Schaut man sich die Rรผckmeldungen aus allen Ecken der jeweiligen Demonstrationen genauer an, fรคllt am Tag nach dem Legida-Marsch vom 20. April in Leipzig vor allem eines auf. Jeder bezichtigt wieder jeden, Anlass scheint es auf allen Seiten dazu zu geben. Eigentlich mรผssten seit gestern Abend, so denn alle Behauptungen im Netz stimmen, viele Anzeigen bei Polizei oder Staatsanwaltschaft eingehen. Die Hinweise auf Gewalt aus den Gegenprotesten heraus mehren sich ebenso, wie die Augenzeugenberichte รผber das teils strafbare Vorgehen der Polizei am gestrigen Abend.

Wรคhrend Legida mittlerweile auf einen Kern von gut 500 Teilnehmern geschrumpft ist, kam es am gestrigen Abend vor allem zwischen der Polizei und den Gegendemonstranten zu ebenso ernsthaften Auseinandersetzungen, wie zu Angriffen auf den Demonstrationszug von Legida. Im Nachgang soll es โ€“ noch unbestรคtigt โ€“ zu Jagdszenen von einigen Legida-Teilnehmern auf Gegenprotestler gekommen sein, es existieren auch umgekehrte Behauptungen โ€“ Beweise fehlen oft. Nicht weiter verwunderlich, denn seit gestern Abend dรผrfte auch klar sein, dass Lok-Hooligans den Flankenschutz bei Legida offiziell angeboten und wohl auch durchgefรผhrt haben.

Dennoch handelt es sich hierbei um Gerรผchte, wenn es um die Straftaten geht. Erst die Nachfrage bei der Polizei รผber die eingegangenen Strafanzeigen kรถnnte ein wenigstens etwas genaueres Bild liefern. Doch gerade die gewaltaffine FuรŸballszenerie gilt als verschwiegen. Und die Polizei selbst ist lรคngst in der Kritik, seit sich die Berichte รผber harte Zugriffe hรคufen.

Fotos bei Flickr รผber den Einsatz der Beamten in Leipzig

www.flickr.com/photos/110931166@N08/16595562794

Ein weiteres Problem in der Rรผckschau auch, wie bei jeder derart unรผbersichtlichen Situation, welche sich am 20. April zwischen Augustusplatz, Neuem Rathaus, Simsonplatz und Ring darstellte: Jeder erlebt das Geschehen aus seiner Perspektive und auch Journalisten konnten bei der eher dezentralen Situation rings um die Route von Legida nicht รผberall gleichzeitig sein.

Doch das Gesamtbild der Hinweise und Augenzeugenberichte am Tag danach macht eher betroffen. Auch die Instrumentalisierungsversuche und die Rohheit im Umgang miteinander haben die normalen Parameter einer demokratischen Auseinandersetzung lรคngst verlassen โ€“ Legida geht es รผberdies eher darum, als Mรคrtyrer dazustehen โ€“ verfolgt von Staat und Stadt.

Der bekannte Leipziger Journalist Thomas Datt meldete sich via Twitter bei der L-IZ.de: โ€žNatรผrlich gab es aus der Rudolphstr. Steinhagel auf Legida. Traf mehrere Demonstranten. Und das mit der Horizontal-Rakete war knapp.โ€œ Ein Video, welches von einem Legida-Anhรคnger mit dem Handy aufgezeichnet und bei Youtube eingestellt wurde, zeigt erst das heranfliegende Bengalfeuer, eine Silvesterrakete und anschlieรŸend einen undefinierbaren Gegenstand, welcher ein Farbbeutel oder ein Stein sein kรถnnte.

 Die Aufnahme aus dem Legida-Zug heraus

Ein weiterer Augenzeuge, welcher im hinteren Teil des Demonstrationszuges von Legida mitlief, berichtete anschlieรŸend gegenรผber L-IZ.de per E-Mail seine Eindrรผcke zu den Attacken von Gegendemonstranten: โ€žSteine sind sicher geworfen worden von der Gegendemoseite, da lagen einige ziemlich groรŸe auf der StraรŸe, etwas vor dem Bengalofeuer, hatte auch die Polizei mitbekommen. Mit einer Rakete wurde von Gegendemonstranten beim Rรผckweg auf den Legida-Demozug geschossen, nahe des Bengalofeuers (von der Parkanlage rechts), dies geschah kurz vor mir. Auf dem Hinweg des Rundganges gab es auch einen Flaschenwurf auf den Demozug.โ€œ

Dies also die Perspektive aus dem Demonstrationszug von Legida heraus. Interessant zu erfahren wรคre wohl auch, wie sich die gleichen Demonstranten fรผhlen wรผrden, wenn sie die Erfahrungen der Gegendemonstranten gemacht hรคtten?

