Es hat nicht mit dem Drama um Jaber Al-Bakr angefangen. Dass der Freistaat Sachsen als Staatsgebilde in den letzten Jahren regelrecht erodiert ist, hat mit einer Regierungspolitik zu tun, die das Land wie einen zu teuren Konzern regiert, das Personal eindampft und vor den tatsächlichen Problemen immer nur die Augen verschließt. Gegen diese katastrophale Regierungspolitik soll am Montag, 24. Oktober, in Leipzig demonstriert werden. Dann will eine Initiative wieder „Druck machen“.

Natürlich nicht in Dresden, wo man selbst das Phänomen PEGIDA lange Zeit verharmloste, genauso wie man die sich verfestigenden rechtsradikalen Netzwerke im direkten Umland verharmloste und ignorierte. Bis dann die ersten Flüchtlingsunterkünfte brannten. Und obwohl immer wieder Ereignisse um Rassismus und fremdenfeindliche Übergriffe in Sachsen deutschlandweit Furore machten, änderte sich nichts. Die regierende CDU machte einfach immer weiter auf einem Kurs, bei dem ein echtes Engagement für eine lebendige Demokratie kaum noch zu erkennen war.

Die regierende Partei lebte von einer Stimmung im Land, in der sich viele Sachsen selbst einlullten im Glauben, dass Sachsen ganz von allein zum Champion unter den Ländern werden würde. Es war – gleich mal Konstantin Wecker zitiert – „Friede im Land“. Nur ein falscher Friede. Einer, bei dem Kritik am Real Existierenden regelrecht verpönt war.

Das muss sich ändern, findet die Initiative „Druck! Machen.“ Zu deutlich wird gerade in den letzten Tagen, dass die Regierung Tillich keine Lösungen mehr vorzuschlagen hat. Die Krise zerfrisst nicht nur den Rechtsstaat mit Polizei und Justiz, die beide unter heftigem Personalmangel leiden. Sie hat auch das Bildungssystem erfasst, in dem seit vier Jahren nur noch mit Notprogrammen gearbeitet wird, weil die Regierungsspitze eine wirklich bedarfsorientierte Lösung des auch hier herrschenden Personalmangels blockiert.

Da waren selbst die kleineren Parteien im Land bisher erstaunlich ruhig, was manchmal so aussah, als würden sie diesen Blockadekurs tatsächlich mittragen. Aber das könnte jetzt ein Ende finden.

Mit der Gründung von „Druck! Machen.“ scheint sich das zu ändern. Im Forderungskatalog der Initiative werden die Unterzeichner deutlich: „Viele der demokratischen Hoffnungen von 1989 wurden bitter enttäuscht. Die sächsische Demokratie atmet den Geist einer obrigkeitsstaatlichen Regierungstradition, die nicht gebrochen sondern fortgeführt wurde. Während Vielfalt und Meinungsstreit nicht erwünscht sind und Zivilcourage allzu oft verfolgt wird, werden menschenfeindliche Umtriebe geduldet oder totgeschwiegen. In den letzten Monaten hat sich die Situation verschärft. Statt Zufluchtsuchende menschenwürdig unterzubringen und ihnen das Ankommen zu erleichtern, werden sie kriminalisiert, menschenunwürdig untergebracht und schnell wieder abgeschoben. Statt Rassismus beim Namen zu nennen und rechten Terror zu verfolgen, schüren Teile der CDU die Ressentiments von Pegida und Co.“

Am kommenden Montag, 24. Oktober, ruft die Initiative „Druck! Machen.“ zu einer Demonstration in Leipzig ab Waldplatz auf, in der laut Text des Aufrufes eine „Regierungsunfähigkeit der CDU-geführten Landesregierung“ öffentlich thematisiert werden soll.

Die Initiative kritisiert den Freistaat insbesondere in den Bereichen der Sozial- und Innenpolitik. Auf den Umgang der christlichen Regierungspartei mit islamfeindlichen Aufmärschen und rassistischen Straftaten in Sachsen wird ebenso Bezug genommen wie auf öffentliche Äußerungen von Abgeordneten der CDU.

Als Gastredner/-innen werden neben anderen die sächsische Generalsekretärin der SPD, Daniela Kolbe, Rico Gebhardt (Vorsitzender Die Linke Sachsen), Jürgen Kasek (Vorsitzender Bündnis90/Die Grünen Sachsen), Ines Kuche (ver.di) und Erik Wolf (DGB) erwartet.

Die Auftaktkundgebung wird am 24. Oktober um 18 Uhr am Waldplatz beginnen und führt anschließend über die Jahnallee zum Richard-Wagner-Platz. Nach einer Zwischenkundgebung setzt sich der Demonstrationszug über den Innenstadtring fort und endet nach einer Abschlusskundgebung gegen 20 Uhr am Markt.

