Es passte zusammen wie ein missglรผckter Paartanz: Der sรคchsische Landtag beschloss nach Jahren der Diskussion endlich das Ende der landesweit verordneten Stellplatzpflicht. Und der Leipziger Stadtrat beschloss ein paar Leitlinien fรผrs ehemalige Markthallenviertel gleich mal wieder mit etlichen neuen Stellplรคtzen. Visionรคre Stadtplanung? In Leipziger Ratsfraktionen augenscheinlich undenkbar.
โIn Fortentwicklung des Konzeptes der autoarmen Innenstadt sollen die zu errichtenden Tiefgaragenstellplรคtze auf 50 % der notwendigen Stellplรคtze gemรคร Sรคchsischer Bauordnung beschrรคnkt werdenโ, heiรt es in dem Leitlinienpapier, das die Stadtverwaltung dem Stadtrat zum Beschluss vorgelegt hatte. Tatsรคchlich sind diese Leitlinien schon ein Beschluss, der jetzt das zur Planungsgrundlage macht, was 2010 im Vorfeld zum Freiheits- und Einheitsdenkmal genau mit diesem Denkmal als Begrรผndung gewollt war. Aber nicht einmal die Grรผnen horchten beim Thema Stellplรคtze auf.
Denn mit dem Quartier hรคtte Leipzig erstmals die Chance, ein ganzes Wohn- und Gewerbequartier vรถllig ohne Stellplรคtze zu planen. Denn genau das ist mรถglich, nachdem der Freistaat Sachsen endlich die landesweite Stellplatzpflicht abgeschafft hat und jetzt die Kommunen in der Lage sind, eigene Regeln dafรผr aufzustellen.
Und es gibt wenige Quartiere in Leipzig, wo es leichter wรคre, auf sรคmtliche Stellplรคtze zu verzichten, als hier zwischen Wilhelm-Leuschner-Platz und Grรผnewaldstraรe. Denn sogar das steht in den Leitlinien: โDer Wilhelm-Leuschner-Platz ist hervorragend an den รPNV angebunden. Dieser Standortvorteil soll im Besonderen zur Verkehrserschlieรung genutzt werden. Da die umgebenden Straรen eine sehr hohe Verkehrsbelegung haben, soll mit der neuen Verkehrsorganisation im Quartier Durchgangsverkehr verhindert werden. Die verlรคngerte Leplaystraรe soll lediglich der Markthallenanlieferung und Erschlieรung des nรถrdlichen Quartiers dienen. Die Brรผderstraรe bleibt in ihrer bisherigen Lage und Funktion als Quartiersstraรe bestehen. Hierdurch werden die Voraussetzungen geschaffen, dass bei der
Gestaltung der Straรen der Aufenthaltsqualitรคt ein hohes Gewicht eingerรคumt werden kann.โ
Danach kam dann der Satz mit den Stellplรคtzen. Es gibt auch einen ganzen Passus, der sich mit dem Mikroklima beschรคftigt. Aber schon der Hinweis auf die โhohe Verkehrsbelegungโ ringsum hรคtte zum Nachdenken bringen sollen: Warum soll dann doch wieder motorisierter Verkehr in dieses Viertel?
Mal ganz zu schweigen davon, dass der Bau von Tiefgaragen eines auf jeden Fall verhindern wird: den Bau von Sozialwohnungen.
Und man versteht, warum selbst der SPD-Fraktionsvorsitzende Axel Dyck sich nur die Haare raufte, als er am Mittwoch, 16. Dezember, ans Rednerpult trat. Denn nur wenige Wochen zuvor hatte die Leipziger Bรผrgerbeteiligung im Projekt โLeipzig Weiter denkenโ begonnen โ und nun drรผckte die Verwaltung einen Uralt-Entwurf durch, der unter vรถllig anderen Vorzeichen entstanden war.
โDazu nur vier Jahreszahlenโ, zรคhlte Dyck auf. โ2011 โ Aufstellungsbeschluss mit eindeutigem Verweis auf den mรถglichen Standort des Freiheitsdenkmals; 2012 frรผhzeitige รffentlichkeitsbeteiligung wieder mit Verweis auf das Denkmal; Mai 2014 Beendigung der Denkmalsidee (leider) โ und jetzt 1 ยฝ Jahre spรคter 5 dรผnne Seiten Leitlinien. So als hรคtte sich in den letzten 4 Jahren Leipzig auch in seinem Denken, der Oberbรผrgermeister spricht ja gern von โLeipzig weiter Denkenโ, nicht weiter entwickelt.โ
Aber gerade in diesem zentralen Bauquartier wollte augenscheinlich Leipzigs Verwaltung nicht weiter denken. Oder gar Rรผcksicht nehmen mรผssen auf neue Ideen.
