Extremismus und Terrorismus sind die großen Schlagworte, mit denen weitreichende Überwachnungsbefugnisse begründet werden. Wie sich die Befugnisse vor dem Hintergrund der ostdeutschen Stasi-Vergangenheit auf das Heute auswirken diskutierte am Dienstagabend am Wilhelm-Leuschner-Platz ein Podium, das kaum unterschiedlicher sein konnte. Vom Geheimdienstchef bis zur Datenschutzaktivistin widersprach man sich, aber fand auch gemeinsame Standpunkte.
„Ich komme mir schon fast vor wie Paul McCartney oder die Beatles“, kommentierte der Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath, den Jubel, der ihm entgegenschallte. Fast wie ein Popstar wurde er gefeiert.
Ernst war es den Jubelnden nicht mit ihrem plakativen Akt der Begeisterung. Kurz zuvor demonstrierte ein großer Teil des Publikums mit circa 50 Teilnehmern unter dem Motto „Verfassungsschutz auflösen – Naziterror und Rassismus bekämpfen!“ durch die Leipziger Innenstadt.
Bei der Demonstration wurde unter anderem auf die Geschichte von Meyer-Plath verwiesen, die er im Zusammenspiel mit dem NSU-Skandal inne hatte. Als Verfassungsschützer in Brandenburg führte er in den 90iger Jahren den V-Mann Carsten Szczepanski. Unter dem Name „Piatto“ unterhielt er Kontakte zum NSU-Netzwerk und informierte ebenfalls über Absichten des Trios, sich eine Schusswaffe zu besorgen.
Die Kritik am Verfassungsschutz im Speziellen und an den Geheimdiensten im Allgemeinen war im Podium deutlich vertreten. Constanze Kurz, für Viele bekannt als Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) oder als Sachverständige in Sachen Vorratsdatenspeicherung, ließ kein gutes Wort an der aktuellen Verfasstheit der Dienste.
Das Bild über Geheimdienste habe sich gewandelt, so Kurz. „Wir wissen heute, wie Geheimdienste arbeiten.“ Sie verwies auf die gesteigerte Macht der Geheimdienste und deren finanzielle Ausstattung, wobei sie inhaltlich zwischen den USA und der BRD argumentativ hin und her sprang.
Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, verwies auf dem Podium darauf, dass im Vergleich zu der DDR heute so eine Diskussion überhaupt möglich ist. „Die Stasi war dazu da, die Macht einer Partei zu stützen.“ Untersuchungsausschüsse könnten heutzutage die Arbeit der Geheimdienste hinterfragen, wie es auch in den letzten Jahren mehrfach getan wurde. Vergleiche könne man immer anstellen, Gleichsetzungen aber nicht, so Jahn. „Der beste Verfassungsschutz ist die freie Presse“, die auch nicht über jede Kritik erhaben sei.
Meyer-Plath machte ebenfalls deutlich, dass der Verfassungsschutz einen klaren gesetzlichen Auftrag habe und an Richtlinien gebunden ist. Er stimmte der mehrfach geäußerten Überzeugung des Podiums zu, „wenn der Verfassungsschutz sich nicht an das Gesetz hält, muss er aufgelöst werden.“
Der Verfassungsschützer merkte an, dass die hohe technische Ausrüstung heutiger Terroristen ein Problem darstelle – im Vergleich zu der heutigen Technik dürfte man wohl eher davon sprechen, dass sie den sicherheitstechnischen Standard kennen. Auch weil das Vordringen in solche Szenen schwierig sei, müsste man nach wie vor auf V-Männer zurückgreifen. „Dass man damit eine Szene finanzieren kann, ist eine Illusion“, dementierte er Äußerungen zur Rolle des Verfassungsschutzes für den Aufbau von Neonazi-Strukturen.
Für Constanze Kurz stellte sich eine andere Frage abseits der staatlichen Überwachung zum Ende hin: „Welche grundlegenden Privatrechte sind noch möglich in einer völlig durchtechnisierten Welt?“ Im Zuge des NSA-Skandals wurde bekannt, dass amerikanische Geheimdienste Verträge mit großen Dienstanbietern wie Facebook, Google oder Apple erzwangen, um an die Daten von Nutzern zu gelangen. „Es ist ein Markt entstanden“, problematisierte sie die ökonomischen Gründe der Datensammelei.
Für die Partei Die PARTEI war die kommerzielle Überwachung allerdings nicht genug. „Was können wir tun damit Sie auch uns beobachten?“, fragte sie direkt bei Meyer-Plath nach. „Schicken Sie mir ihr Parteiprogramm zu, dann sehen wir weiter“, antwortete er. Auf eine baldige Aufnahme in den jährlichen Verfassungsschutzbericht wird es bei der Partei der extremen Mitte wohl nicht reichen. „Es ist eindeutig der Rechtsextremismus“, betitelte der Verfassungsschützer die größte Bedrohungslage für die Demokratie im Freistaat Sachsen.
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