Der Lyriker und Grafiker Andreas Reimann ist Lessing-Preisträger 2023 des Freistaates Sachsen. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Das Kuratorium begründet seine Entscheidung unter anderem mit dem unfassbar umfangreichen, vielgestaltigen, streitbaren und formal immer wieder überraschenden poetischem Werk von Andreas Reimann. Die zwei Lessing-Förderpreise 2023, jeweils mit 5.000 Euro dotiert, gehen an die Musikerin und Singer/Songwriterin Sarah Lesch sowie an die Autorin Heike Geißler.

„Was Aufklärung für unsere Gegenwart bedeutet, muss in den stürmischen Zeiten, die wir erleben, immer wieder neu befragt werden. Literatur und Kunst können uns – wie zu Zeiten von Gotthold Ephraim Lessing – helfen, Antworten zu finden. Keine Patentrezepte, aber kluge Gedanken, die ermutigen, nachfragen und auch die Finger in die Wunden legen.

Für dieses Verständnis von Aufklärung steht der vom Kuratorium für den Lessing-Preis des Freistaates Sachsen gekürte Preisträger Andreas Reimann, der den Lessing-Preis 2023 erhalten soll. Erst allmählich wird heute deutlich, was er für ein wichtiges und literarisch kraftvolles Werk geschaffen hat. Unbeirrt auch in jenen DDR-Jahren, in denen er offiziell kaum zur Kenntnis genommen wurde.

Aufklärerisch im Sinne von Klarheit, Realismus und differenziertem Blick auch hinter die Kulissen sind auch die Arbeiten der Förderpreisträgerinnen Heike Geißler und Sarah Lesch. Ich freue mich schon auf die Preisverleihung am Vorabend von Lessings Geburtstag und in Lessings Geburtsstadt Kamenz persönlich zusammenzukommen“, sagt Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch.

Staatsministerin Barbara Klepsch wird den Lessing-Preis 2023 sowie die Förderpreise am Sonnabend, 21. Januar 2023 in Kamenz an die Preisträger überreichen.

Lessing-Preisträger 2023

Andreas Reimann

Andreas Reimann ist ein Dichter, der sich nie an die Rockschöße der Macht gehängt hat, einer, der auch heute kein goldenes Löffelchen auf der Zunge trägt, um Originelles oder Gefälliges zu flüstern. Zwei Jahre war er weggesperrt wegen „staatsfeindlicher Hetze“, auch später war das Land Liliput der Ansicht, es könne einen Dichter zum Schweigen bringen, indem man ihn nicht druckt.

Trotz allem – oder gerade deshalb – hat Andreas Reimann ein unfassbar umfangreiches, vielgestaltiges, streitbares und formal immer wieder überraschendes poetisches Werk geschaffen – mit einer ganz eigenen und unverwechselbaren Stimme. Und da sind noch seine zärtlichen und aufbegehrenden Lieder, die er für Chanson-Interpreten wie Stephan Krawczyk, Detlef Hörold oder Hubertus Schmidt und die Rockgruppe Lift geschrieben hat.

Bei aller klassischen Strenge verleugnet Reimann nicht ein anderes Erbe – das der lyrischen Moderne. Er weiß Klangmagie ebenso für sich zu nutzen wie die paradoxen Möglichkeiten von Bildern. Und dort, wo ein Gedicht rhetorisch wird und Denkvorgängen folgt, scheint auch zuweilen Brechts dialektischer Sprachwitz durch.

Zum Innehalten und Staunen sind diese Gedichte, sie verführen und beschwören nicht, sondern sie heben den Mantel der Oberflächlichkeit vom Wesen der Dinge. Das ist viel in Zeiten von Beliebigkeit und Eitelkeiten.

„Andreas Reimann bleibt eben ein Dichter, der den Fallstricken jedweder Ideologie entgehen konnte und kann, weil Wahrnehmungswachheit, Kunstbewusstsein und Wahrheitssinn sich stets noch uneinnehmbar für jedwede Interventionsinteressen erweisen. Ein seltener Fall von hochgemuter Lauterkeit“ (Dr. Peter Geist in einer Laudatio auf Andreas Reimann zu seinem 70. Geburtstag).

