Seit geraumer Zeit fällt auf, dass Leipzig jedes Jahr eine Menge Kinder verliert. Sie verschwinden aus der Bevölkerungsstatistik der Stadt und tauchen dann meist wieder in der Statistik der angrenzenden Landkreise auf. Die Frage, warum das so ist, beschäftigte auch die CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Sie stellte deshalb ein kleines Fragenpaket. Denn in der Auswertung der „Bürgerumfrage 2019“ hatte die Verwaltung das Thema ja selbst problematisiert.
Eine Frage lautet zum Beispiel: „Hat die Stadtverwaltung Leipzig infolge der Ergebnisse der Kommunalen Bürgerumfrage 2019 Maßnahmen ergriffen, um dem Trend zum Wegzug bei jungen Familien entgegenzuwirken? Falls ja, welche Maßnahmen? Wenn nein, wieso nicht?“Worauf das Dezernat Stadtentwicklung und Bau ja nur antworten kann, dass die Stadt sich bemüht, die Bedingungen für Familien mit Kindern zu berücksichtigen in der Stadtentwicklung. Aber trotzdem gilt: „Der Trend zum verstärkten Wegzug ins nahe gelegene Umland (angrenzende Landkreise) besteht seit ca. zehn Jahren. Seit 2014 hat Leipzig einen negativen Wanderungssaldo mit den angrenzenden Landkreisen Leipzig und Nordsachsen. Die Gründe für den Wegzug sind vielfältig.“
Die Gründe aber genau dafür wollte die CDU-Fraktion genauer wissen: „Welche Erkenntnisse hinsichtlich der Motivation zum Wegzug liegen vor?“
Womit man wieder bei der „Bürgerumfrage 2019“ ist, aus der Leipzigs Statistiker/-innen versucht haben, die Gründe für diese verstärkten Wegzüge zu destillieren.
„Die kommunale Bürgerumfrage liefert hierzu bereits ausführliche Informationen. Für weiterführende Informationen hinsichtlich möglicher Umzugsgründe wird daher auf Kapitel 3.5 der öffentlich einsehbaren Ergebnisdokumentation zur Kommunalen Bürgerumfrage 2019 verwiesen“, betont das Baudezernat.
Aber es ist ja nicht ganz zufällig, dass jetzt das Baudezernat antwortet und nicht etwa das Sozialdezernat. Denn die Wegzüge haben eine Menge mit der Stadtplanung und der Wohnungspolitik zu tun.
„Auskunft über die Motive der aus Leipzig tatsächlich weggezogenen Personen können die Bürgerbefragungen in der Projektregion aus dem Forschungsprojekt Interko2 (Umland und erweitertes Umland, siehe Frage 2) geben“, betont das Dezernat.
„Eine erste Kurzauswertung hat folgende Erkenntnisse ergeben: Die drei am häufigsten benannten Hauptwegzugsgründe in eine der sechs Befragungsgemeinden (Schkeuditz, Merseburg, Brandis, Groitzsch, Rackwitz, Bad Dürrenberg) zu ziehen, waren für die befragten Paare mit Kind(ern) der Erwerb (auch Erbschaft) von Wohneigentum (37 %), wohnungsbezogene Gründe (Wohnung ist zu klein oder zu groß geworden oder war in einem schlechten Sanierungszustand; 21 %) und der Wunsch nach Wohnen außerhalb der Großstadt (19 %).“
Aber die zugehörige Grafik zeigt auch, dass sich die Gründe für die Umzüge oft überlagern. Es ist meist nicht nur ein Grund, der junge Familien dazu bringt, die Koffer zu packen.
Das stellt auch das Baudezernat so fest: „Ausschlaggebend für eine Umzugsentscheidung ist oftmals nicht nur ein Hauptgrund, vielfach existiert ein Bündel an Gründen. Daher wurden die Befragten in den Zielgemeinden auch nach weiteren (also ,flankierenden‘) Umzugsgründen befragt. Bei diesen weiteren Umzugsgründen der Paare mit Kind(ern) dominiert der Wunsch nach Wohnen außerhalb der Großstadt (29 %) vor dem Erwerb bzw. der Erbschaft von Wohneigentum (17 %) und zu hohen Mieten (15 %).“
Die CDU-Fraktion erwähnte dann freilich noch die Vermutungen anderer Medien: „Insbesondere der hohe Preis für Wohneigentum wird in der Presse als Umzugsgrund benannt. Sind hier konkrete Maßnahmen zum Gegensteuern in Planung? Falls ja: Welche?“
Mit solchen Vermutungen kann man natürlich auch die Diskussion verengen, auch wenn die massiv gestiegenen Preise für Wohneigentum in Leipzig tatsächlich für viele Normalverdiener schlicht unmöglich machen, im Leipziger Gebiet zu Wohneigentum zu kommen. Das Baudezernat zählt dann freilich noch die begrenzten Möglichkeiten der Stadt auf, überhaupt Grundbedingungen für bezahlbares Wohneigentum zu schaffen.