Wรคhrend also bereits am gestrigen Abend Legida-Veranstalter Silvio Rรถsler die von Gewalt betroffenen Anhรคnger aufforderte, sich an der Bรผhne zu melden, um die jeweiligen Vorgรคnge zur Anzeige zu bringen, sahen sich manche Gegendemonstranten von NoLegida bereits vor dem Start des Demonstrationszuges einer ziemlich einsatzfreudigen Polizei gegenรผber. Diese berรคumte, entgegen allen sonstigen Einsatzregeln, ohne weitere Vorwarnungen oder Ansprachen mindestens einen Blockadeversuch mittels Pfefferspray und Schlรคgen. Statt die wenigen Blockierer gegebenenfalls beiseite zu tragen, wandten diverse Beamte Gewalt gegen passive, also nicht attackierende Protestierer an.

Einfach reintreten. Screen MDR-Video
Einfach reintreten. Screen MDR-Video

Da es sich bei einem Blockadeversuch juristisch gesehen um eine Ordnungswidrigkeit handelt, darf man es durchaus so vergleichen: Man stellt seinen Wagen im absoluten Halteverbot ab und die heraneilende Polizei sprรผht erst CS-Gas in die noch offenen Augen, um einen anschlieรŸend รผber die StraรŸe auf die nรคchste Grรผnflรคche zu zerren.

Nach Videoaufnahmen des MDR trat รผberdies bei der Blockaderรคumung ein Beamter ohne Anlass auf einen sitzenden Blockierer ein. Und รผberschritt in diesem Moment deutlich das, was man in einer Uniform veranstalten sollte.

Hier auf MDR.de zu sehen

www.mdr.de/mdr-aktuell/video266156.html

ร„uรŸerte sich zum Beginn des gestrigen Abends Polizeisprecher Andreas Loepki gegenรผber dem MDR dezidiert ruhig zum vorab auf dem indymedia verbreiteten, anonymen Gewaltaufruf, wirkte das Vorgehen der Einsatzbeamten kontrรคr bei der Blockadeberรคumung alles andere als normal. So verwies Loepki zurecht darauf, dass man den Aufruf zwar ernst nehme, aber es nicht neu sei, dass die โ€žlinksextremistische Szene Legida am Laufen hindern mรถchte. Insofern gehen wir damit professionell und ein Stรผck weit routiniert um.โ€œ.

Wieso dann jedoch bei einer gegenรผber frรผheren Demonstrationen in Leipzig weit geringeren Zahl an Demonstranten auf beiden Seiten eine Miniblockade aus maximal 30 Personen derart attackiert wurde, bleibt wohl Thema der jeweiligen Einsatzpolizisten vor Ort. Routine war es jedenfalls nicht. Das zusรคtzliche Problem der friedlichen Protestierer: eine Anzeige scheint sinnlos, die Einsatzeinheiten halten meist dicht. Und eine wirkliche Innenrevision scheint es bei der sรคchsischen Polizei nicht zu geben.

Alles beim Gewohnten also? Wenn da nicht dieses MDR-Video wรคre. Und die vielen Fotos im Netz.

Der MDR mit dem Liveticker und weiteren Videos (Interview mit Andreas Loepki)

www.mdr.de/sachsen/ticker-legida-leipzig102_zc-f1f179a7_zs-9f2fcd56.html

Dazu ergรคnzend ein Text unserer Social-Media-Redaktion zu den Debatten um Polizeigewalt auf Facebook

Da in unserer Redaktion bereits Menschen in รคhnlichen Bereichen Verantwortung รผber bis zu 30.000 Menschen getragen und in Stresssituationen zum Wohle Dritter wahrgenommen haben, dรผrfen wir uns auch mal interner รคuรŸern: Es ist egal, welche Haltung man in einer solchen Einsatzposition selbst zum Thema hat. Es ist รผbrigens Pegida-Stil, hier eine politische Polizei, welche ihren Zielen zugeneigt sei, zu propagieren. Eine politische Polizei gab es mal, es waren immer Diktaturen, die solche Polizisten wollten und befรถrderten. Deshalb ja auch die Gewaltenteilung in Deutschland.

