Mittlerweile haben ja zumindest ein paar Leute, die sich mit der Materie auskennen, festgestellt, dass der neue Rundfunkbeitrag eine Steuer ist, die eigentlich auch fiskalisch so gehandhabt werden mรผsste, aber dann dรผrften die Sender sie nicht eintreiben. Aber sie dรผrfen eintreiben und brauchen die simpelsten Regeln des Steuerrechts nicht einzuhalten. Eine ist zum Beispiel die VerhรคltnismรครŸigkeit: Bezahlt wird nach Einkommenshรถhe.

Im System der deutschen Rundfunkanstalten sind alle gleich. Alle zahlen die selbe Gebรผhr, egal, ob sie gucken oder wieviel, ob sie nur ein Empfangsgerรคt haben, zehn oder gar keines. Nur eine einzige Gruppe von โ€œHaushaltenโ€ (erstaunlich, dass man nicht gleich das Wort Bedarfsgemeinschaft verwendet hat) ist tatsรคchlich befreit: Das sind jene Haushalte, die auf Sozialtransfers angewiesen sind. Da gehen selbst die hartgesottensten Politiker davon aus, dass in den ausgereichten Summen ein Pauschalbetrag fรผr Fernseher, Radio und Computer nicht mehr extra drin ist.

Dass es weit mehr Haushalte gibt, die sich die Gebรผhr fรผr ein staatliches Fernsehen eigentlich nicht leisten kรถnnen, das scheint derzeit eher nur bei den Abgeordneten der Linken ein Thema. Die grรผbeln schon ein Weilchen, was die Sendeanstalten da eigentlich fรผr eine โ€œSchwarzseherโ€-Lรผcke entdeckt haben: Sind das alles Leute, die das Humtata-Angebot der รถffentlich Rechtlichen einfach fรผr nass sehen wollen, obwohl sie es sich leisten kรถnnten? Abzocker also, wie sie von den Anstalten gern gemalt werden? Oder sind es Leute, die die ganzen Angebote aus รถffentlich-rechtlichen Kanรคlen gar nicht haben wollen und gar nicht nutzen โ€“ und deshalb auch keinen Sinn sehen, die ganzen Lotto-, Talk- und Spiel-Shows zu subventionieren? Oder sind es Leute, die froh sind, dass das Haushaltsgeld gerade so reicht, damit sie beim Jobcenter nicht betteln gehen mรผssen?

Nur einmal trocken angemerkt: Das alles wissen die Rundfunkanstalten nicht. Und die verantwortlichen Politiker, die das neue Gesetz gebastelt haben, wissen es auch nicht.

Das nennt man Ignoranz.

Manche Politiker verschaffen sich ein sanftes Ruhekissen beim Gedanken an die so genannte Hรคrtefallregelung: Wer glaubt, dass er sich die Gebรผhr fรผr das staatliche Rundfunkprogramm nicht leisten kann, kann eine Beitragsbefreiung aufgrund eines besonderen Hรคrtefalles stellen.

Das kleine Aber steckt im Detail: Das gilt nur fรผr Menschen, die knapp รผber der Beitragsgrenze liegen, die sie zum Fall fรผrs Sozialamt machen. Nicht fรผr die, die drunter liegen. Und auch die mรผssen erst mal zum Sozialamt tappeln, um sich bestรคtigen zu lassen, dass aufgrund ihres Einkommens Sozialhilfe abgelehnt werden muss. Der Ablehnungsbescheid wird dann zur Grundlage eines Antrags auf Beitragserlass.

Oder mit den Worten der Verbraucherschรผtzer, die in Sachen Rundfunkbeitrag niemanden wirklich schรผtzen kรถnnen: โ€œVoraussetzung ist, dass die รœberschreitung geringer als die Hรถhe des Rundfunkbeitrages ist. Fรผr die Befreiung ist ein ablehnender Leistungsbescheid der Sozialbehรถrde erforderlich.โ€

Diese sonderbare Regelung beschรคftigte nun den Landtagsabgeordneten der Linken in Sachsen, Horst Wehner, der als Sprecher auch fรผr Seniorenfragen zustรคndig ist. Und in Sachsen gibt es tausende Senioren, die mit ihrer knappen Rente deutlich unter den Einkommensgrenzen liegen, die aber oft genug noch so ein bisschen menschlichen Stolz haben und lieber ihre Einkรคufe einschrรคnken, als sich nach einem Leben voller Arbeit doch wieder als Bettler beim Amt anzustellen.

Viele von ihnen (und auch jรผngere Sachsen) haben 2014 einen Antrag auf Erlass des Rundfunkbeitrages gestellt. 1.052 genau, teilte nun Dr. Fritz Jaeckel, der als Chef der Sรคchsischen Staatskanzlei auch fรผr die Medien und den MDR zustรคndig ist, auf Wehners Anfrage hin mit. In 431 Fรคllen wurden Befreiungen auf Grundlage der Hรคrtefallregelung erteilt, erklรคrt er, in 627 Fรคllen wurde der Antrag abgelehnt, โ€œweil die Voraussetzungen nicht vorlagen bzw. nicht nachgewiesen wurdenโ€.

