Tanner trifft Williges. Mindestens einmal im Jahr entern sie gemeinsam eine Bรผhne und unterhalten Menschen und versuchen die Fackel der Vernunft weiterzureichen. Das macht ihnen Spaร und den meisten anderen im Raum auch. Da Williges aber auch Bรผcher schreibt, fragte Tanner ein bisschen an ihm rum.
Guten Tag Fabian W. Williges. Wofรผr steht denn das W?
Manchmal steht es fรผr wichtig, weise oder witzig, manchmal auch fรผr weinerlich. Meistens steht es aber fรผr den Erzbischof Willigis, der im 11. Jahrhundert am 23. Februar starb. Das ist genau ein Tag vor meinem Geburtstag. Ich mag die Vorstellung, eventuell mit ihm verwandt zu sein.
Wir lรผmmeln hier gerade so entspannt beim Jobclub des Jobcenters Leipzig herum, wo Du gleich beim Poetry Slam als musikalischer Sidekick fungieren wirst. Nun weiร ich aber, dass da auch ein neues Buch geboren wurde. Lucias Aufbrรผche โ im charmanten J.F.Steinkopf Verlag. Diesmal keine Gedichte, sondern eine Erzรคhlung. Wer ist denn diese aufbrechende Lucia?
Sie ist ein 14-jรคhriges Mรคdchen, das gerade seine Konfirmation erlebt. Ich sehe Lucia als eine ernsthafte Person und gute Schรผlerin. Manchmal ist sie vielleicht ein wenig zu korrekt und รผberspannt. Es macht ihr Spaร, alles absolut richtig zu machen. Dabei isoliert sie sich aber. Lucia nimmt auch den Glauben sehr ernst und hat sich bewusst zur Konfirmation entschieden. Hinzu kommt, dass die Gethsemanekirche, in der sie konfirmiert wird, gerade drei Jahre lang restauriert wurde, wobei alte Malereien entdeckt wurden. Diese bekommen fรผr Lucia eine besondere Bedeutung.
Im Klappentext steht, dass sich Lucia รผbergibt. Aha! Warum denn dies?
Oh, das hat viele Grรผnde. Zum Beispiel der Sekt mit Orangensaft, den sie zur Feier des Tages getrunken hat. Sie ist als ein anstรคndiges Mรคdchen mit 14 den Alkohol ja nicht gewohnt. Dann die gesamte Aufregung, einen ganzen Tag im Mittelpunkt des kirchlichen und familiรคren Geschehens zu stehen. Und dann ist da natรผrlich noch der Essigreiniger, der ihr zu dem Zeitpunkt in die Nase sticht. Aber ich mรถchte jetzt auch nicht zu viel verraten.
Was hat Dich denn ins Kirchliche getrieben?
Man sieht es mir vielleicht nicht gleich an, aber ich bin ein durchaus religiรถser Mensch. Mein Vater ist Pastor in der Hannoverschen Landeskirche. 1992 bin ich nach Leipzig gezogen, um auch selbst Theologie zu studieren. Doch die Universitรคt konnte mich nicht halten. Stattdessen habe ich dann erstmal in einer Punkband gesungen. Mit dem fortschreitenden Alter bin ich aber ruhiger geworden. Mittlerweile bin ich zweifacher Patenonkel. Eines meiner Patenkinder hatte Anfang dieses Jahres Konfirmation. Mein Patenkind ist nicht Lucia. Aber ich habe ihm die Erzรคhlung gewidmet โ als ein ganz persรถnliches Konfirmationsgeschenk.
Du kannst ja die unterschiedlichen Ausrichtungen der evangelischen Kirchen in Ost und West bestens beurteilen. Was ist denn da Deine Sicht fรผr eine? Gibtโs da noch Unterschiede? Ist da zusammengewachsen, was sich Jahrzehnte unterschiedlich entwickelte? Wie ist der Stand?