โIch bin ehrlich beeindruckt, wie manche Stadtratskollegen und auch die Verantwortlichen in der Verwaltung derart beratungsresistent sein kรถnnenโ, staunte denn auch Ute Elisabeth Gabelmann, Stadtrรคtin der Piratenpartei, nach der Stadtratsentscheidung am Mittwoch. โFรผr eine erneute breite Bรผrgerbeteiligung und fรผr einen Umbau des Leuschnerplatzes zu einem vollwertigen Stadtviertel hatten sich zuletzt alle namhaften Architektenverbรคnde, dazu noch Experten wie der รkolรถwe und das Bรผndnis โStadt fรผr alleโ ausgesprochen. Natรผrlich muss man nicht auf Fachleute hรถren, muss dann aber auch mit den unumkehrbaren Folgen leben.โ
Aber man fรผhlt sich wohl nicht zu Unrecht an die letzten Hitschfeld-Studien erinnert: Verwaltungen organisieren sich die Bรผrgerbeteiligung, die sie haben wollen โ und wenn sich fachkompetente Initiativen zu Wort melden, wird das einfach ignoriert. Natรผrlich gibt es ein ganzes Bรผndel finanzstarker Interessen an diesem Filetstรผck der Stadt. Und so manche Reaktion im Diskussionsprozess der letzten Zeit deutet darauf hin, dass sich diese Interessen auch schon ihre Parzellen gesichert haben.
Der Kรถnigsplatz, nach dem Krieg als Wilhelm-Leuschner-Platz bezeichnet, sei ja nun einmal die letzte groรe Brachflรคche in der Leipziger Innenstadt und Gegenstand von Investoren-Interessen, merkt denn auch die Piratenstadtrรคtin trocken an. Die Stadtplaner haben es ja oft genug betont. Aber diesen Platz als Chance zu nehmen, auch noch ein paar drรคngende stรคdtische Probleme anzupacken, das scheine unmรถglich.
Denn obwohl die frรผher reichlich bebaute Flรคche Platz fรผr gรผnstigen Wohnraum biete und sich die Grundstรผcke in stรคdtischer Hand befinden, sollen sie an Investoren verkauft werden, merkt Gabelmann an. Da hat dann wohl der Klingelbeutel wieder Politik gemacht.
โWeil also ein Investor seine Markthalle in erster Reihe statt mitten im Quartier sehen will, verzichten wir auf ein ganzes Gebรคude, in dessen 70 Wohnungen sehr viele Menschen ein neues bezahlbares Zuhause hรคtten finden kรถnnenโ, kritisiert Ute Elisabeth Gabelmann. โIn einer wachsenden Stadt, die schon bald an Wohnungsmangel leiden wird, ein unverzeihlicher Fehler.โ
รbrigens ein Thema, das auch Axel Dyck konkret angesprochen hatte: โAllein aus diesem Grund fordern wir, wie auch noch einige andere Stadtrรคte, zumindest den Denkprozess fรผr die gesamte Flรคche westlich der Markthallenstraรe neu zu erรถffnen. Am Ende kann sowohl der โGroรe Platzโ, aber auch eine Bebauung bis zur Flรคche des ehemaligen Kรถnigsplatzes stehen.โ Diese Flรคche zwischen der Markthallenstraรe und der Grenze des einstigen Kรถnigsplatzes war bis zu den Bombardements 1943 / 1944 bebaut und kรถnnte zumindest รถstlich der unterirdischen S-Bahn-Station auch jetzt wieder bebaut werden โ wenn man auf Keller und Tiefgaragen verzichtet, sogar preiswerter als das, was jetzt auf den anderen drei Baufeldern geplant wird.
Die Wohnanteile, die jetzt mit den Leitlinien beschlossen werden (20 Prozent im nรถrdlichen Quartier, 40 Prozent im sรผdlichen) wird man so preiswert nicht bekommen. Erst recht, wenn man bedenkt, auf welcher Schiene die stรคdtischen Planer unterwegs sind. Sie wollen hier โBรผros, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, Gastronomie, โฆโ Das klingt danach, als hรคtten sie den nรคchsten Interessenten fรผr einen Hotelneubau schon bei der Hand und der wรผrde gern schnell losbauen an dieser Stelle. Dann wird auch die Eile verstรคndlich, mit der diese โLeitlinienโ ins Verfahren gebracht wurden.
Die Leitlinien zum Ostareal des Wilhelm-Leuschner-Platz, die jetzt beschlossen werden sollen.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
Bitte sehr.
Schreibe ich schon die ganze Zeit: Es geht nur ums Geld. Und die Stadtverwaltung steckt mit der Baumafia unter einer Decke (was nur die vornehmere Formulierung fรผr fortgesetzten Beischlaf ist)
Die Stadtrรคte machen mit und wundern sich, warum z.B. kurz vor den Kommunalwahlen aus Protest diverse โBรผndnisse fรผr Leipzigโ (wie auch immer die alle hieรen) gegrรผndet wurden.
Rallen die Stadtrรคte es echt nicht, oder was ist mit denen? Oder warten nach solchen โgelungenenโ Stadtratssitzungen drauรen vor der Freitreppe unauffรคllige Herren mit Koffern und reichen dann noch ein paar โSitzungsgelderโ aus?
zum kotzen โฆ