Wahrscheinlich sind es nicht nur die ganzen Einschränkungen durch Corona, die viele Arbeitsprozesse im Leipziger Rathaus verlangsamen. Verwaltungen ticken auch anders, sind lieber übervorsichtig und erarbeiten lieber erst einmal Maßnahmenpläne auf Grundlage von Untersuchungen, mit denen man vorher lieber externe Büros beauftragt. Da können schon mal vier Jahre vergehen. Aber zumindest liegt jetzt Teil 1 der Leipziger Stadtklimanalyse endlich vor.

Die Messfahrzeuge dafür waren ja schon 2016 in Leipzig unterwegs. Aber jetzt ist aus den ganzen Daten eine richtige Stadtklimamodellierung geworden, die ziemlich genau zeigt, wo sich das Stadtgebiet besonders aufheizt und auch nachts noch immer eine Wärmeinsel ist – und wo Luftschneisen und nächtliche Strömungen dafür sorgen, dass sich Stadtviertel auch wieder etwas abkühlen.

Dabei gab es auch Überraschungen, wie in der von Josephine Förster & Cornelia Burmeister, GEO-NET-Umweltconsulting GmbH, Hannover, erstellten Klimaanalyse nachzulesen ist.

„In der Stadt Leipzig ergeben sich um 4 Uhr nachts Spannweiten der Temperatur von etwa 12,2 Kelvin. Dem Temperaturmaximum von 22,3 °C steht ein Temperaturminimum von 10,1 °C gegenüber. Die mittlere Temperatur im gesamten Stadtgebiet liegt bei 16,4°C“, kann man da lesen. Die Daten beziehen sich auf eine ganz normale Sommerwetterlage.

„Die kühleren Grün-und Freiflächen zeichnen sich im Temperaturfeld sichtbar von den wärmeren Siedlungsflächen ab. Grün- und Freiflächen sind im Leipziger Stadtgebiet durchschnittlich 15,5 °C warm. Die durchschnittliche Siedlungsflächentemperatur (ohne Verkehrsflächen) beträgt dagegen 17,2 °C, die mittlere Temperatur von Verkehrsflächen und Plätzen sogar 18,6 °C. Ebenso ist die Luft über Gewässern (z. B. dem Elsterbecken, dem Cospudener See und dem Kulkwitzer See) mit über 20 °C verhältnismäßig warm. Sie stellen mitunter die wärmsten Bereiche in der Stadt dar.“

Wärmespeicher in der Südvorstadt: der Fockeberg. Foto: Ralf Julke
Wärmespeicher in der Südvorstadt: der Fockeberg. Foto: Ralf Julke

Da wirkt sich das zumeist stillstehende Wasser als idealer Wärmespeicher aus: tagsüber ordentlich aufgeheizt, gibt das Gewässer dann auch noch nachts ordentlich Wärme ab. Der Auensee ist dabei genauso als Wärmespeicher erkennbar wie das Elsterbecken. Was übrigens für die Zukunft heißen müsste: Das Elsterbecken muss wieder ein Fluss werden, so wie die Weiße Elster sonst in ihrem Verlauf auch, denn dort ist sie kühl und kühlt auch die Umgebung. Neben dem Elsterbecken ist auch das Stadion von RB Leipzig ein echter Wärme-Hotspot, was damit zu tun hat, dass die aufgehäuften Trümmerwälle enorme Wärmespeicher sind.

Denn auch das sehen die Studienautorinnen in diesem Bild: „Daneben gibt es aber auch weitere sehr warme Bereiche, insbesondere natürliche und künstliche Erhebungen wie etwa die Deponie Seehausen, der Fockeberg und die Deponie Möckern am Luppedamm.“

Diese von Menschen geschaffenen Müllberge – die Deponie in der Leinestraße gehört genauso dazu wie die ehemalige Deponie bei Großzschocher – sind regelrechte Wärmespeicher. Wer meint, in warmen Sommernächten hier oben Erfrischung finden zu können, hat sich wohl geirrt. Die Erfrischung findet man tatsächlich eher in den Wald- und Parkgebieten oder gleich draußen an den Feldern am Stadtrand, wo die Temperaturen bis zu sechs, sieben Grad niedriger sind als an den Wärmehotspots in der Stadt.

