Das 800-Seelen-Dorf Mihlsdorf gibt es nicht. Und Richard Wagner hat wohl auch nichts in einem Geheimversteck in der Lochmühle im Liebethaler Grund versteckt, als er sich dort zur Sommerfrische aufhielt. Aber die Mühle gibt es tatsächlich. Genauso wie es das Wagnerdenkmal im Liebethaler Grund gibt. Man kann hinwandern und sich ein bisschen gruseln. Denn auch Henning Kreitels Mordfall ist nur eine Erfindung.

Genauso wie sein Ermittler, der Bürgerpolizist August Barthel, der kaum ein halbes Jahr den Posten in seinem Heimatdorf ausübt, nachdem er den Polizeidienst in der Großstadt lieber hinter sich gelassen hat. Gerade ist auch sein Vater gestorben und hat ihm das Haus hinterlassen. Er hat also gleich ein Unterkommen.

Und ein Moped dazu, mit dem er durch die Gegend knattern kann. Eigentlich eher, um sich mit den ganzen Problemchen der Dorfbewohner zu beschäftigen, eher nicht in den Fußstapfen berühmter Kommissare.

Aber irgendwie kommt es auf einmal ganz dicke. Hauer, der scheinbar allmächtige Tischlermeister aus dem Dorf, ist verschwunden. Barthel hat sogar noch Schreie aus dem Liebethaler Grund gehört. Aber als er hinuntersteigt in die Schlucht, findet er keine Verunglückten, aber auch keinen Hauer. Nur sein Handy in der entkernten Lochmühle, aus der – auch das erfährt er erst bei dieser Gelegenheit – eine Art Lust-Hotel werden soll.

Nur: Da keine Leiche gefunden wird, ist das Ganze nur ein Vermisstenfall. Also noch nichts für die Mordkommission aus der Stadt. Und also ermittelt Barthel auf eigene Faust und mit einer gehörigen Portion – ja, wie soll man das nennen? – Unüberlegtheit, Leichtsinnigkeit oder gar Überschätzung?

Verdächtig sind alle

Jedenfalls dürfen sich die Leser festhalten, bei wie vielen Gelegenheiten Barthel die simpelsten Ermittlungsregeln außer Acht lässt und sich damit selbst in ziemlich peinliche Situationen bringt. Mal ist es die Security eines Puffs, mit der er sich anlegt, mal nimmt er einfach eine eigenmächtige Durchsuchung im Haus des Verschwundenen vor und kommt dabei der attraktiven Frau des Gesuchten ziemlich nah.

Und da er das Handy des Mannes eingesackt hat und mit sich herumträgt, verwandelt er sich regelrecht in einen Klingelbaum, kann aber die Anrufe nicht entgegennehmen.

Und dabei träumt er von einem ganz großen Fall. Hat das Ganze mit der alten Mühlenruine zu tun und einem Verstoß gegne den Naturschutz im Liebethaler Grund, spielt hier Rotlicht-Geld eine Rolle oder bekommt er es gar mit Gangs aus Osteuropa zu tun? Barthel jedenfalls lässt sich nicht beirren. Nicht mal ein Unfall mit dem Moped, nach dem er unverhofft im Krankenhaus landet, hält ihn davon ab, auf eigene Faust weiter zu ermitteln. Und dabei nicht die Bohne auf seine Sicherheit zu achten.

Dass er auch eine sehr ruppige Art hat, mit den Leuten zu reden, die ihm Auskünfte geben sollen, erinnert an eine Menge ziemlich rauer ARD-Tatorte. Aber augenscheinlich ist der Bursche vom Geiste berühmter Detektive beseelt. Nur dass seine ziemlich unverblümte Art, die Leute ringsum zu verdächtigen, ihn selbst am Ende zum Opfer machen könnte, scheint er zwar zu ahnen, aber nicht die Bohne ernst zu nehmen.

Sodass er am Ende ein zweites Mal im Krankenhaus landet. Wo ihn wieder nichts hält. Denn da ist Hauer schon zwei Tage verschwunden. Ein alter Mann scheint seine Neugier schon mit dem Tod bezahlt zu haben. Und munter stapft Barthel wieder über Privatgelände, bricht ein Schloss auf und kommt der Lösung seines Falles, der eigentlich noch gar keiner war, gefährlich nahe. Gefährlich für ihn.

Denn am Ende scheinen hier dann doch uralte Legenden ihre Erfüllung zu finden. Und menschliche Leidenschaften sich auszutoben, die man in einem kleinen idyllischen Dorf in der Sächsischen Schweiz nicht vermutet hätte. Und wieder geht’s für Barthel haarscharf noch einmal gut. Man ist regelrecht erleichtert auf der letzten Seite, dass man den ermittlungseifrigen Bürgerpolizisten noch am Leben sieht.

In einem Dorf, das sich beim zweiten Blick ganz und gar nicht als idyllisch erweist, sondern als Ort ganz moderner Leidenschaften, die auf uralte Leidenschaften treffen. Die modernen – das sind die Gier und die Arroganz der Leute, die glauben, mit Geld alles kaufen zu können. Auch Gemeinderäte und Naturschutz.

Womit das wirklich ein ganz aktuelles sächsisches Thema wäre. Das können auch die eingeborenen „Macher“ sein, die es auch in Sachsens Dörfern überall gibt, felsenfest davon überzeugt, dass sie es sind, die Land und Laden am Laufen halten, wenn sie sich nur fleißig die Konten füllen.

Das spielt am Ende trotzdem mit als Motiv. Untermalt mit Wagnermusik, die natürlich immer passt, wenn menschliche Leidenschaften mit ihren Besitzern durchgehen.

Henning Kreitel „Der Mord an der Mühle“ Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024, 20 Euro.

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