Nachdem sich in Dresden unter dem Kürzel "Pegida" (Abk. Pegida) Proteste etablieren, welche man schwerlich nur mit dem Begriff anti-islamisch umschreiben kann, schwappt die Bewegung jetzt auch auf Leipzig über. In der Landeshauptstadt mobilisiert die Initiative "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) seit Oktober wöchentlich zu Montagsdemos, am gestrigen Montag, 24. November meldete die Polizei 5.500 Teilnehmer. Die Teilnehmer meldeten natürlich mehr. In Leipzig möchte die Gruppe "Legida" auf den Zug aufspringen und im Januar das erste Mal demonstrieren. Die Versuche, das "neue" Phänomen zu erklären, bleiben bislang in den Kinderschuhen stecken. Gleichzeitig versicherte ein seit Jahren überforderter Innenminister Sachsens, Markus Ulbig (CDU), es seien die kriminelle Asylbewerber, die das eigentliche Problem darstellen.
Eigentlich und natürlich muss man den Demonstranten in Dresden genau zuhören, um zu verstehen, was da vor sich geht. Die Ansprachen von Pegida-Sprecher und Mitgründer Lutz Bachmann sind im Netz zu finden, man sollte also die Argumente hören, denn die Ansprachen vom gestrigen Abend sind symptomatisch. Die Mobilisierungsvideos auch, wobei Verbindungen zu “HoGeSa” rasch klar werden. Eine Ansprache einer Teilnehmerin der “HoGeSa”-Kundgebung in Hannover fand sich später im Mobilisierungsvideo zur Pegida-Demonstration am gestrigen 24. November wieder. Der Stolz auf deutsche Männer, welche nun endlich (in Hannover) den Krieg mit den Islamisten aufnehmen, tropft förmlich aus jedem Wort. Im Bild die vorüber ziehenden Dresdner Spaziergänger, untermalt ist der Clip mit bedeutungsschwerer Musik – ein Volk steht auf, der Marsch der Millionen beginnt, fast vermisst man das Victory-Zeichen.
Unter ihnen natürlich auch Rechtsradikale – so lange sie friedlich sind und sich nicht allzu offen zur NPD bekennen – Hooligans, AfD-Anhänger. Aber auch viele Alte, Junge, Frauen, Kinder und am Ende wird mit den Handys ein Lichtermeer veranstaltet. Eine bunte Mischung der Dresdner Mehrheitsgesellschaft und das Gefühl, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Und mal wieder miteinander zu reden. Fast scheint es, manche Dresdner hätten sich 25 Jahre lang hinter ihre Gardinen versteckt und ausgegrenzt vor sich hinvegetiert. Vielleicht war es ja auch so – ein Billiglohnland wie Sachsen fordert von seinen Bürgern ja gern gute Arbeit in kurzer Zeit, dann noch ein bisschen Fortpflanzung und die Bescheidenheit des heimischen Abends vor der Flimmerkiste. Aller fünf Jahre wählen dann die Rentner die gleiche CDU-Landesregierung mit wechselnden Spielkameraden. Seit Neuestem gern auch mal die AfD, wer selbst beständig an Ruhe, Zucht und Ordnung gemahnt wird, wählt sie eben auch, wenn es das zum Ankreuzen gibt.
Anstand (Ehrlichkeit), Schaffenskraft und Ordnung – die höchsten Güter einer Verwertungsgesellschaft, ein seit Jahren uniform präsentiertes Bild der sächsischen Landesregierung, welche mancher eher ein kleines Königtum Tillichs des Gewendeten nennt. Welches – um im Bild zu bleiben – natürlich mit dem Teufel persönlich ringt, wenn es um Kriminalität und Drogen geht. Welche immer von außen kommt – in sächsischen Stuben wohnt längst wieder der Biedermeier und im Keller das Hobbyareal. Gepaart mit dem Furor frühteutonischer Erregungsfähigkeit bei durchaus gegebener Langmut nicht nur im Idiom eine spannende Mischung – auch bei Konflikten.
Nur die Kampagne “the better bavaria” steht noch aus, den Rest gab es alles schon in der Selbstdarstellung der letzten 25 Jahren.
An der Oberfläche eint die deutsch erwachten Demonstranten die Angst vor radikalen Islamisten, darunter liegt dennoch weit mehr, wie die Forderungen der letzten beiden “Spaziergänge” in Dresden zeigen. Auf den ersten Blick riecht alles nach einer veritablen Demokratiekrise, eine jubelnde Menge nimmt 1989 in Haftung, für einige ganz sicher die wenigen Momente in einem Herbst, wo man sich lebendig fühlte. Und so skandiert man folgerichtig, entweder das oder das eine Volk zu sein und will Mauern in den Köpfen einreißen. Ja, auch die Ost-Westunterschiede werden sie beenden, die Dresdner, die nach eigener Beschreibung gerade “zeigen wie’s geht”. Und sich freuen, dass nun auch Leipzig ab Januar hinzukommen möchte, so ein bisschen angestaubter Vor-März ist schon dabei, nach 1989 fühlt es sich hingegen nicht an.