Echte Wärmeinseln in der Nacht sind auch das große – baumlose – Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs, die City und sogar das Gelände der Neuen Messe und das BMW-Werk.

Das Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport, das diese Stadtklimaanalyse wie versprochen vorgelegt hat, hat auch schon einige Schlüsse daraus gezogen, die erstaunlicherweise so ziemlich genau dem ähneln, was die Grünen in ihrem 10-Punkte-Plan gefordert hatten. Das Klimasofortprogramm des OBM war also gar nicht so falsch angesetzt. Nur muss die Klimaanpassung der Stadt jetzt noch viel konsequenter erfolgen, wie man durchaus aus der Erklärung zur Vorlage herauslesen kann. Denn in besonders ausgeprägten Hitzeperioden leiden 63 Prozent des Stadtgebietes unter Überhitzung.

Idealer Wärmespeicher: das Elsterbecken. Foto: Ralf Julke
Idealer Wärmespeicher: das Elsterbecken. Foto: Ralf Julke

Was das Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport als zentrale Ergebnisse der Untersuchung auflistet:

– Etwa 35 % des Siedlungsgebietes befinden sich bereits an durchschnittlichen Sommertagen in einer ungünstigen bis sehr ungünstigen thermischen Situation. Gebiete, für die eine mittlere thermische Situation ermittelt wurde (28 %), können in längeren Hitzeperioden, durch die fortschreitende Erderhitzung und zunehmende Nachverdichtung teilweise schnell in die belastende ungünstige Klasse abkippen.

– Hauptursache für das verhältnismäßig weit verbreitete günstige und mittlere Klima (65 %) ist der Schattenwurf alten Baumbestandes in den Siedlungsgebieten. Die Modellierung zeigt eindrücklich, dass dieser insbesondere am Tage maßgeblich für ein verträgliches Klima der gebäudenahen Freiflächen (Innenhöfe, Hausgärten, etc.) verantwortlich ist. Fehlen Bäume oder sind neue Bäume noch zu klein, geht der Effekt nahezu gänzlich verloren. Nachverdichtung und die Klimakrise gefährden diese abkühlenden Faktoren und können einen starken Anstieg der Betroffenen verursachen.

– Insgesamt können 11 Kaltluftleitbahnbereiche identifiziert werden, die wesentlich zur Entlastung der Urbanen Hitzeinsel beitragen. Allerdings zeigt sich auch, dass ihre Wirkung zum einen nicht in alle Stadtteile vordringen und zum anderen die Belastungen stellenweise nur anteilig reduzieren kann.

Und was kann Leipzig wirklich tun, um die Kühlungseffekte im Stadtgebiet zu verstärken?

Auch das kann das Klimadezernat jetzt ziemlich genau benennen:

„Effektive Maßnahmen, insbesondere die Schaffung von Grünflächen mit Bewässerungskonzept, Entsiegelung und Verschattung sind daher in allen Quartieren mit einer hohen Betroffenheit notwendig, um die Quartiere in die Lage zu versetzten, aus sich heraus die Hitzebelastung zu reduzieren.“

Und wenn die Planer ehrlich sind, muss auch das Elsterbecken endlich wieder geöffnet werden. Denn in seiner jetzigen Form ist es wie ein Wärmespeicher, der auch nachts noch die Innenstadt mit aufheizt, statt hier einen kühlenden Luftstrom zu erzeugen. Das ist, als würde man sich eine Wanne mit heißem Wasser ins Zimmer stellen, in dem es sowieso schon zu warm ist.

Und eine Wärmeinsel wie die Deponie Möckern müsste man eigentlich konsequent abtragen (auch aus anderen Gründen), um auch in diesem Teil der Elsteraue wieder kühlere Lufttemperaturen zu ermöglichen.

Grüne kritisieren: Stadtverwaltung hängt bei Maßnahmen zur Klimaanpassung schon wieder hinterher

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Es gibt 3 Kommentare

Sehr interessant und auch verblüffend.
Aber ist die Vorlage nicht öffentlich?
Der Link endet in einer Fehlermeldung, man sei nicht berechtigt…

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