Rund 1.000 Haushalte stehen in Leipzig jedes Jahr vor einer drohenden Räumungsklage. So steht es im „Sozialreport 2021“. 901 hatten 2020 eine Räumungsklage am Hals. Das waren zwar deutlich weniger als 2019, als es 1.132 Haushalte betraf. Aber im erste Corona-Jahr hielten sich auch Vermieter deutlich zurück, zu diesem Mittel zu greifen. Meist kann die Stadt helfen. Aber trotzdem leben auch in Leipzig mehr Menschen auf der Straße. Braucht es da nicht noch mehr Hilfe?
Der Sozialreport gibt relativ genaue Zahlen an, wie viele Menschen in Leipzig die Obdachlosigkeit tatsächlich betrifft. Mit Gewährleistungswohnungen und Übernahme von Mietschulden greift die Stadt in den härtesten Fällen ein. Die meisten Ratsuchenden, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, brauchen oft nur Beratung, um den Notfall zu lösen.
Energiekrise droht Haushalte zu überfordern
Denn der entsteht ja nicht erst mit der Räumungsklage, sondern schon mit der angedrohten Kündigung. Von den 1.896 neu registrierten Wohnungsnotfällen waren 2020 – zusätzlich zu den 42 Prozent direkt von Räumung bedrohten – auch 37 Prozent mit einer (drohenden) Kündigung konfrontiert. Das ist nicht wirklich wenig in einer Stadt, in der die Einkommen von einem Drittel der Erwerbstätigen am unteren Limit liegen.
Und mit den jetzt rasant steigenden Energiepreisen drohen noch viel mehr Haushalte in die Zahlungsunfähigkeit zu rutschen.
Da reichen dann die 2018 beschlossenen Hilfemaßnahmen garantiert nicht mehr, um die Wucht der Entwicklung aufzufangen.
Ein neuer Fachplan
Die Stadt Leipzig schreibt den Fachplan Wohnungsnotfallhilfe von 2018 fort. Insgesamt 29 Maßnahmen sollen mit dem neuen Fachplan bis 2026 umgesetzt werden. Dafür sind in den Jahren 2023 bis 2026 insgesamt knapp zwei Millionen Euro vorgesehen.
Das hat zwar erst einmal wenig mit den aktuellen Entwicklungen zu tun. Dafür mit dem Langfristziel, dass es 2030 keine Obdachlosigkeit mehr geben soll.
Die Stadt Leipzig will dem Ziel der Erklärung von Lissabon der Europäischen Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit näherkommen, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden.
„Niemand soll auf der Straße schlafen müssen“, so Bürgermeister Thomas Fabian. „Wir wollen Wohnungslosigkeit vermeiden und obdachlosen Menschen eine Unterkunft anbieten. Mit verstärkter Prävention und passgenaueren Hilfen soll Menschen in Wohnungsnot geholfen werden.“
Die Wohnungsnotfallhilfe in Leipzig soll vermeiden, dass Menschen überhaupt wohnungslos werden. Vorgesehen ist deshalb beispielsweise eine Wohnschule für junge Menschen, die Kompetenzen als Mieterin und Mieter vermittelt und über Hilfen bei Problemen informiert. Auch sollen Vermieterinnen und Vermieter sowie Beratungsstellen dafür gewonnen werden, über bestehende Hilfen im Wohnungsnotfall zu informieren. Die Stadt selbst will mit einer breit angelegten Kampagne Hilfen bekannter machen.
Steigende Zahlen
Tatsächlich aber leben auch in Leipzig einige hundert Menschen auf der Straße. Dazu zählen die im Schnitt 275 Personen, die in den Gemeinschaftsunterkünften täglich übernachten. Die Zahlen steigen seit 2016 kontinuierlich an. Wobei das nur der Durchschnitt ist. Denn viele dieser Obdach suchenden Menschen kommen nur kurzzeitig.