Förderpreise zum Lessingpreis 2023

Sarah Lesch

Sarah Lesch reiht sich in eine neue engagierte und unglaublich kreative Generation von jungen Musikerinnen und Musikern sowie Singer/Songwriterinnen Songwritern ein, wozu unter anderem auch Wencke Wollny, Dota Kehr, Danger Dan oder Moritz Krämer gehören, die ebenso authentische wie auch gesellschaftskritische Texte schreiben und so ihre Botschaften durch gute, handgemachte Musik zu den jungen Hörerinnen und Hörern transportieren – mit großem Erfolg.

Die Texte von Sarah Leschs fünften Album „Triggerwarnung“ thematisieren Transphobie, Gewalt gegen queere Menschen und sexualisierte Gewalt. Diese Texte sind weitaus mehr als gefällige Musikergänzungen, sie sind mutig, von großer poetischer Kraft und zeugen von unbedingtem Engagement. Der Titel ist Programm und Provokation. Sarah Lesch ist wütend und ihre Wut bricht sich Bahn, wandelt sich aber immer wieder in ein Ringen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit.

Dabei schont sie weder sich noch ihre Hörerinnen und Hörer, wenn sie im Song Drunter mache wir’s nicht – ganz im Sinne Lessings – singt: „Wir alle haben die Freiheit verdient, Deine Mutter und du und mein Sohn, wir brauchen euch an unsrer Seite, und dass ihr euch mit uns empört. Dass ihr aufsteht, auch wenn ihr bequem sitzt und euch an der Schieflage stört.“

Texte: Undine Materni

Heike Geißler

Persönlich, politisch und poetisch und niemals leicht einem Genre zuzuordnen, das sind Heike Geißlers Romane. Zu nennen sind unter anderem ihr erfolgreicher Debüt Roman „Rosa“ (2002), der von der Flucht vor dem frühen Muttersein erzählt und „Saisonarbeit“, der die Arbeitsverhältnisse bei Amazon aus einer persönlichen Perspektive beschreibt.

Ihr neustes Buch „Die Woche“ fängt ein bestimmtes Leipziger Lebensgefühl ein und findet eine ganz eigene sprachliche Form der Klage über die verflixte Verantwortung, sich in Sachsen politisch gegen rechts engagieren zu wollen. Heike Geißlers ironisch-poetischer Schreibstil, in dem eine Mischung aus Verletzlichkeit, Überschwang, Ohnmacht und Wut entsteht, verzückt und verstört im selben Moment. Wir sind froh, mit Heike Geißler eine so mutige und zugleich sensible Autorin in Sachsen zu haben.

Text: Miriam Tscholl

Die Mitglieder des Kuratoriums: Staatsministerin Barbara Klepsch (Vorsitzende); Prof. Dr. Hendrik Birus; Germanistikprofessor, Jacobs University Bremen; Prof. Dr. Daniel Fulda; Germanistikprofessor, Universität Halle-Wittenberg; Prof. Dr. Günther Heeg, Professor am Institut für Theaterwissenschaften, Universität Leipzig; Prof. Kerstin Hensel, Professorin für das dichterische Wort an der Theaterhochschule Berlin, Schriftstellerin; Undine Materni, Autorin, Lektorin; Dr. Kerstin Schimmel, Evangelische Akademie Sachsen, Studienleiterin Kultur; Michael Krüger, ehemaliger Hanser-Verleger, Dichter, ehemaliger Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste; Miriam Tscholl, Regisseurin; Dorotty Szalma; Regisseurin; Oberbürgermeister Roland Dantz der Lessingstadt Kamenz (beratende Stimme).

Eine Übersicht der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger seit 1993 gibt es unter folgendem Link: https://lsnq.de/LessingPreisSachsen

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