Es ist nicht so einfach mit der Erinnerung. Erst recht nicht mit der an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Dresden macht ja seit Jahren vor, wie schwer das ist: Jeden Februar veranstaltet man Kranzniederlegungen zur Erinnerung an die Bombenabwรผrfe im Februar 1945. In Leipzig erinnert man sich lieber an den 18. April, den Tag, als die Amerikaner in die Stadt kamen und die NS-Herrschaft beendeten. In Torgau feiert man lieber am 25. April den โ€žElbe-Dayโ€œ. Und in Eilenburg?

Da wird es ganz schwierig. Die Eilenburger Stadtverwaltung lรคdt ein zur Kranzniederlegung am 21. April: โ€žZum Gedenken an die Opfer des Beschusses der Stadt Eilenburg im April 1945 findet am Donnerstag, dem 21. April, um 11:00 Uhr eine Kranzniederlegung an der Kriegsgrรคbergedenkstรคtte des Stadtfriedhofes statt. Alle Bรผrger sind dazu herzlich eingeladen.โ€œ

Mitgeschickt hat die Stadt ein Foto von der Kranzniederlegung im Vorjahr auf dem Stadtfriedhof mit dem Mahnmal fรผr die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Ein groรŸ auf Stein gepacktes โ€žWarumโ€œ. Als hรคtte es seit Jahren keine Antworten auf diese Frage gegeben. Kriege sind zwar etwas Irrationales โ€“ aber trotzdem lassen sich Ursachen, Beweggrรผnde, Schuld und Versagen in der Regel sehr eindeutig benennen. Das โ€žWarumโ€œ ist hier falsch. War es schon immer.

Denn vor der Entscheidung, wie sie auf das Vorrรผcken der Alliierten reagieren, standen 1945 sรคmtliche Stadtkommandanten in Deutschland. Und die, die sich noch ein bisschen Menschlichkeit und Ratio bewahrt haben, haben die Stรคdte kampflos รผbergeben, haben mit den Amerikanern verhandelt (wie in Halle) oder sich auf einzelne Punkte zurรผckgezogen, ohne die ganze Stadt einem Flรคchenbeschuss auszusetzen (wie in Leipzig).

Es gab auch die anderen, die wilden Fanatiker oder tumben Befehlserfรผller. Wie in Breslau, das zur โ€žFestungโ€œ erklรคrt wurde, oder eben Eilenburg, dessen westlicher Stadtrand am 17. April von amerikanischen Panzern erreicht wurde. Hier versuchte Panzerkorpsgeneral Maximilian Reichsfreiherr von Edelsheim, die Amerikaner an der Mulde aufzuhalten. Die Stadt war โ€“ wie Breslau โ€“ zur Festung erklรคrt worden. Eine Verhandlung mit den Amerikanern รผber eine Kapitulation blieb aus. Und so erlebte Eilenburg fรผnf Tage lang das, was in Halle in letzter Minute verhindert worden war. 65 Prozent der Stadt waren nach diesem Dauerbeschuss zerstรถrt, das historische Stadtzentrum sogar zu 90 Prozent, als die Panzer der 69. US-Division am 23./24. April in die Stadt rollten.

Die Brรผcken aber รผber Mulde und Mรผhlgraben hatten die deutschen Truppen selbst gesprengt. Die รœbergabeaufforderung wurde verweigert. Es gibt also nicht wirklich einen Grund, hier nach dem โ€žWarumโ€œ zu fragen, auch wenn damit alle Opfer des Weltkriegs gemeint sind. Aber weder ist der Krieg zufรคllig ausgebrochen, noch sind die Nazis von allein an die Macht gekommen.

Eigentlich wรคre es an der Zeit, auch in der Erinnerungskultur ein โ€žDarumโ€œ daraus zu machen. Denn wenn man die Erinnerung an solche menschgemachten Tragรถdien immer wieder durch ein nebliges โ€žWarumโ€œ mystifiziert, lernt die Menschheit niemals was. Und schon gar nicht, dass man kriegslรผsterne Fรผhrer und Weltenretter einfach nicht an die Macht wรคhlen und sich hinterher wundern darf, dass sie es immer genauso meinen, wie sie ankรผndigen.

Was hรคtte sich geรคndert, wenn Eilenburg verhandelt und wie Leipzig am 20. April kapituliert hรคtte?

Die Amerikaner wรคren drei Tage frรผher in die Stadt eingezogen, die nie so zerstรถrt worden wรคre. Und sie wรคren wohl drei Tage frรผher in Torgau gewesen.

Das โ€žWarumโ€œ steckte nur im Kopf einiger Generรคle, die partout nicht den Schneid hatten, das eigene Land zu verschonen und einem GrรถรŸenwahnsinnigen, der in Berlin im Bunker hockte, die letzten sinnlosen Befehle zu verweigern.

Das werden wahrscheinlich ein paar Bรผrger in Uniform anders sehen. Aber genau da, wo die militรคrische Feigheit anfรคngt, beginnt der Mut des Demokraten. Da helfen auch keine Krรคnze und Trauermusiken. Auch wenn der 21. April an ein brennendes Eilenburg erinnert. Aber nur zur Erinnerung: Auch in Leipzig wird nicht der 3. oder 4. Dezember 1943 erinnert, als nicht nur die Stadt in Flammen aufging, sondern die ganze einst erfolgreiche Buchstadt im Grafischen Viertel.

Manchmal entscheidet genau das, was man erinnert, darรผber, welche Beziehung die Bรผrger einer Stadt zu ihrer Geschichte haben.

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