KommentarNatürlich staunten auch wir bei der L-IZ, als der Stadtrat im Januar plitzplauz und aus heiterem Himmel dem Antrag von Stadtrat Thomas Kunmbernuß (Die PARTEI) zustimmte, die Arndtstraße in der Leipziger Südvorstadt in Hannah-Arendt-Straße umzubenennen. Was dann, wie es aussah, einen ganzen Schwanz von Petitionen zu weiteren Straßenumbenennungen nach sich zog, weil ja auch andere griesgrämige Männer mit verqueren Ansichten im Leipziger Straßenraum gewürdigt wurden und werden.

Aber dabei blieb es nicht, auch wenn die Debatte über Arndt, Jahn und Pinkert seitdem kocht. Was übrigens keine Debatte über Geld und „Stadtgedächtnis“ nach sich ziehen sollte. Das ist das falsche Pflaster zum Diskutieren. Und ob die im Juni beschlossene wissenschaftliche Kommission, die sich der Umbenennungswünsche annehmen soll, so viel mehr Erhellendes beizutragen hat, bezweifle ich.

Denn es geht nicht um historische Korrektheit in der Debatte.

Es geht um die Frage: Wie stehen wir selbst zu diesen Leuten? Wie stellen wir uns zu ihren Ansichten? Und was halten wir aus, dass es dauerhaft im Straßenbild zu lesen ist?

Und wenn jetzt über die Historizität von Ernst Moritz Arndt und seine Rolle in den Befreiungskriegen und ob seine Ansichten damals üblich waren diskutiert wird, verfehlt all das das Thema völlig. Da blasen sich auch die Leute in die Tasche, die Arndt jetzt verteidigen. Denn Fakt ist: Jahrzehntelang hat der Mann hinter dem Straßennamen niemanden interessiert.

Auch nicht die Leute, die da wohnen. Von Arndt bis Fichte gehörten die Herren alle irgendwie in die deutsche Geistesgeschichte. Aber kein Mensch hat noch ihre Schriften gelesen. Sie waren eigentlich mausetot. Toter ging gar nicht.

Wenn Persönlichkeiten, die im Gedächtnis der jetzt lebenden Stadtbewohner keine Rolle mehr spielen, einfach von den Straßenbildern bröseln würden, hätten wir eine ganze Menge leere blaue Straßenschilder. Das wäre ein ziemlich untrügliches Zeichen dafür, dass das, was das Leipziger Verwaltungsdezernat „Stadtgedächtnis“ nennt, nicht funktioniert.

Und dass es nicht stimmt. Die allerwenigsten Straßenbenennungen in Leipzig haben irgendetwas mit Stadtgedächtnis zu tun.

Die meisten sind politische Statements von zeitgenössischen Politikern, die sich ungemein wichtig nehmen und unbedingt eine Spur im Stadtbild hinterlassen wollen.

Denn bevor Thomas Kumbernuß seinen verrückten Antrag gestellt hat, kamen die meisten Anträge, Straßen nach irgendeinem neueren Großkopferten zu benennen, aus den Ratsfraktionen. Sie waren die ersten, die in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckten, als müssten Leute, die sie heute für ungemein wichtig halten, dauerhaft irgendwo in der Stadt eine Straße bekommen. Auch wenn sie überhaupt nichts mit Leipzig selbst zu tun hatten.

Und die Steigerung ist dann, wenn sich dadurch diverse Bürger animiert fühlen, selbst noch lauter neue Straßen(umbenennungs)vorschläge zu machen, weil sie das Gefühl haben, jetzt sei mal wieder Zeit alles umzubenennen.

So wie jüngst die Petition, die Straße des 18. Oktober nach Franklin Delano Roosevelt umzubenennen.

Grandioser kann das Argument „Stadtgedächtnis“ gar nicht scheitern, denn der Petent will ja ausgerechnet die Straße umbenennen, die einerseits direkt zum ehemaligen Gelände der Völkerschlacht führt und auch noch an sie erinnert. In seiner Petition behauptet er auch noch, keine einzige Straße und kein Platz würden an die amerikanische Befreiung im April 1945 erinnern. Hat der Mann gepennt die ganze Zeit? Hat er nie etwas von Capa- und Bowman-Straße gehört?

