Der erste Teil der intensiveren Befassung mit PEGIDA, HoGeSa, Legida unter dem Titel "Gesegnetes Sachsen - Heimat, Volk und Vaterland" auf der L-IZ liegt nun fast drei lange Wochen zurück. Sie wird Tag um Tag richtiger, nun gibt es wieder ein paar Worte hinzuzufügen. Denn trotz großem Blätterrauschen wird die Protest-Vermassung namens PEGIDA in Dresden noch immer etwas falsch verstanden. Was für die Lösungsversuche seitens der politischen Klasse inklusive der AfD Sachsen Schlimmes ahnen lässt. Kein Wunder. Eine Saat geht auf und gesät haben auch die, welche nun versuchen, mit der Ernte klarzukommen oder sie einzufahren.

Am 12. Dezember gab der kommende Dresdner Oberbürgermeisterkandidat Markus Ulbig (CDU) in seiner Noch-Funktion als Innenminister des Freistaates ein Interview auf Deutschlandfunk. Thema natürlich PEGIDA, längst auch Sammelbecken für Menschen, die vorher auch bei HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten) dabei waren. Von dieser Initiative der Hooligans hört man nach dem Erstarken von PEGIDA nicht mehr viel. Was die Hooligans mit ihrer Gewaltbereitschaft falsch machten, versucht PEGIDA zu vermeiden. Die mittlerweile auf 10.000 Menschen angewachsenen Spaziergänger versuchen vielmehr seit drei Wochen ihre Bewegung in andere Städte zu exportieren. So auch nach Leipzig, wo man am 12. Januar vermutlich bis nach Connewitz als “Legida” spazieren möchte. In der Messestadt nun offiziell unterstützt von AfD-Mitglied Hans-Thomas Tillschneider.

Der Sprecher der “Patriotischen Plattform” – der mal offizielle, mal inoffizielle rechte Flügel der AfD – liefert den antiislamischen Grundstoff für die Leipziger Gruppierung und schreibt fleißig “Gastbeiträge” und Gegendarstellungen zu Presseveröffentlichungen auf der Mobilisierungsseite bei Facebook. Bis zum 12. Januar 2015 wollen Teile der Leipziger PEGIDAs weiter nach Dresden fahren. Denn Dresden “zeigt, wie es geht”, so der Mobilisierungsspruch in der Landeshauptstadt.

Verhöhnt, attackiert und nun auch ganz offiziell von großen Teilen der AfD verstanden, ja, als Straßenkampfabteilung der eigenen Politik begrüßt, reüssiert der Widerstand nun in den Medien. Nicht anders als eine Zustimmung und eine Art Arbeitsteilung ist die Antwort Frauke Petrys (AfD-Vorsitzende in Sachsen) auf die Frage bei der Talksendung Maybrit Illner zu verstehen. Ob sie bei PEGIDA mitlaufen würde, pariert die smarte Ex-Unternehmerin damit, dass sie ihren Job im Landtag von Sachsen machen würde. Verbunden im Geist, aber noch getrennt marschieren, um gemeinsam zu siegen.

Man möchte, dass sich die öffentliche Debatte nur noch um kriminelle Ausländer dreht, um gewollte und nicht gewollte Flüchtlinge, um die Wahrung der deutschen Kultur und Werte und um “mehr Verständnis für die Bürger”. Markus Ulbig, der auch gern mal mit hohen sächsischen Abschiebezahlen prahlt und die CDU müssten sich eigentlich über die Themensetzung freuen. Solange sich die PEGIDA-Demonstranten in Sachsen derart an der Oberfläche aufhalten, bleiben die wirklichen Fragen nach mehr Integrationsbemühungen außer Sichtweite.
Denn eigentlich ist all das eine Steilvorlage für die letzte Volkspartei, auch wenn sie längst eher Seniorenpartei zu nennen wäre, angesichts des Durchschnittsalters von 60 Jahren unter ihren Mitgliedern. Kurzzeitig übte sich der Unionspartner CSU im rechten Kuschelkurs, als ein paar Versteuerte in einem Leitantrag forderten, Migranten müssten auch zuhause Deutsch sprechen. Mitten in diesen bald abgebrochenen, natürlich von allen Beobachtern gänzlich falsch verstandenem Populismus-Versuch, sich selbst bei Fremdenfeinden anzubiedern, platzte dann die Meldung der Brandanschläge im mittelfränkischen Vorra. Selten lagen Populismus und Resultat näher beieinander, aktuell ermittelt die Polizei wegen der unbekannten Täter des Brandanschlages.

Alles wäre eigentlich wie in den 90ern, wäre da nicht die AfD, welche längst in den dunkelsten Ecken der CDU/CSU-Wälder wildert. Denn der Ruf nach Ruhe, Ordnung und Sicherheit ist ein in der Union bekanntes Terrain, so dass die angeblich neue Fläche PEGIDA auch dieses Mal routiniert bespielt werden könnte.