Es geht immer auch (neben dem Eigenschutz und dem Schutz der Versammlungsfreiheit) um den Schutz der Gesundheit der anwesenden Demonstranten, wenn Polizisten im Einsatz sind. Und um die Strafverfolgung bei รœbergriffen. Wer also verfolgt, wenn Polizeibeamte selbst รผbergriffig werden? Wo ist der Schutz des Demonstranten?

Ganz gleich, welcher Farbe, Lebensweise oder Nationalitรคt, der Schutz der Bรผrger vor Kriminalitรคt muss das Handeln eines Polizisten leiten. Eine Sicht auf den eigenen Job, welche offenbar einigen Einsatzbeamten schwer zu vermitteln ist, wenn sie selbst zur handelnden Partei und teils zu Tรคtern werden. Dies ist vielleicht menschlich noch nachvollziehbar, rechtlich weniger. Aufgrund des eingerรคumten Gewaltmonopols jedoch nicht zu dulden.

Hinzu kommt, dass die Polizei durchaus darauf achten sollte, welches Image sie in der Bevรถlkerung hat. Denn sie ist oft der erste Kontakt fรผr Menschen in erregten Situationen und muss der Sonderrolle als Staatsgewalt besonders nachkommen. Baut sich hier Misstrauen auf, kann es schnell dazu kommen, dass so manche Anzeige gar nicht mehr gestellt wird. In gewissen Kreisen der FuรŸballkriminalitรคt ist es lรคngst soweit โ€“ das Recht wird auf eigene Faust wahrgenommen.

Was uns zurรผck zum Gewaltmonopol des Staates als eine Sรคule einer modernen Gesellschaft fรผhrt. Dies wird gerade durch Beamte unterminiert, welche sich in einer unangreifbaren Position glauben und irgendwann selbst fรผr Unrecht sorgen. Sollte es hier so gewesen sein โ€“ und es sieht ganz danach aus โ€“ dann ist es eine Frage, der man auch in Einzelfรคllen als Presse und auch als Bรผrger dringend nachgehen muss. Egal wie schwer dies auch fรผr alle Beteiligten werden kรถnnte und egal, ob anschlieรŸend wieder nichts herauskommt โ€“ auรŸer Schweigen.

Dies alles schreiben wir in Kenntnis und jahrelanger Begleitung von Polizeiarbeit in Leipzig. Und im Wissen, dass sich viele redlich in diesem Job bewรคhren und Respekt verdienen. Auch die gilt es zu schรผtzen. Vor Kollegen, die ihre Arbeit mit Dreck bewerfen.

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

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Es gibt 2 Kommentare

Seit wann sind denn Hooligans eine Organisation, die etwas โ€œoffiziellโ€ ankรผndigen kann!? Der Verein, dem sie sich ungefragt zuordnen, hat damit jedenfalls NICHTS zu tun und distanziert sich nicht nur davon, sondern verbittet sich, in diesem Zusammenhang auch nur erwรคhnt zu werden (sage ich jetzt mal als Mitglied).
Ein Verein hat keine Hooligans. Er hat lediglich Mitglieder und Angestellte, fรผr deren Handlungen er im Rahmen geltender Gesetze ggfs. haftbar gemacht werden kann. Handlungen von Personen, die sich einseitig als โ€œFansโ€ oder gar โ€œHooligansโ€ bezeichnen, kรถnnen dem Verein nicht angelastet werden, da er mit diesen in keinerlei Rechtsbeziehung steht und demzufolge auch keinen wirksamen (rechtlich durchsetzbaren) Einfluss auf sie nehmen kann, sondern sich nur davon distanzieren kann. Wรคre nett, wenn das auch die Medien zur Kenntnis nehmen kรถnntenโ€ฆ

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