Denn: Siehe oben, der Antragsteller muss vorher zum Sozialamt tappeln und sich bescheinigen lassen, dass er zu wenig verdient, also genau das auf sich nehmen, was vielen Menschen in Sachsen mehr als sauer aufstรถรŸt. Sage keiner, wir wรผrden in einem freien Land leben, in dem jeder Mensch das Recht hat, seine Armut nicht zeigen zu mรผssen. Dass die deutschen Rundfunkanstalten diese Scham schamlos ausnutzen und die Verschรคmten zu โ€œSchwarzsehernโ€ stempeln, ist zumindest den Chefs der Anstalten und den Anzugtrรคgern in den Staatskanzleien und Aufsichtsgremien augenscheinlich nicht peinlich.

Dass die Betroffenen dann auch vor Gericht kaum eine Chance haben โ€“ Gesetz ist nun mal Gesetz, egal, wer es zusammengeschrieben hat โ€“ zeigen dann die restlichen Zahlen, die Fritz Jaeckel herausgibt. Von den 627, die einen Ablehnungsbescheid erhielten, gingen 97 in Widerspruch. Und siehe da: 20 Widersprรผche waren berechtigt, bei 77 Fรคllen aber blieben die Kassierer hart.

Und eigentlich weiรŸ auch Dr. Fritz Jaeckel, wo es klemmt und das ganze System schlichtweg einen blinden Fleck hat. Denn wenn die Rundfunkkassierer nur Ablehnungsschreiben von den Sozialbehรถrden als Nachweis zu niedriger Einkommen akzeptieren โ€“ was ist mit all den Menschen, die mit den sรคchsischen Sozialbehรถrden gar nichts (mehr) zu tun haben wollen? Aus Scham oder schlechter Erfahrung?

Nackig machen, sagt Dr. Fritz Jaeckel. Er sagt es nicht mit diesen Worten, sondern verpackt es hรผbsch in Kanzleipapier: โ€œWeiterhin findet auch dann keine Einkommensberechnung durch die Rundfunkanstalten statt, wenn aus persรถnlichen Grรผnden eine an sich zustehende Sozialleistung nicht in Anspruch genommen wird. Um in derartigen Fรคllen eine Beitragsbefreiung zu erhalten, muss eine Sozialleistung im Sinne des ยง 4 Abs. 1 RBStV beantragt und nach deren Bewilligung hierauf gegenรผber der Sozialbehรถrde schriftlich verzichtet werden (ยง 46 Abs. 1 SGB I).โ€

Man muss sich also dem Sozialamt gegenรผber erst mal finanziell entblรถรŸen, bekommt dann eine Sozialhilfe gewรคhrt, die man dann schriftlich ablehnen muss. Aber dann hat man wenigstens den Schriebs fรผr die Rundfunkanstalt, der amtlich bestรคtigt, dass man das nรถtige Einkommen fรผr die Rundfunksteuer nicht hat.

Die Anfrage von Horst Wehner zu den Hรคrtefรคllen in Sachsen 2014.

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Keine Kommentare bisher

1. Eine Verbrauchsabhรคngige Abrechnung gab es vormals. Mangels รœberwachung (wollen wir die?) jedoch nicht praktikabel. Also ein Pauschalansatz => Richtig.
2. Was fehlt ist eine Beeinflussbarkeit der Medien durch die Bezahlenden (auรŸer รผber indirekte Quotenzรคhlungenโ€ฆ). Die journalistische Freiheit der Redaktionsleiter ist wichtig um keine โ€œgeleiteten Medienโ€ zu ermรถglichen, diese Leiter sollten jedoch transparent und demokratisch berufen werden. Durch die Auftraggeber. (uns?) ..?
3. Der Auftrag der รถffentlich rechtlichen wird aktuell durch selbige immer stรคrker umgedeutet. Wieso wird dies zugelassen? Natรผrlich gibt es einen technologischen Wandel (Internet), und natรผrlich mรผssen diese Medien auch darรผber erreichbar sein. Wenn man sich jedoch ansieht was da sonst noch getan wird..Irre.
4. Kรถnnen oder dรผrfen MDR TV und Radiosender kein intelligentes Programm machen? Ich persรถnlich kann Sputnik seit 2011 nicht mehr hรถren. Fritz/Radio 1/FM4/etc. etc. zeigen doch, das es sehr wohl witzige, intellektuell anspruchsvolle, bildende, politische, erfolgreiche und รถffentlich rechtliche Radiokonzepte in Deutschland gibt => also copy with pride, anstatt unprofessionelle Verblรถdungโ€ฆ

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