Aber wenn 15 Prozent der Umgezogenen die zu hohen Mieten als zusätzlichen Umzugsgrund nennen, deutet das auf ein anderes Problem hin, das die CDU hier nicht in den Fokus genommen hat: fehlende bezahlbare Wohnungen für Familien im Stadtgebiet. Denn nicht alle Familien wollen auch Wohneigentum oder ein eigenes kleines Häuschen vor der Stadt. Viele suchen einfach größere Wohnungen für eine wachsende Familie und finden sie in Leipzig zu bezahlbaren Preisen nicht mehr.
Nicht ohne Grund ist mittlerweile die Diskussion um den Mietendeckel (nach Berliner Vorbild) bundesweit entbrannt. Denn wenn die steigenden Mieten nicht mehr dem normalen Lohnniveau in einer Stadt entsprechen, hat das ziemlich automatisch die systematische Verdrängung von Niedrig- und Normalverdienern zur Folge.
Und in Sachsen ist mittlerweile die Einführung der Mietpreisbremse überfällig, betonte am 15. April erst Thomas Löser, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag: „Das Urteil zum Mietendeckel in Berlin hat indes keinen Einfluss auf die Einführung der Mietpreisbremse in Sachsen. Im Gegenteil: Dieser Weg ist vom Bund bereits vorgezeichnet und es wird höchste Zeit, dass wir ihn in Sachsen gemeinsam beschreiten. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Koalitionsausschuss hat sich zudem am Dienstagabend auf ein Verfahren zur Einführung der Mietpreisbremse geeinigt.“
Denn auch die „Bürgerumfrage 2020“ bestätigte ja: Die Wohnungsmärkte in Leipzig und Dresden sind weiterhin sehr angespannt.
„Immer häufiger werden einkommensarme und sozial benachteiligte Menschen aus bestimmten Quartieren verdrängt oder sind von Wohnungslosigkeit betroffen. Für viele Haushalte in den beiden Städten kann die Mietpreisbremse eine erhebliche finanzielle Entlastung bedeuten“, so Löser.
„Zudem können die Bestandsmieten stabilisiert werden, wenn der Mietpreis für Neuvermietungen nicht höher als zehn Prozent über der bisherigen Miete liegen darf. Für uns Bündnis ist und bleibt die Wohnungsmarktpolitik zentral, denn steigende Mieten befördern die soziale Spaltung der Gesellschaft.“
Und sie sorgen dafür, dass gerade junge Familien in Entscheidungszwänge kommen, die mit einem Wegzug aus der Stadt nicht zu lösen sind. Denn auch das muss man sich leisten können, denn auch die dann nötige Mobilität zu Schule und Arbeitsplatz kostet Geld.
Und eine wirklich belastbare Statistik zur Wohnungssituation junger Familien hat auch Leipzig nicht. Und damit auch nicht wirklich eine Antwort auf die Frage, warum junge Familien wegziehen – oder auch nicht wegziehen, sondern lieber unter beengten Wohnverhältnissen leben, die vom Familienbudget gerade noch bezahlbar sind. Denn nur scheinbar entlastet die Möglichkeit eines Umzugs ins Umland den Leipziger Wohnungsmarkt. Tatsächlich löst es die Probleme fehlenden bezahlbaren Wohnraums nicht, sondern kaschiert sie nur.
Oder um den Kommentar aus dem Kurzbericht zur „Kommunalen Bürgerumfrage 2020“ zu zitieren: „Im Bereich Wohnen sieht mehr als die Hälfte der Leipziger Eltern (54 %) große kommunale Probleme. Damit liegen sie noch um +16 Prozentpunkte über der Einschätzung der gesamten Leipziger Stadtbevölkerung.“
Mit dieser Information sieht die Diskussion über die abwandernden Familien ins Umland schon ein wenig anders aus. Denn die meisten jungen Familien wollen eigentlich in der Stadt bleiben – und stehen immer häufiger vor dem Problem, dass das beim bezahlbaren Wohnraum ein echtes Problem für sie wird.
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