Nicht mal im Videostream ist es nachvollziehbar, was da eigentlich kurz nach einer Imbisspause im Leipziger Stadtrat am 14. Oktober geschah. Denn noch während der Ton abgeschaltet war, begann irgendwie die Abstimmung über mehrere Petitionen. Und die allererste war ausgerechnet die vom NABU Leipzig initiierte „Bauen und Natur erhalten! Artensterben stoppen! Wertvolle Grünflächen für Leipziger schützen!“ Deswegen haben wir hier nur die Schilderung der Nabu-Beobachter selbst, die über den Vorgang ziemlich entsetzt waren.
Die Tonaufzeichnung im Videostream setzt erst mit der Abstimmung zur Petition „Expo 2030 in Leipzig“ wieder ein. Die vier Petitionen davor müssen geradezu im Eilzugtempo durchgezogen worden sein, jede mit der kurzen Frage des OBM in den Stadtradt „Gibt es Gegenstimmen?“ Da es augenscheinlich keine gab, galten die Stellungnahmen des Petitionsausschusses dann regelmäßig auch als so beschlossen.
Nur: Was hilft das den Petenten, die damit ja auch ihr Thema in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit heben wollten?
Die Sichtweise des Nabu Leipzig:
Stadtrat demonstriert Gleichgültigkeit
Naturschutz-Petition wurde bei Abwesenheit etlicher Stadträte ohne ein weiteres Wort zu den Akten gelegt
In der Stadtratssitzung am 14. Oktober 2020 saßen auch einige Vertreter des NABU Leipzig auf der Besuchertribüne, die 2019 die Petition „Bauen und Natur erhalten“ initiiert hatten. Geschockt von der Arbeitsweise des Stadtrats verließen sie nach etwa dreieinhalb Stunden das Rathaus, und zwar kurz nachdem der Stadtrat über die Petition abgestimmt hatte.
Unmittelbar nach einer Sitzungspause war ein Großteil der Stadträte noch vor dem Sitzungssaal beim Imbiss, als der Tagesordnungspunkt abgehandelt wurde. Die wenigen im Sitzungssaal überhaupt anwesenden Stadträte brauchten nur 30 Sekunden, um monatelanges ehrenamtliches Engagement des NABU Leipzig in den Papierkorb zu werfen.
Alle Mühe im Vorfeld, seitenlange Stellungnahmen zu verfassen und monatelang Unterschriften zu sammeln, war vergebens, und schlimmer noch: Die Unterschriften von mehr als 6.000 Unterzeichnern sind den Stadträten egal. Ohne ein weiteres Wort wurde die Beschlussvorlage angenommen.
Diese enthielt den sogenannten Verwaltungsstandpunkt, eine Antwort der Ämter auf die Petition, die jedoch auf die in der Petition genannten acht Forderungen gar nicht eingeht.
Stattdessen verwies der Verwaltungsstandpunkt auf ohnehin geplante Maßnahmen und existierende Gesetze. Dass diese offensichtlich nicht ausreichend sind, war ja Anlass der Petition, die Beschlussvorlage ignorierte also vollkommen die Forderungen der Unterzeichner. Der Stadtrat hat sich dieser Ignoranz angeschlossen und in einer erschreckenden Art und Weise die Meinung der Bürger und das Engagement der beteiligten Vereine ohne ein weiteres Wort für irrelevant erklärt.
Weshalb die Petenten zu diesem Tagesordnungspunkt überhaupt eingeladen wurden, ist bei dieser Vorgehensweise unverständlich.
Schöne Titel wie „Kommune der Biologischen Vielfalt“, „Baumstarke Stadt“ oder „Leipzig wächst nachhaltig“ bleiben damit reine Lippenbekenntnisse. Die tagtägliche Zerstörung der Stadtnatur wird weitergehen, die unzeitgemäße Betonpolitik wird fortgesetzt. Der Umgang mit der mühsam erarbeiteten Petition ist respektlos, scheint aber üblich zu sein. Denn nicht nur die Petition der Naturschutzverbände wurde in diesem Eiltempo negiert, auch weitere Bürgerpetitionen wurden in dieser Art und Weise abgehandelt.
Der NABU-Regionalverband Leipzig e. V. repräsentiert rund 4.000 Mitglieder, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese Anliegen sind vielen Stadträten nicht einmal wert, bei der Abstimmung anwesend zu sein. Das waren 30 Sekunden, die das Vertrauen in die ernsthafte Arbeitsweise des Leipziger Stadtrates schwer erschüttern.
Der im Internet verfügbare Videomitschnitt der Ratsversammlung hat übrigens just an dieser Stelle keinen Ton – das ist durchaus symbolhaft, denn es wurde ja inhaltlich ohnehin nichts gesagt.
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Natürlich wurde nicht die Stellungnahme der Verwaltung beschlossen. Jedenfalls nicht direkt. Denn zum Beschluss kam auch in diesem Fall der Beschlussvorschlag des Petitionsausschusses – der übrigens nicht verpflichtet ist, den Verwaltungsstandpunkt zu übernehmen.