Das Verwaltungsdezernat schlägt trocken vor, auch noch diesen Namensvorschlag in den Straßennamensvorrat der Stadt aufzunehmen. Wo sich die schrägen Anträge schon türmen. Was aber eine Menge darüber aussagt, wie beliebig die Namensfindung in Leipzig wirklich ist. Man hat auch bei Neubenennungen nicht wirklich das Gefühl, dass ein wirklich drängendes Bedürfnis da ist, jemanden mit einer Straßenbenennung zu würdigen. Jeder darf mal.

Da taucht dann auch mal eine Petition auf, eine Straße nach dem Chirurgen Caspar Schamberger zu benennen, den außerhalb der Medizingeschichte kaum jemand kennen dürfte.

Verständlicher ist noch, wenn die Stadträte Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) und Beate Ehms (Die Linke) einfach mal beantragen, aus der Huchstraße eine Ricarda-Huch-Straße und aus der Feuchtwangerstraße eine Marta-Feuchtwanger-Straße zu machen. Bei Ricarda hat die Stadt wohl einfach den Vornamen weggelassen. Bei Marta wäre es mal eine Würdigung für die Frau, die eben mehr war als nur die Frau an der Seite von Lion Feuchtwanger.

Und wirklich stringent und ganz und gar nicht im Sinn eines klug gestalteten Stadtgedächtnisses sind auch die Benennungspläne der Stadt für die derzeitigen Neubaugebiete, weshalb die SPD-Fraktion die Aufhebung der Pläne zur Benennung der Straßen westlich des Hauptbahnhofs beantragt hat. Die Sache wurde im Juli im Stadtrat erst einmal wieder vertagt.

Weder Verwaltung noch die Ratsfraktionen haben in Wirklichkeit ein durchdachtes Konzept zur Straßen(um)benennung in Leipzig. Jedenfalls keines, das durch Logik überzeugt, und auch keines, das wirklich hohe Maßstäbe für das Thema Stadtgedächtnis setzt. Das macht Straßenbenennungen wie auch 1870 schon zum Spielball der Politik. Oder derjenigen, die gerade die Macht haben, ihren Schwung Straßen nach ihren politischen und (un-)literarischen Vorlieben zu benennen. Manchmal gibt es dann kluge Vorschläge, oft genug aber lauter politische Eitelkeiten.

Vielleicht sollte der Stadtrat einfach ein (Um-)Benennungs-Moratorium beschließen, bis man wirklich ein akzeptables gemeinsames Regelwerk entwickelt hat (und den Straßennamenvorrat einfach mal ausmisten, weil da nun wirklich nicht jeder wilde Vorschlag reingehört).

Und bis dahin kann man es machen wie in New York: einfach durchnummerieren. Ich würde auch lieber in einer Fifth Avenue wohnen als in einer nach einem drögen, längst vergessenen alten Mann benannten Straße, dessen Texte man nicht mal mehr ohne Magengrimmen lesen kann.

Der Stadtrat tagt: Wissenschaftliche Kommission soll sich mit Straßennamen befassen + Video

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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 81: Von verwirrten Männern, richtigem Kaffee und dem Schrei der Prachthirsche nach Liebe

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Leider hat der Kommentator vergessen, dass in diesem Jahr Friedrich Hölderlin anläßlich der 250. Wiederkehr seines Geburtstages besonders gewürdigt wird. Und viele Texte dieses Dichters weisen Bezüge zu Fichte auf, denn Hölderlin war Fichtianer. Und somit kann der Philosoph Johann Gottlieb Fichte gar nicht “mausetot” sein.
Diese ganze Straßennamen-Stürmerei lässt das Bewusstsein für Geschichte total vermissen. Statt der Demontage sollte die Information in Form von Tafeln, die das Suspekte der jeweiligen Personen zu deren Leistungen stellen, die Straßenschilder ergänzen.

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