Afghanistan § 60: „In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.“
Man schiebt trotzdem ab – zum Beispiel, wenn Asylsuchende mit Drogen erwischt werden.
Was nicht heißt, dass die anderen Asylsuchenden aus Afghanistan besser dran sind. Viele warten seit Jahren auf einen sicheren Aufenthaltstitel, hunderte sind auch in Sachsen deswegen vor Gericht gezogen. Und allein 76 Verfahren von asylsuchenden Menschen aus Afghanistan wurden 2015 von sächsischen Gerichten abgewiesen. 76 von insgesamt 326 Verfahren. Die Bundesrepublik nimmt ihr Versprechen, die Schutzsuchenden aus Afghanistan aufzunehmen, nicht wirklich ernst. Die meisten Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland, aus dem die Bundeswehr so überstürzt abgezogen ist, bleiben im Raum der Ungewissheit hängen.
In seiner Auskunft an Juliane Nagel zitiert Innenminister Markus Ulbig übrigens nicht den § 60, sondern den § 60a des Aufenthaltsgesetzes, der nur regelt, dass eine Abschiebung ausgesetzt wird, so lange Voraussetzungen für eine Abschiebung nicht erfüllt sind. Und Ulbig betont auch extra, dass es bei den Menschen aus Afghanistan eher nicht darum geht, ob dort Bürgerkrieg herrscht oder nicht, sondern nur um fehlende Pässe. Das führt er in der jüngsten Antwort nur kurz aus.
In seiner Antwort aus dem Dezember hat er es sehr ausführlich getan: „Rückführungsmaßnahmen scheitern in der Regel an fehlenden gültigen afghanischen Reisedokumenten. Die zuständigen afghanischen Behörden stellen keine Dokumente für die Rückführung afghanischer Staatsangehöriger ohne Erklärung zur freiwilligen Ausreise nach Afghanistan aus.“
Da können die geflüchteten Menschen aus Afghanistan eigentlich noch froh sein, dass die afghanischen Behörden so ungern Pässe ausstellen. Im Dezember hatte Markus Ulbig übrigens auch Zahlen geliefert, die zeigen, wie sehr sich die sächsische Bürokratie damit schwer tut, afghanischen Flüchtlingen einen sicheren Aufenthaltsstatus zu geben. Seit 2004 gab es jedes Jahr zahlreiche Verfahren, in denen afghanische Asylsuchende versuchten, ihren Aufenthalt in Sachsen zu klären. Der Krieg in Afghanistan begann 2001 und hat sich spätestens ab 2010 wieder zu einem scharfen Bürgerkrieg entwickelt, aus dem sich die Bundeswehr nach und nach zurückzog. Womit auch viele ihrer bisherigen Helfer im Land schutzlos wurden und ab 2014 vermehrt Richtung Deutschland flüchteten.
Und dann landen sie in einer bürokratischen Zwickmühle, in der sie erst einmal beweisen müssen, dass ihnen in Afghanistan der Tod droht. Das ist Deutschland.
Dass übrigens jede Chance genutzt wird, sie wieder abzuschieben, obwohl Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist, haben die deutschen Innenminister schon 2005 für sich beschlossen. Oder um mal Markus Ulbig aus dem Dezember 2015 zu zitieren: „Die Grundsätze zur Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer aus Afghanistan, die von der lnnenministerkonferenz festgelegt wurden, sind in der Verwaltungsvorschrift ‚Rückführung afghanischer Staatsangehöriger‘ des Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 21. Juni 2005 festgelegt.“ Danach können nicht nur straffällig gewordene Asylbewerber „rückgeführt“ werden, sondern auch „volljährige alleinstehende Männer, die sich zum Stichtag 24. Juni 2005 noch nicht sechs Jahre im Bundesgebiet aufhielten (mit Ausnahme der Einreise im Familienverband)“.
Da wünscht man sich in einem bürgerkriegsgeplagten Land nicht unbedingt, dass ausgerechnet die Deutschen kommen und ein paar Helfer für ihre ach so wichtige Mission suchen.
Und dass die Herren mit den scharfen Kinnen auch die anderen Geduldeten schnell wieder los werden wollen, hatte Ulbig auch schon im Dezember angekündigt: „Die Innenminister und -Senatoren haben anlässlich ihrer Herbstkonferenz vom 3. bis 4. Dezember 2015 in Koblenz festgestellt, dass die Sicherheitslage in Afghanistan in einigen Regionen eine Rückkehr ausreisepflichtiger afghanischer Staatsangehöriger grundsätzlich erlaube und die Bundesregierung gebeten, die Rahmenbedingungen für Rückführungen und freiwillige Ausreisen durch verbindliche Absprachen mit afghanischer Regierung, UNHCR und IOM zu verbessern.“
Die Anfrage vom Dezember 2015. Drs. 3267
Die Anfrage vom April 2016. Drs. 4692
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