Höchste Zeit eigentlich könnte man dennoch aufatmend denken, auch über Sachsens Billiglohn-Politik und die fehlenden Wirtschaftsansiedlungen im Freistaat wurde schon viel geschrieben, die soziale Situation vieler Sachsen heißt immer noch Zeitarbeit, Lohnaufstockungen und drohende Altersarmut. In einem der reichsten Länder der Erde heißt es immer so schön – nur fällt gern unter den Tisch, wer hier letztlich reich ist.
Aber darum geht es den Versammelten und “Pegida”-Sprecher Lutz Bachmann nicht – er fühlt hier die Solidarität unter allen Deutschen, wenn es gegen “Glaubenskriege auf Europäischem Boden” und die “Islamisten”, bei manchen natürlich auch gegen die “Linksfaschisten” und irgendwie immer noch gegen die allmählich ausgestorbene SED geht. Fast kommt so etwas wie deutsche WM-Stimmung auf, mancher hat auch seine Fahne dabei, man glaubt sich beim Mauerneinreißen, indem es gegen Unterkunftskonzepte, Muslime und Flüchtlinge geht.
Und die Logik in den Ansprachen scheint bestechend einfach, die Presse würde verdummen, so Bachmann unter dem Jubel der Umstehenden, die Politik hat alles falsch gemacht – wenn es um “Einwanderung” geht. Doch diese ist nicht wirklich gemeint, die Einwanderung nach Deutschland ist seit Jahren äußerst niedrig, so manches Regierungsprogramm sogar versandet, weil es so viele dann doch nicht in unser ordentliches Land zieht.
Auf der Demonstration sind hier jedoch Flüchtlinge gemeint, welche gleich noch mal in “Wirtschafts-” und “Kriegsflüchtlinge” geschieden werden. Und auch hier ist die Grundkonstruktion der Argumente in Bachmanns Ansprachen interessant, weil sie sich offenbar gewollt, widersprechen. Und Lösungen bewusst auslassen. So sei man für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, aber gegen die Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen. Das diese quasi im Asylverfahren mit den verschiedenen Prüfungsergebnissen wie Asyl, Duldung und subsidiärem Schutz bereits heute unterschieden werden, scheinen wenige im Publikum zu wissen. Seit Jahren geistern die niedrigen Prozentzahlen von Asylanerkennungen durch die Netzforen, diese ominösen 1,2 Prozent, welche eigentlich die Härte des Aufnahmeverfahrens in Deutschland spiegeln. Radikalen war diese Zahl schon immer Anlass, von Missbrauch des Asylrechtes zu sprechen. Also noch härter, noch resoluter, noch abgeschirmter.
Dazu passend sind die Forderungen der Dresdner und bald wohl auch Leipziger Demonstranten nach schärferen Einreisekontrollen, vor allem an den “grünen” Außengrenzen Deutschlands und die konsequente Abschiebung illegaler Flüchtlinge bei Bachmann und Co.. Damit fordert der Pegida-Sprecher die strikte Umsetzung der Dublin II-Vereinbarungen ein, also aufgrund der “Insellage” Deutschlands die vollständige Abschottung. Wie Bachmann noch spitzbübisch bemerkt, wären letztlich nur die Flüchtlinge legal, welche über Nord- oder Ostsee kommen. Logisches Fazit: Deutschland muss niemanden aufnehmen, kann alle abschieben und somit ist die Aussage, man hätte nichts gegen “echte Kriegsflüchtlinge” eine schlichte, aber gut getarnte Lüge.
Die sind hier erst echt, wenn sie mit einem halbverrotteten Seelenverkäufer den Weg um Europa in die Nordsee geschafft haben.
Überhaupt hört sich alles, was bezüglich der Flüchtlingspolitik Deutschlands geäußert wird, wie ein zugespitztes Wahlprogramm der AfD an. Auch die geforderte Einwanderungspolitik nach kanadischem oder amerikanischem Vorbild ist ein Hohn angesichts der territorialen Lage genannter Länder und die Millionen von durchweg “Illegalen” in den USA. Der einfache Grund ist im Gegensatz zum gelobten Kanada schlicht eine Grenze zu Mexico und auch hier ein längst als Krieg zu bezeichnender teurer Abwehrkampf gen Süden, gegen den lateinamerikanischen Raum im Gange.
