Rot-Rot-Grün in Thüringen ist ein Hoffnungsschimmer. Auch für die Grünen und bei einem ganz speziellen Thema, das derzeit die deutsche Politik beschäftigt: Wie gehen wir mit Flüchtlingen um, die Zuflucht in der Bundesrepublik suchen? - Am Sonntag und Montag, 15. und 16. März, trafen sich die ostdeutschen Landtagsfraktionen in Leipzig, um auch über das Thema Asylpolitik zu diskutieren.

Am Montag stellten die Fraktionsvorsitzenden aus den sechs ostdeutschen Ländern ein gemeinsames Leitlinien-Papier vor: “Für humane, menschenwürdige Flüchtlings- und Asylpolitik”.

Eigentlich nichts Neues, stellte Jürgen Suhr aus Mecklenburg-Vorpommern am Montag fest. Das Papier versammelt eigentlich nur alle Schwerpunkte, die die Grünen in den letzten Jahren schon in der Debatte zur Flüchtlingspolitik gesetzt haben.

Nur gibt es seit Herbst den kleinen Unterschied: In Thüringen können sie zeigen, dass ihre Vorschläge nicht weltfremd sind und umgesetzt werden können. Angefangen beim Wichtigsten: Integrations- und Asylpolitik in einem Ministerium zu vereinen. Denn dass die ostdeutschen Bundesländer so sehenden Auges in eine ausufernde Debatte mit überforderten Bürgern, ratlosen Bürgermeistern und hilflosen Ministern getrudelt sind, hat schlicht damit zu tun, dass das so wichtige Thema der Asylunterbringung, der Betreuung und der Integration meist über zwei und mehr Ministerien gestreut ist. “In Thüringen haben wir es geschafft, das Ganze in einem Migrationsministerium zu bündeln”, sagt der thüringische Fraktionsvorsitzende Dirk Adams. Und man habe auch die zweite wichtige Forderung sofort umgesetzt: Mit den Menschen vor Ort zu reden, wenn es um die Einrichtung einer neuen Erstaufnahmeeinrichtung oder einer Asylunterkunft gehe. Und man kommuniziere deutlich besser mit den Kommunen. “Kommunikation ist das A und O.”

So weit ist Sachsen noch lange nicht. Es gibt zwar seit Herbst eine eigene Ministerin für die Migration – aber die wichtigsten Entscheidungen werden noch immer im Innenministerium gefällt, wo Asylpolitik noch immer als Abwehrpolitik begriffen wird. “Die Einengung der Diskussion auf illegale Einwanderung lehnen wir ab”, sagt der sächsische Fraktionsvorsitzende Volkmar Zschocke. “Flucht ist kein Verbrechen.” Und auch vom in letzter Zeit aufkommenden Nützlichkeitsdenken in der Einwanderungsdebatte halten die Grünen nichts. Die Flüchtlinge, denen in ihrer Heimat meist komplett die Existenzgrundlage entzogen wurde, können nichts dafür, wenn sie noch keine oder keine höheren Berufsabschlüsse haben.

Da sei es schlicht die Aufgabe der Gastgesellschaft, ihnen die Chancen zu eröffnen, sich in der Bundesrepublik eine Existenz aufzubauen.

Was dann solche simplen Dinge wie eine Gesundheitskarte, genügend Deutschkurse für alle, gute Betreuung der Kinder in Kindertagesstätten und Schulen einschließe.

“Denn da hat es in den letzten Jahren einen unübersehbaren Wandel gegeben”, betont Prof. Claudia Dalbert aus Sachsen-Anhalt. “Es kommen nicht mehr nur die allein reisenden geflüchteten Männer, es kommen jetzt auch genauso oft ganze Familien mit ihren Kindern. Da stehen wir in der Verantwortung und müssen die nötigen Angebote schaffen.”

Doch wie wollen das die Grünen umsetzen, wenn sie nur in einem der sechs Bundesländer mitregieren?

“Das geht uns seit zwei Jahren so”, sagt Antje Kapek aus Berlin. “Aber wir haben den Vorteil, dass wir die größte Oppositionsfraktion stellen. Wir bringen unsere Vorstellungen mit eigenen parlamentarischen Anträgen ein. Und das Schöne ist: Da die beiden Regierungsfraktionen völlig ratlos sind, übernehmen sie dann Vorschläge von uns.”

Für Dirk Adams ist es das Wichtigste, “aus der Abwehrlogik herauszukommen”. Die zunehmenden Zahlen von Flüchtlingen, die Asyl in Deutschland suchen, dürfe man nicht als Bedrohung sehen, sondern als Menschen, die in Deutschland eine Chance suchen. Das brauche aber Integration. “Und eine auskömmliche Finanzierung für die Kommunen”, betont Zschocke. Denn nach den ersten drei Monaten, die die Asylsuchenden zumeist in den Erstaufnahmeeinrichtungen zubringen, werden sie auf die Kommunen in den Bundesländern aufgeteilt. Dort aber fassen sie nur Fuß, wenn sie auch Deutsch als Zweitsprache beherrschen, in der Nachbarschaft willkommen geheißen werden und auch nicht für immer und ewig in der Warteschleife stecken. Asylsuchende und geduldete Ausländer müssten endlich gleichgestellt werden und auch deutlich verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen.

Und – so betont insbesondere Volkmar Zschocke – die Gastgeber müssten auch endlich lernen, die Asylsuchenden als Menschen in Existenznot zu begreifen. Denn sie fliehen ja aus Bürgerkriegen, politischen Krisenherden, oft genug aber auch aus purer wirtschaftlicher Not. Und wer aus Kriegsgebieten die Flucht nach Deutschland schafft, der ist oft genug traumatisiert. Etwas – was mit der Überfüllung vieler Aufnahmeeinrichtungen zusammen erst die explosive Melange ergibt, die dann zu gewaltsamen Vorfällen wie in der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz führt.

Es brauche also auch kompetente Betreuung für die Traumatisierten. Und zwar vor Ort, betont Zschocke.

Was der Sache gar nicht helfe und das Problem auch nicht löse, sei eine immer rigidere Abschiebepraxis.

Was den Blick auch wieder auf Sachsen lenkt und eine fast verkrustete Abschiebepolitik, die beim eigentlichen Thema – einer gut organisierten Unterbringung – eher druckst und schweigt.

Wie viel von den Grünen-Forderungen nach einer humanen Flüchtlingspolitik steckt denn nun im neuen Doppelhaushalt des Freistaats Sachsen?

Volkmar Zschocke: “Naja. Es tut sich was.”

Ähnlich äußert sich Prof. Claudia Dalbert zu Sachsen-Anhalt. Die Aufgaben sind in allen sechs ostdeutschen Bundesländern dieselben. Thüringen macht jetzt vor, wie man das Thema in einem Ministerium bündelt und deutlich besser handhaben kann. Und da die bislang gepflegte konservative Haltung überall dieselben Konflikte und Brandherde erzeugt, steht auch die Politik der Regierungen in den anderen Bundesländern unter Druck. “Wir in Berlin haben ja bekanntlich den größten Druck”, sagt Antje Kapek. “Aber wir sehen auch, dass es immer eine Lösung gibt. Wenn man nur will.”

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