In diesem Fall hat er es aber getan, sodass sich das ziemlich umfassende Anliegen der Petition im wesentlichen auf diesen Beschlusspunkt reduziert: „Um der Intention der Petition zu folgen, wird der Oberbürgermeister beauftragt die Voraussetzungen für die Erarbeitung einer Stadtbiotopkartierung und einer Biotopverbundplanung mit Unterstützung der Umwelt- und Naturschutzverbände als Grundlage für den Arten- und Biotopschutz für die Gesamtstadt zu prüfen und auf Grundlage der Haushalteckwerte dem Stadtrat eine Vorlage im IV. Quartal 2020 vorzulegen.”
Ob das so tatsächlich das Ansinnen der Petition erfüllt, ist schwierig einzuschätzen. Denn das Stadtplanungsamt hat sehr wohl registriert, dass die Petition von der Stadt mehr verlangt, als gesetzlich vorgeschrieben ist: „Aus Sicht der Stadtverwaltung sind die konkreten Forderungen verständlich, allerdings müssen dabei einerseits die rechtlichen Rahmenbedingungen und andererseits die vorhandenen Handlungsspielräume beachtet werden.“
Genau das war ja das Problem, auf das der NABU Leipzig aufmerksam machte: Die gesetzlichen Vorgaben reichen in einer Zeit der forcierten Klimaerwärmung und des massiven Artenschwundes schlichtweg nicht aus, um die Artenvielfalt in einer Stadt zu bewahren. Leipzig müsste tatsächlich deutlich über das hinausgehen, was sich der Gesetzgeber vor Jahrzehnten bei der Rahmensetzung mal gedacht hat.
In einem Punkt widerspricht die Verwaltung sogar direkt dem Anliegen des Naturschutzbundes: „Die Stadtverwaltung unternimmt sowohl bei Bauvorhaben als auch in Bebauungsplänen viel, um innerhalb des gesetzlichen Rahmens den Anforderungen des Artenschutzes Geltung zu verschaffen. Allerdings zeigt sich unter den Bedingungen der wachsenden Stadt zunehmend, dass ein weitgehend isoliertes Vorgehen für die jeweiligen Einzelstandorte nicht genügt, sondern auch eine Einordnung in den gesamtstädtischen Kontext nötig ist.“
Gerade hier stellt der NABU ja fest, dass das städtische Handeln sichtlich nicht genügt, ganz konkrete wichtige Biotope und Schutzräume für Tiere und Pflanzen bei Bauvorhaben zu sichern. Da werden komplette Grundstücke beräumt, Baufelder „frei gemacht“, wie das so schön heißt, bei Sanierungen auch noch die letzte Nisthöhle beseitigt und praktisch nie erfasst, was hier tatsächlich an (nicht nur seltenen) Tierarten lebt.
An dem Punkt hätte man allermindestens eine Diskussion im Stadtrat erwartet. Aber die hätte mehr als nur ein paar Sekunden gedauert. Dauern müssen.
Biologische Vielfalt ohne Schutz: NABU Leipzig nimmt den Verwaltungsstandpunkt zur Petition „Bauen und Natur erhalten!“ auseinander
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Es gibt 3 Kommentare
“Jeder Petent hätte die Chance auf Stadträte seines Vertrauens zuzugehen… …um das Anliegen besser zu verstehen…”
Mit anderen Worten: Interessiert uns nicht.
Liebe Petenten, der Petitionsausschuss trifft mit 13 Mitgliedern des Stadtrates Entscheidungen wie mit Petitionen umgegangen werden sollte. Jeder Petent hätte die Chance auf Stadträte seines Vertrauens zuzugehen um die Entscheidung dort mit Informationen zu füttern und es besteht auch die Möglichkeit das Stadträte sagen diesen Petenten möchten wir bitte einladen um das Anliegen besser zu verstehen auch dafür müsste man auf die Mitglieder zugehen. So entsteht im Ausschuss ein Vorschlag an den Stadtrat der dann in der Ratsversammlung meist ohne größere Debatte ( denn die wurde ja im Petitionsausschuss geführt ) beschlossen wird. Leider waren dieses mal kurz nach der Pause noch nicht alle Stadträte zurück aber das hätte die Abstimmung wahrscheinlich nicht verändert aus oben ausgeführten Gründen. Das der Livestream nicht korrekt läuft ist sicher großer Mist!
Andreas Geisler Stadtrat der SPD Fraktion
Die artenschutzrechtlichen Verbote sind im BNatschG formuliert und bei allen öffentlichen als auch privaten Bauvorhaben strikt zu beachten. Ob die Stadt Leipzig ihre und die privaten Bauvorhaben zusätzlich beschränken möchte, ist eine reine politische Entscheidung. Das ein mehr an Artenschutz, wie das aufhängen von Vogel-oder Fledermauskästen oder die artenschutzgerechte Sanierung von Gebäude einen Einfluss auf den Klimawandel haben soll, ist offensichtlich nur eine politische Wunschvorstellung.