„Die durchschnittliche Verweildauer in allen Gemeinschaftsunterkünften lag im Jahr 2020 bei 52 Nächten. In diesen Durchschnittswert sind sowohl kurze Aufenthalte von wenigen Tagen als auch längerfristige von mehr als einem Jahr eingerechnet. Die Verweildauer entwickelte sich seit dem Jahr 2010 je nach Einrichtung unterschiedlich und ist aufgrund der COVID-19-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr angestiegen.
Im Übernachtungshaus für Frauen verringerte sich die Verweildauer von 85 auf 44 Nächte. Es gelang, eine Vielzahl von langjährig wohnungslosen Frauen in problemadäquate, auf Dauer angelegte Unterkünfte zu vermitteln. Im Übernachtungshaus für Männer hielt sich die Verweildauer, bis auf einen Anstieg in den Jahren 2016 bis 2017, weitgehend konstant und stieg nun auf 43 Nächte“, heißt es im Sozialreport 2021.
Aber auch die Zahl derer, die tatsächlich dauerhaft auf der Straße leben, versucht die Stadt möglichst genau zu erkunden.
Nicht alle Wohnungslosen nutzen die Notunterbringung
„Die Angebote der Notunterbringung werden nicht von allen Personen ohne Wohnung genutzt. Einige kommen bei Freunden oder Bekannten unter, andere nächtigen in Behelfsunterkünften, z. B. Baracken, Wohnwagen, Gartenlauben, Abrisshäusern oder auf der Straße. Um einen Anhaltspunkt zur Anzahl obdachloser Personen zu erhalten, führt das Sozialamt monatlich eine statistische Erfassung der Anzahl obdachloser und wohnungsloser Personen durch. An dieser Erfassung beteiligen sich verschiedene Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe und der Straßensozialarbeit“, heißt es dazu.
„Jeweils zum letzten Werktag eines Monats wird der Unterkunftsstatus und das Geschlecht der Betroffenen erfasst. Doppelerfassungen und Untererfassungen können nicht ausgeschlossen werden. Im Jahr 2020 wurden am Tag durchschnittlich 64 wohnungslose Personen – darunter 13 Frauen – auf der Straße angetroffen. Davon nächtigten 32 Personen ohne Obdach in Behelfsunterkünften oder auf der Straße, darunter waren fünf Frauen. Sechs Personen waren obdachlos und nutzten die Notübernachtungsstellen. Weitere 19 Personen waren wohnungslos und übernachteten bei Freunden oder Bekannten. Keine Auskunft über ihren Unterkunftsstatus erteilten acht Personen.“
Projekt „Eigene Wohnung“
Damit obdachlose Menschen so schnell wie möglich Âwieder eine dauerhafte Wohnperspektive erlangen, soll es unter anderem mehr Plätze im Projekt „Eigene Wohnung“ geben, teilt das Sozialamt jetzt mit. Voraussetzung ist, die Modellphase wird erfolgreich beendet und das Projekt weitergeführt. Auch in ambulant betreuten Wohnprojekten sollen mehr Plätze geschaffen werden, um Menschen zu unterstützen, die nicht allein in einer eigenen Wohnung leben können.
Der Fachplan sieht zudem vor, ein Konzept für eine ganztägige Öffnung von Übernachtungshäusern zu erarbeiten. Auch sollen die bestehenden Einrichtungen schrittweise barrierefrei gestaltet werden. Verschiedene Maßnahmen sollen den besonderen Bedarfen von obdachlosen Personen mit Pflegebedarf, von Frauen, jungen Menschen, Personen jeglicher sexueller Orientierung, psychisch kranken Personen oder Personen mit Tier besser entsprechen.
Damit die Qualität der Wohnungsnotfallhilfe in Leipzig weiter verbessert werden kann, sollen beispielsweise Nutzerinnen und Nutzer zu ihren Erfahrungen mit den Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe befragt und Bewohnerinnen und Bewohner von Notunterkünften im Rahmen von Hausversammlungen einbezogen werden.
Der von Bürgermeister Thomas Fabian vorgelegte Fachplan wurde jetzt durch Oberbürgermeister Jung in seiner Dienstberatung bestätigt. Die Ratsversammlung wird voraussichtlich im November darüber entscheiden.
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