Also bietet sich Innenminister Markus Ulbig bislang in seinen Äußerungen auch eher als sächsischer Konsenskandidat für die Demonstranten vor seiner Haustür an, nachdem er und seine Bundeskollegen seit Jahren den verhassten Linken nicht zuhören wollten. Auch und vor allem nicht, wenn es um mehr Soziales in der sozialen Marktwirtschaft, weniger Kriege und den bunten Strauß an unaufgelösten Themenfeldern von Integrations-, Sozial- bis Außenpolitik ging. Nun treiben ihn und seine Bundespartei die rechten Kreise um AfD, NPD und der brave Bürger vor sich her. Sichtbar ist die Verunsicherung auch in Ulbigs ausweichenden Antworten auf durchaus konkrete Fragen.

Journalist Christoph Heinemann fragt unter Anderem im Interview auf Deutschlandfunk: “Wie sehr mischt Pegida die deutsche Politik auf?” Markus Ulbig (O-Ton): “Zumindest ist es gelungen, dass über diese Sorgen und Nöte der Menschen die Innenministerkonferenz nachdenkt und dass wir auch deutlich machen werden, dass wir mit diesem Thema in Deutschland umgehen müssen.”

Es klingt, als habe er nichts damit zu tun. So funktioniert deutsche Politik nun schon seit Jahren, auf Zuruf, ohne Verknüpfungen von Außen-, Wirtschafts- und Innenpolitik bei der Lösung komplexer Themen. Selbst jetzt nicht, wo die expansive Außen- und die sparsame Sozial- und Bildungspolitik der letzten Jahre zurückschlagen und sich unterschwellig in Demonstrationen und Trotz manifestieren. Wie so oft – ein Agieren ohne Weitsicht, nur unter hohem Druck und nahezu ausschließlich auf sichtbare Kosten bedacht. Bestes Beispiel derzeit: Die schwarze Null im Widerspruch zu überschuldeten Kommunen und maroder Infrastruktur.

Nun wird wohl das “Asylbewerberproblem” erneut, wie ab 1992 quasi solitär und unabhängig von den anderen Feldern gelöst. Nachdem in ganz Deutschland die Asylbewerberheime und Unterbringungen brannten, wurden damals kaum die Integrationsbemühungen verstärkt, sondern lieber eine rustikale Abschottungspolitik bis etwa 2012 betrieben. Indem man die Asylgesetzgebung unter dem Eindruck von Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Mölln soweit verschärfte, dass es sich Deutschland seither auch dank Dublin II und III praktisch aussuchen kann, wer im Land bleiben darf. Und das waren bei 25.000 bis 30.000 Anträgen in den vergangen Jahren vor 2012 wenige.
Während Frankreich und England weitere Menschen aus ihren ehemaligen Kolonien aufnahmen, in Griechenland und Italien die Auffanglager überliefen, spielte Deutschland “toter Mann” und Exportweltmeister. Alles Länder, die übrigens kein “Demografieproblem” oder Fachkräftemangel wie Deutschland haben. Dafür erlebten und erleben sie soziale Unruhen in den Randlagen der Großstädte, weil die Verteilungsmechanismen zwischen “Oben” und “Unten” auch wegen den nach wie vor schwelenden Finanzkrisenkosten längst in ganz Europa aus den Fugen geraten sind.

In Deutschland wuchs in dieser Zeit eigentlich nur die türkischstämmige Community durch Familiennachzug nennenswert, während die Geburtenzahlen der Deutschen zurückgingen. Ob dies vielleicht auch mit dem “Beschäftigungswunder” made in Germany, also einer Niedriglohnstrategie und einer Mittelschicht-Definition ab einem Einkommen von 1.000 Euro zu tun haben könnte, steht zumindest zu vermuten. Sicherer jedenfalls ist für viele prekär Beschäftigte in Deutschland in den vergangenen Jahren vor allem eins geworden: Das nichts mehr wirklich sicher ist. Ein Teil des Treibstoffes für PEGIDA, der Rest ist die gelernte und jahrelang staatlich gewollte Abschottungsreaktion. Vor allem vor Menschen, die vor wirtschaftlichen und immer öfter den nachfolgenden militärischen Krisen in der Welt flüchten müssen. Und es gehen meist die Leistungsträger zuerst, was den Spruch, die sollten mal zu Hause etwas aufbauen schon makaber macht.

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Und so mancher selbst der als Arbeitskräfte herbeigeholten Türken in Deutschland, welche nun in dritter und vierter Generation immer noch zu oft an einem der undurchlässigsten Bildungssysteme in Europa scheitern, bekommt bis heute den Spruch zu hören: Da muss man sich auch mal anstrengen. Wenn es um die soziale Herkunft und den Aufstieg geht, bekommt das deutsche Bildungssystem längst ganz miese Noten. Auch Sachsen wird seit 2009 von einem ehemaligen Spitzenplatz bei der Breitenbildung nach unten durchgereicht.

Am deutlichsten zu sehen an 10 Prozent Schulabbrechern in Leipzig und dem immer neu kaschierten Lehrermangel und den Ausfallstunden. Das laufende Schuljahr begann so erneut mit Schülerzahlen am Anschlag, Vertretungsstunden und Ausfällen.Die Abkehr von allseitiger Integrationspolitik gerade für sozial schwache Schichten über Glaubensgrenzen hinweg zeigt sich auch in der nun aufscheinenden Lösung bei den rund 200.000 Flüchtlingen im Jahr 2014 und den Prognosen für 2015.

