Gegen 21 Uhr des 30. November standen die ausdiskutierten Politiker des Podiums noch beieinander, es wurde weiter gearbeitet. Denn so sahen es einige, die zu Beginn vor allem die Anwesenheit von Juliane Nagel โ€“ die prรคsenteste Ferngebliebene des Abends โ€“ einforderten. Als Arbeit, da es doch ihre steuerlich bezahlte Pflicht sei, sich hier zu stellen. Vor der Tรผr gab es zum Empfang stattdessen eine Demo, eine Sicherheitsschleuse fรผr Teilnehmer und am Ende des Abends eher den Eindruck, dass manche Grundregeln des Miteinanders offenbleiben mussten.

Die Debatte am 30.11.2016 in Leipzig zum Thema Gewalt in der Messestadt. Es diskutieren (vlnr.) Uwe Wurlitzer (AfD), Valentin Lippmann (Grรผne), Bjรถrn Meine (LVZ/Moderation), Dr. Thomas Feist (CDU), Holger Mann (SPD), Enrico Stange (Die Linke) und das Publikum.

Vor allem aus den vorderen Reihen des mit knapp 70 Menschen gefรผllten Saales, besetzt von AfD-Funktionรคren รผber Ex-Legida-Vorstand Arndt Hohnstรคdter bis hin zu einem รผber linksextreme Gewalt besorgten Bรผrgerrechtler Tobias Hollitzer, gab es den groรŸen Wunsch, sich in die Bรผrgerdebatte mit ganz eigenen Statements vor allem zu linksextremer Gewalt einzubringen. Die andere, im Saal hinten sitzende, jรผngere Hรคlfte des Publikums bekam so genรผgend Gelegenheiten, den Kopf zu schรผtteln. Am Ende stand auch die Frage nach der Tauglichkeit des gewรคhlten Gesprรคchsformates. Auch da das Wort Selbstverantwortung fรผr eigenes Handeln zu keinem Zeitpunkt fiel โ€“ vor allem wurde aus dem Publikum das Gefรผhl ventiliert, Opfer der Verhรคltnisse zu sein.

Gut, dass die Debatte frรผh geรถffnet wurde.

Video โ€“ Teil 1

Ein Podium, fรผnf Politiker, ein LVZ-Lokalchef Bjรถrn Meine, der sich eher jonglierend als moderierend betรคtigte und knapp zwei Stunden Zeit. Bei einem Thema, welches sich wohl niemals an den offensiven Erscheinungsformen festmachen lassen wird. Gewalt, hier nur im extremistischen Sinne gedacht und erst durch eine letzte fast unbeholfene Zuschauerfrage auf eine der vielen Ursachen wie Bildung, soziale Fragen und Chancen in der aktuellen Leipziger Stadtgesellschaft gelenkt. Vielleicht hรคtte dies sogar der Anfang sein mรผssen, um die Frage zu ergrรผnden, woher die Gewalt kommt.

Den lรคngsten Teil des Abends bekamen hingegen die, welche gern Standgerichte รผber Flรผchtlingspolitik, die Bundeskanzlerin oder eventuelle Gesetzesbrรผche abhalten wollten. Und teils hรถrbar murrten, wenn sich ein Politiker links der CDU zu lange zu รคuรŸern schien.

Video โ€“ Teil 2

So dass im Konsens der brutal angegriffenen Bรผrgerbรผros von Politikern fast unterging, dass es Asylbewerber, Flรผchtlinge und ihre Unterkรผnfte sind, die seit zwei Jahren in Sachsen attackiert, verunglimpft und zum Ziel von Brandanschlรคgen gemacht werden. Bis auch dies aus dem hinteren Teil des Saales angemahnt und vom Podium, erneut linksseits der CDU gesehen, bestรคtigt wurde.

Die Gewalt selbst als Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wurde erwartungsgemรครŸ von allen auf dem Podium abgelehnt. Scheinheiligkeiten inklusive. Bis sich auch dazu erneut der hintere Teil des Saales meldete und Uwe Wurlitzer (AfD) darauf hinwies, dass auch er und seine Partei Teil der verbalen Gewalt sei. Was dieser verneinte, letztlich gehรถrten ja Pressemitteilungen und ร„uรŸerungen zum politischen Geschรคft. Angriffe auf den politischen Gegner inklusive.

Auch gegen die abwesende, anfangs irritierend omniprรคsente Juliane Nagel, die sich jedoch im Nachgang auf einen eloquenten Enrico Stange als Ersatz berufen kann, richteten sich Vorwรผrfe.

Apropos Geschรคft

Alle Legida-Positionen und die der AfD fanden letztlich statt, die scheinbare Mehrheit in der Gesellschaft gelang an diesem Abend fรผr diejenigen Teilnehmer, die sich hier zeitig bei der Stadthotline angemeldet hatten. Vertreter Legidas traten mit eher kruden Rechtsansichten zum Thema Demonstrationsgesetze auf. Weitab des Themas Gewalt in Leipzig wurden auch gesetzlich versicherte Grundrechte eines jeden Menschen in Deutschland infrage gestellt. Und natรผrlich falsch berichtende Medien aufgezรคhlt und mit Schimpf und Schande รผberzogen.