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Auch die Vermischung der Themen “extreme Islamisten” und Flüchtlinge ist letztlich eine Farce, welche keiner der Demonstranten zu bemerken scheint. Zum einen sind viele der Flüchtlinge vor eben diesen Islamisten auf der Flucht. Oder vor Putins Politik in den ehemaligen Randstaaten der Sowjetunion – aber der könnte hier durchaus auch als lupenreiner Demokrat gelten, dass weiß man nicht so genau. Natürlich hat sich Deutschland längst (auf der Basis von Dublin II) das Recht ausbedungen, mit Kontingenten zu arbeiten, sich also aussuchen zu können, wen man haben will und wen nicht. So sind die von vornherein legalisierten Flüchtlinge beispielsweise aus Syrien vor allem eher Christen, Familien und wirklich Verfolgte, welche im Rahmen der Kontingente nach Deutschland kommen dürfen. Meist noch unter dem Nachweis bereits Bekannte in Deutschland zu haben, von welchen sie ökonomische Unterstützung erwarten können.
Was übrigens auch die Anerkennungen auf Duldung und subsidiären Schutz (vor allem bei Bürgerkriegsflüchtlingen, wie den Syrern, Irakern usw.) sowie Asyl auf 70 Prozent und darüber hinaus ansteigen lassen dürfte. Die “Illegalen” werden längst ganz ohne HoGeSa-, Pegida- oder Legida-Demonstrationen in Spitzenwerten aus Sachsen abgeschoben. Was Innenminister Markus Ulbig (CDU) in Pressemitteilungen durchaus stolz verkündet, wenn man mal wieder Bayern bei den Abschiebezahlen überholt hat. Und dennoch haben die Demonstranten das Gefühl in einer Bedrohung zu leben, welche nicht zuletzt von den Mainstream-Medien über Jahre mit aufgebaut wurde.
Seit die beiden Türme 2001 zusammenbrachen, existiert in vielen Medien Deutschlands der Muslim eigentlich nur noch als Terrorist, Kämpfer im nahen Osten oder fahnenverbrennender Anti-Demokrat. Und natürlich als Frauen schlagender Ehemann mit Turboreproduktionsrate oder Ölscheich beim Handel Öl gegen (deutsche) Waffen. Eine weltweite Bevölkerung von 1,6 Milliarden Menschen ist für viele längst zu einer Galerie von Abziehbildern des Schreckens oder der Gier mutiert.
Vielleicht hat Bachmann hierbei unbewusst Recht, wenn er diese Art der Medien in all den Jahren verdummend nennt. Denn er selbst sieht längst die “Unterwanderung unserer Kultur” drohen. Auch das Recht auf “Heimat, Volk und Vaterland” stolz zu sein, scheint ihm eingeschränkt. Aber zumindestens kann man mal wieder einem Wortführer und Demonstranten beim Rufen vernehmlich beim Sächseln zuhören.
Einen anderen Islam jedenfalls gab es über ein ganzes Jahrzehnt in der medialen Darstellung praktisch nicht, nun geht diese Saat in Bundesländern wie Sachsen auf. Einem Freistaat, wo bei 0,1 Prozent muslimische Gläubige jeder länger überlegen muss, ob er überhaupt einen Muslim oder eine Muslima kennt. Laut Verfassungsschutz sind zirka 350 als weniger freundlich eingestuft und stehen unter Bewachung. Wir debattieren also in der vorgeblichen zentralen Angst über 350 Menschen – vielleicht sogar 500. Eine Größenordnung, welche selbst bei dieser Hochrechnung auf diese 500 allein im Leipziger Stadtgebiet unter einem Viertel der präsenten Polizei liegt.
Der Mangel an Muslimen in Sachsen scheint jedenfalls so groß zu sein, dass man bei Pegida begonnen hat, welche zu suchen. Damit sie mit gegen ihre extremistischen Glaubensbrüder demonstrieren kommen. Mal sehen, ob sich einer oder zwei finden? Um sich dann als Trophäe des Beweises der Demonstranten, nicht gegen Ausländer zu sein, hochhalten lassen.
Zum zweiten Teil vom 15. Dezember 2014 auf L-IZ.de
PEGIDA, HoGeSa, Legida (2): Die Saat geht auf
Anfangs- / Startrede bei Pegida vom 24. November 2014 / Youtube
http://www.youtube.com/watch?v=Wv8PWEpsfm4
Abschlussrede bei Pegida vom 24. November 2014 / Youtube
http://www.youtube.com/watch?v=Wv8PWEpsfm4
Zur Sendung auf dem ZDF vom 25. November 2014 “Wie viele Ausländer verträgt Deutschland? Der Streit um Zuwanderung und Asyl”
http://www.zdf.de/zdfzeit/migration-35926304.html
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