Denn das Problem liegt erneut natürlich vor allem darin, dass die Anträge laut Ulbig schneller im Sinne der Bewerber bearbeitet werden müssen – zynisch verstanden – schnellere Abschiebungen, wenn man die bisherige sächsische Praxis betrachtet. Es muss mehr kommuniziert werden – rückblickend gesehen heißt das: Fragen entgegennehmen und versanden lassen. Vielleicht noch eine Webseite mehr machen, so mit Asylinfos. Und es müsse dafür gesorgt werden, “dass der Ordnungsstaat funktioniert.” Gemeint ist hier im Deutschlandfunk-Interview wohl Markus Ulbig kritisiert Markus Ulbig für die letzten Amtsjahre. Denn auch eine ausreichende Zahl an Richtern, Staatsanwälten und Polizisten im Freistaat kann der Interviewte nicht meinen.

Das Wort Integration hingegen kommt im gesamten Minister-Interview zu PEGIDA nicht vor. Selbst wenn die Demonstranten also all diese Themen nur unterschwellig mitbringen, angesprochen werden sie auch von der Politik nicht. Fahren auf Sicht bleibt also wahrscheinlich auch dieses Mal die gewählte Navigationsart, ob es unter der neuen Schwarz-Roten Koalition zu mehr vernetzten Lösungen statt Rotstiftpolitik kommt, ist noch unklar.

Bleiben die hilflosen Erklärungsversuche eines sächsischen Innenministers, der die vergangenen Jahre erst konsequent alternative Vereine und Initiativen als einziger Innenminister in ganz Deutschland mit einer “Extremistenklausel” diskriminierte, weil sie ihm vielleicht irgendwie zu links waren? Der illegale Massendatenabfragen goutierte, ohne politische Verantwortung zu übernehmen und dem NSU-Komplex als Innenminister im jahrelangen Stammland des Trios mit geschredderten Akten und einem Schulterzucken begegnete. Während man sich in Thüringen um echte Aufklärung bemühte, warf Ulbig in Sachsen ein ums andere Mal einfach das Personalkarussell im Polizeiapparat an.

Um anschließend die Polizeikräfte in Sachsen in der Polizeireform 2020 entgegen der vielstimmigen Proteste aus allen Oppositions-Lagern und der Polizei selbst abzubauen und nun eine Sonderermittlungseinheit aus Kriminalbeamten wegen einer Tätergruppe “kriminelle Asylbewerber” zu basteln, die mit maximal 3.000 Straftaten in den 312.500 Straftaten in Sachsen (Stand 2013) wie ein Tropfen in einem Meer aus deutscher Kriminalität versinkt. Wegen Straftätern, die durch ihren gesellschaftlichen Status “Asylbewerber” längst in einer leicht überschaubaren Sonderkartei von gesamt 11.000 Asylbewerbern (Stand 2014) des Freistaates und damit unter Dauerbeobachtung stehen.

Und die nach wie vor zu oft allein gelassen werden, weil es gern vielen ehrenamtlichen Bürgerinitiativen und den Flüchtlingsräten mit magerer Finanzausstattung überlassen wird, sich um die Integration zu kümmern.

Die Ouvertüre für eine weitere Sinfonie aus sächsischer Abgrenzung, Kriminalisierung und Scheinlösungen erklingt. Gesungen auf der Straße und in der sächsischen Innenpolitik. Der Text: Da sind sie die “kriminellen Ausländer”, haltet die Gesellschaftszerstörer. Gesungen auch von einem Innenminister, der seit Jahren als “lame duck” gilt und wohl nicht grundlos lieber den OBM-Posten in Dresden haben möchte.

Unterdessen steigt die Zahl der Anschläge und Übergriffe auf Asylbewerber in Sachsen an. Dazu eine Meldung aus Dresden von der Initiative Dresdner Antira-Gruppen (IDA): “Mitte November erfolgten massive Drohungen gegen eine Familie aus Syrien. In ihrem Briefkasten fand sich die Morddrohung: “Sieg Heil! Wir wollen Euch hier nicht haben. Macht Euch weg, sonst machen wir es!” Ein Hakenkreuz diente als “Unterschrift” des Briefes.”

Ob die vorrangig christlichen Flüchtlinge aus Syrien Interesse an den Religions-Unterscheidungen der PEGIDA-Legida-AfD-Bewegung haben? Sie dürften nun eher mit ihrer erneuten Angst vor Mord und Totschlag kämpfen. Also genau das, wovor sie geflüchtet sind.

Im 3. Teil: Der kriminelle Asylbewerber als Kernthema auch der Politik in Sachsen? Oder eher “Malen mit Zahlen”?

PEGIDA, HoGeSa, Legida (3): Malen mit Zahlen in Sachsen

Zum Nachhören und Lesen auf Deutschlandfunk

Interview mit Innenminister Markus Ulbig bei Deutschlandfunk vom 12. Dezember 2014

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