Video โ€“ Teil 3

Hier von einem TV-Journalisten aus dem Westteil Deutschlands, der scheinbar in den letzten 10 Jahren nicht wahrgenommen hat, dass Neonazis kaum noch Glatzen tragen.

Uwe Wurlitzer konnte sich oft genug fรผr die AfD ruhig zurรผcklehnen, er galt an diesem Abend eher als Angegriffener. Auch der โ€žnormale Bรผrgerโ€œ fand statt, der Nazi, wie er einst in Bomberjacke und mit Springerstiefeln herumlief und was sich heute an diesem Abbild geรคndert hat, auch. Auch Rechtsanwalt Arndt Hohnstรคdter, inmitten der AfD-Mitglieder sitzend, konnte die Chance nutzen, sich als โ€žeinfacher Bรผrgerโ€œ zu Wort zu melden und den Leipziger Polizeichef Bernd Merbitz (nicht anwesend) als linksblind anzugreifen. Es blieb also Thomas Feist (MdB, CDU) รผberlassen zu antworten und den รผblichen Legida-Vorwurf zurรผckzuweisen.

Mancher meldete sich mit gรคnzlich anderen Beitrรคgen zu Wort. Und es wurde immer dann deutlich, dass es viele Verunsicherungen mehr gibt, als nur linksextreme und rechtsextreme Gewalttaten, wenn mal ganz kurz mehr aufblitzte, dass es irgendwie Grรผnde geben mรผsste. Doch an die Ursachen fรผr ansteigende politische Gewalt gelangte man an diesem Mittwochabend eher nicht. Dafรผr fehlte eben dies, was Kritiker bereits vor dem Abend angemerkt hatten โ€“ die Beteiligung von Menschen, die sich jahrelange Expertisen in eben jenen Bereichen erarbeitet haben. Und nun hรคtten eingreifen kรถnnen, erklรคren und dies vielleicht auรŸerhalb des politischen Raums.

Video โ€“ Teil 4

Da fehlte letztlich auch LVZ-Lokalchef Meine die wirkliche Leipziger StraรŸenerfahrung mit Legida, als es indirekt um die โ€žLรผgenpresseโ€œ aus dem Hause Madsack ging. Mehr als die in AfD-Kreisen eher belรคchelte Quellengegenfrage blieb nicht. Dabei ging es um nicht weniger, ob die LVZ nun einzelne Legida-Teilnehmer Neonazis genannt hatte oder nicht. Sie waren in jedem Fall dabei, nur Namen schienen Meine nicht prรคsent, weshalb er sich auf die rhetorische Rรผckfrage verlegte, wann dies die LVZ behauptet habe.

Vielleicht der Moment des Abends, wo sichtbar wurde, dass es der Kreis der sichtlich um Verstรคndigung bemรผhten Politiker besser als der soeben involvierte Moderator machte. Sie parierten und gaben auch untereinander Contra.

Das Wohlmeinende der Veranstaltungsidee ging letztlich fรผr diejenigen Teilnehmer in Ordnung, die bislang noch keine Lust auf eine tiefergehende Beschรคftigung mit dem Thema โ€žDebatte statt Gewaltโ€œ hatten. Im Saal eher vorn sitzend. Dafรผr war das Angebot ausreichend.

Und deshalb hatten am Ende alle irgendwie Recht und doch nicht. Man solle sich รถfter unterhalten und die Debatte aufnehmen. Ob Politik einfach oder komplex zu erklรคren ist, blieb Dissens โ€“ AfD und CDU fรผr einfache, der Rest fรผr komplexere Erklรคrungen. Dr. Thomas Feist (CDU) forderte am Ende von der Stadt Leipzig, solche Veranstaltungen aufzuzeichnen oder live zu รผbertragen. Hiermit geschehen, ganz ohne Stadtverwaltung und Steuergeld, wie es in der Bรผrgerstadt Leipzig geschehen sollte.

Fazit โ€“ als eines von 76 (inkl. Podium)

Ein Thema, welches mit entsprechender Vorbereitung, Fachleuten und Kontinuitรคt groรŸe Sรคle fรผllen kรถnnte, geriet unter einem linken Ordnungsbรผrgermeister zu einem wohlfeilen Quickie mit AfD-Sprech und so manchem Opfermythos. Dafรผr begann am 30. November anderen Ortes ein echter Verstรคndigungs-Prozess namens โ€œUrbane Gewaltโ€ in Leipzig als dreijรคhriges Projekt (davon spรคter mehr).

Bleibt: โ€žDer Vorhang zu und alle Fragen offen.โ€œ Kein Zustand, der noch lange so bleiben sollte. Das Thema ist mehr wert, als eilig ein paar durchaus kompetente Politiker in einen Saal zu werfen und zu schauen, was sie so mit einem LVZ-Publikum zustandebringen. Wichtig auch angesichts des Themas โ€“ es gab keine Gewalt an diesem Abend. Oder um es mit Holger Mann zu sagen: โ€œWo Gewalt beginnt, endet Politikโ€. Der groรŸe Rest bleibt also beim durchaus sonst gern schweigenden Bรผrger.

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