Ich kann natรผrlich weder รผber die gesamte Kirche im Westen noch die im Osten urteilen. Aber ich habe doch einiges gesehen und erlebt. Mein Vater war mit Pastor Christian Fรผhrer befreundet. Wir haben in den 70er Jahren unseren Familienurlaub in der DDR gemacht. Ich glaube, da war Fรผhrer Pastor in Colditz. Und spรคter hat er auch uns im Westen besucht. Dieser Aufbruch durch die Nikolaikirche ist einer der Grรผnde, warum ich nach meinem Abitur sofort nach Leipzig gezogen bin. Die Hannoversche Landeskirche habe ich in einigen Gemeinden und in der รผbergemeindlichen Arbeit immer als menschenoffen, lebensbejahend und links von der Mitte erlebt. In Leipzig spรผre ich diesen Geist im kirchlichen Gemeindeleben auch.
Die sรคchsische Landeskirche erinnert mich allerdings eher an die katholische Kirche im Rheinland in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, als ein aufrechter Heinrich Bรถll um das Gelingen der Entnazifizierung bangte. Aber wie die katholische Kirche 2013 nach Papst Benedikt einen Papst Franziskus bekam, wird auch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen nach Carsten Rentzing weitere Landesbischรถfe haben. Und einige davon werden sicherlich auch weniger homophob sein.
Angenehmerweise lรคsst Du Dich nicht auf ein kulturelles Genre festlegen. Du bist Fotograf, Musiker, Literat, รbersetzer, Projektkรผnstler und Dozent. Was dozierst Du denn?
Wenn du das so aufzรคhlst, klingt das wirklich eher nach einem Gemischtwarenladen. Aber mir gefallen so viele Techniken, Gattungen und Genre, dass eine Konzentration auf nur ein Gebiet der glatte Horror fรผr mich wรคre. Meine Tรคtigkeit als Dozent spaltet sich auch schon wieder auf in mehrere Bereiche. Ich bin seit meiner Zeit als Geschรคftsfรผhrer im Werk II Ausbilder fรผr Veranstaltungskaufleute. Bei einem privaten Bildungstrรคger besorge ich die รผberbetriebliche Ausbildung. Auรerdem unterrichte ich an der Volkshochschule Websitegestaltung. Das ist wieder etwas kreativer. Mein Lieblingsfach bleibt aber die Finanzbuchhaltung. Da ist alles so schรถn klar und einfach. Das sehen meine Schรผler meistens erstmal anders. Aber am Ende steht doch der Erfolg einer bestandenen Prรผfung.
Gibt es eigentlich zu Lucias Aufbrรผche auch Lesungen? Und wenn ja, wo?
Ich hoffe, dass ich noch dazu komme, Interessierten aus diesem Buch vorzulesen. Ich bin aber noch ein wenig unerfahren in diesem Kultursegment. Es ist ja doch lรคnger und vielleicht auch thematisch ein wenig anders gelagert als die Texte zu einem Poetry Slam wie heute Abend. Aber ich bin jederzeit bereit, ob in Buchhandlungen, Cafรฉs, Bibliotheken oder Kirchengemeinden zu lesen und mit den Gรคsten รผber Glauben, Sekt mit Orangensaft und Kirchenmalerei zu diskutieren. Genaueres muss ich zum Jahresanfang in Angriff nehmen. In diesen Tagen steht ja erstmal das Weihnachtsfest im Vordergrund.
Wie kommt das interessierte Lesevolk denn aber nun an Dein Buch heran? Liegst du bei den groรen Playern im Schaufenster oder ist es die Direktvermarktung รผber Verlag und Autor?
Ein eigenes Schaufenster โ das wรคre schรถn! Aber soweit ist es wohl noch nicht. Lucias Aufbrรผche ist aber ganz regulรคr รผber den Buchhandel zu beziehen. Der Verlag hat auch eine eigene Website, รผber den der Erwerb mรถglich ist. Und ich persรถnlich habe ebenso noch einige Exemplare vorrรคtig. Und wer das Buch รผber mich bezieht, erhรคlt noch eine Signatur.
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