Stimmen zum Aufruf

Sanja Liebermann formuliert das Ziel der Demonstration so: „Ich will, dass sich die sprichwörtlichen ‚Sächsischen Verhältnisse‘ endlich radikal ändern! Echte Demokratie muss sofort auf allen Ebenen gefördert werden, das hat die CDU Regierung jahrelang versäumt und davon profitiert. Wir brauchen stattdessen Kontroversen, die gewaltfrei ausgefochten werden! Und die Politik muss unbedingt eine konsequente Umsetzung der Menschenrechte wollen, das ist mein Wunsch für die Zukunft unseres Freistaats.“

Auch Christin Melcher, Sprecherin der Leipziger Grünen, ruft für „Druck! Machen.“ zur Beteiligung auf: „Wir erleben ein komplettes Staatsversagen, sei es im Bereich der Bildung, im Sozialen, Asyl und Menschenrechte oder beim Eintreten gegen Rassismus. Demokratiedefizite bei Teilen der Bevölkerung und das Schüren von Angst und Hetze sind allgegenwärtig. Pannen-Tillich wird dem Amt des Ministerpräsidenten schon längst nicht mehr gerecht, eine Fehlerkultur ist bei der Staatsregierung nicht zu spüren, der Schaden ist inzwischen eklatant. Wir treten für ein anderes Sachsen ein, das demokratisch, weltoffen und tolerant ist, und wir wissen, dass viele dafür eintreten wollen.“

Die Initiative „Druck! Machen.“ war im Mai 2016 mit einem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit gegangen, der konkrete Maßnahmen für die Stärkung der demokratischen Gesellschaft enthält. Diesem Papier hatten sich die Landesverbände der Parteien Die Linke und B90/Die Grünen und viele zivilgesellschaftliche Initiativen sowie Einzelpersonen angeschlossen.

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Mein Gott, wer behauptet, daß “nicht zuletzt große Teile der sächsischen Bevölkerung massive Demokratiedefizite aufweisen”, muß sich nicht wundern, daß diese der Veranstaltung fernbleiben. Unter freundlicher Betrachtungsweise.
Erst recht nicht wundern muß man sich, wenn diese Steilvorlage von der Regierung genutzt wird, sich vor “ihr” Volk zu stellen.
Demokratie wird vor Ort gelebt. Oder eben nicht. Und wenn es konkret wird, das wird es vor Ort, wenn eine Auseinandersetzung droht, die sich auf konkrete Sachverhalte und konkret anzuwendendes Recht bezieht, wenn es eben nicht mehr nebulös gegen “die da oben” oder “die in Dresden” geht, wenn man auch mal die Arschbacken zusammenkneifen muß, weil es Auge in Auge mit den Herrschenden (Rathaus oder Landesdirektion) zu diskutieren gilt, genau dann hört der “Protest” nämlich auf.
Jahrelang gemachte Erfahrung in Leipzig und Umland.
Es ist billig, mit dem Mainstream gegen minderbemittelte Nationalisten oder Rassisten zu blöken, wie Kasek in Bautzen gesehen werden durfte. Womit letztlich und mittelbar nur die unterstützt werden, die die Ursache liefern, die Regierenden. Die Macht ausüben mit einer Politik, die sich nicht am Menschen, sondern am Kapital ausrichtet, mit einem Politikverständnis, nämlich Staat\Bürger im Über- Unterordnungsverhältnis, das sich nur schwer mit einem modernen Demokratieverständnis vereinbaren läßt. Im Bund ebenso, wie im Land oder der Kommune.
Von denen, besser, deren Politik, wird mit solcher Art formulierten “Protest” (große Teile der sächsichen Bevölkerung sind mehrheitlich undemokratisch) nämlich abgelenkt.
Und die können in Bund, Land und Kommune nämlich durchaus unterschiedlich, besser diesselben, sein. Bis dahin, daß die hier Protestierenden zum Teil selbst verantwortlich für die jetzige Politik sind, wenn man nur an die Gesetze des “Forderns und Förderns” oder noch früher an die “Riester-Rente” (Aufgabe des Solidargedankens) und die Mehrwertsteuererhöhung denkt, die letztlich im Wesentlichen nur die trifft, die auf jeden Cent angewiesen sind. Die Schwachen sollen Solidarität untereinander üben. Mit dieser Vorstellung löst man eine Gesellschaft auf. Und gegen Teile dieser Gesellschaft wird protestiert? Billig!
Sucht Euch den richtigen Gegner.

Anfang der 90iger, als es Massenentlassungen und Betriebsschließungen im großen Stil gab, wollte ich zu einer Betriebsversammlung einen Film zeigen, in dem der Marsch protestierender Arbeiter sich um”formt” vom Blaumann zum braunen Kampfanzug. Gott sei Dank scheiterete dieser Versuch. Er wäre völlig nach hinten losgegangen, mißverstanden worden. Denn ich wollte nicht eine mögliche Folge zeigen, sondern auf die Ursache hinweisen.
Menschen sind so, wie sie sind. Um so wichtiger sind die Vorbilder, sind die Entscheider, die Regierenden, die vermeintlichen oder tasächlichen Eliten. Politik eben. Das neoliberale Pack, das an keiner Stelle ernsthaften politischen Widerstand entgegengesetzt bekam. Von niemandem. Diese haben die Ursache gesetzt.
Wenn sich heute die “Ängstlichen” gegen diejenigen wenden, die ihnen vermeintlich etwas wegnehmen, dann ist das nur die Kehrseite der Medaille, nach der die Schwachen untereinander Solidarität üben sollen. Sie tun es nicht. Weil ihnen durch “Politik” vermittelt wurde, daß Solidarität kein soziales Gut ist.

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