Das Leben als Kind ist hart, besonders, wenn man es mit Eltern zu tun bekommt, die ihre Probleme nicht gebacken kriegen. Oder nicht miteinander können. Oder zu spät merken, dass sie nicht miteinander können. Was oft gar nicht an ihnen liegt. Aber wie können Kinder damit umgehen, erst recht in einer Welt, in der man nicht darüber redet, wenn Kinder aus Scheidungsfamilien kommen? Weil das so peinlich ist. Aber: Ist das überhaupt peinlich?
Auch Frauke Angel war anfangs über den Wunsch des Klett Kinderbuch Verlages ein bisschen verblüfft. Denn für Kinder schreibt man doch eigentlich lieber etwas „Freches, Lustiges, Spannendes oder auch Gruseliges“. Mit den harten Realitäten des Lebens konfrontiert man sie doch lieber nicht, oder?
Kein ganz leichtes Thema. Denn als sie sich damit beschäftigte, merkte auch Frauke Angel, dass auch sie damit zu tun hat. Nicht nur Kirchen und Zeitungskommentatoren mit Pflaumen auf den Augen tun ja gern so, als wären Scheidungen und Trennungen des Teufels, geradezu inakzeptabel und irgendwie auch ein Vergehen an einer Sozialgemeinschaft, in der Eltern bitteschön für Kindernachschub zu sorgen haben, ansonsten aber bitteschön die Mitwelt nicht mit ihren Emotionen und Problemen belasten sollen. Das Thema spricht Frauke Angel zwar nicht an und es würde für sich auch ein ganzes Buch füllen.
Aber wenn man am Ende alles rekapituliert, was sie für das Buch dann doch zusammengetragen hat, merkt man eigentlich, dass Scheidungen und Trennungen nur deshalb ein derart aufgeblasenes und tabuisiertes Thema sind, weil unsere Gesellschaft genauso profitorientiert denkt und auch sämtliche Gesetze so gestrickt hat, dass Menschen, die eigentlich nur Familie sein wollen, mit der ganzen Knickrigkeit und dem Besitzstandsdenken einer Gesellschaft konfrontiert werden.
Einer Gesellschaft, die Ehen als Wirtschafts- und Besitzmodell denkt und noch immer das Uralt-Bild der bürgerlichen Vorstellungen von Vater, Mutter, Kind postuliert, das mit der realen Lebenswelt junger Paare und ihrer Kinder nichts zu tun hat.
Die unsichtbaren Scheidungskinder
Dass viele Eltern von diesem Spagat in einer von Wettbewerb und Ellenbogen dominierten Gesellschaft überfordert sind, ist nur zu verständlich.
Aber natürlich geht es Frauke Angel hier nicht um die Eltern, sondern um die betroffenen Kinder. Die ja in der Schule in der Regel auch nicht davon reden. Das Bild von der heilen bürgerlichen Familie sitzt in den Köpfen. Obwohl dann auch der erste Besuch in einer Schulklasse zeigt, dass erstaunlich viele Arme nach oben gehen, als Frauke Angel danach fragt, wer alles Scheidungskind ist.
Genug Grund also, das Thema tatsächlich einmal als Ratgeber für Kinder aufzuarbeiten – für Trennungskinder, wie es im Untertitel heißt. Auch wenn bald deutlich wird, dass es auch Kinder betrifft, die glauben, bei ihnen zu Hause könnte das nicht passieren.
Doch es passiert eben viel öfter, als man denkt. Und so erzählt Frauke Angel von den Gründen, die dafür sorgen können, dass Eltern sich scheiden lassen. Und von dem, was alles auch schon davor passiert. Denn viele Eltern erzählen ihren Kindern nicht wirklich viel über ihre Partnerschaft, die Hochzeit oder gar die Gefühle, die sie miteinander verbinden. Manche ganz sicher, weil sie ihre Kinder damit auch schützen wollen. Aber die sind nicht dumm.
Und sie können viel mehr verstehen, als ihre Eltern ihnen oft zutrauen. Und vor allen Dingen haben sie viel mehr Probleme damit, wenn die Konflikte in der Familie unausgesprochen bleiben und sie nicht wissen, was da gerade passiert.
Denn dass viele Scheidungskinder im späteren Leben selbst Probleme in Liebesbeziehungen und Partnerschaften bekommen, hat oft auch gerade mit diesen diffusen Verhältnissen zu tun, in denen sie berechtigte Angst haben mussten, ihre gewohnte Umgebung und die ihnen wichtigsten Menschen zu verlieren. Oder auch nicht zu verlieren. Oft sind Trennungen nämlich sogar das einzige Mittel, um wirklich gewalttätige und falsche Beziehungen zu beenden und Kinder aus dem Einflussbereich toxisch wirkender Partner zu befreien.
Nicht selten halten ja gerade Frauen an solchen toxischen Beziehungen fest, auch weil sie glauben, ohne den Partner nicht über die Runden zu kommen.
Die Sichtweise der Kinder
Ein solches Buch, das den Kindern erklärt, was da eigentlich passiert, wenn sich die Eltern scheiden lassen, ist also dringend gefragt. Frauke Angel erzählt, was da während und nach der Scheidung tatsächlich passiert und dass das die Kinder eben doch etwas angeht. Denn in der Scheidung entscheidet sich nun einmal auch, wie sich die Eltern in das Sorgerecht teilen und bei wem die Kinder künftig leben.
Und diese haben durchaus ein Wörtchen mitzureden dabei. Sie haben auch das Anrecht auf Hilfe, wenn sie mit der Situation nur schwer zurechtkommen. Es geht um „Gefühle, Geld und Gesundheit“. Auch und erst recht nach der Scheidung, wenn meist die Mutter allein mit den Kindern lebt und deutlich weniger Geld für den Alltag zur Verfügung steht. Dauerthema: Alleinerziehende.
Und da Frauke Angel jetzt schon einmal Kontakt aufgenommen hat zu richtigen Scheidungskindern, kommen sie im Buch auch selbst zu Wort – mit verfremdeten Namen, denn natürlich sollen sie ja nicht identifizierbar sein. Aber ihre Sichtweise ist wichtig. Und viele erzählen eben auch, was sie aus ihrer Perspektive wirklich erlebt haben und was ihnen alles nicht gesagt wurde. Denn Erwachsene nehmen eben oft nicht wahr, wie stark involviert Kinder bei so etwas immer sind, auch dann, wenn sie ihre Gefühle verstecken – aus Scham oder aus Angst davor, an etwas ganz Gefährlichem zu rühren.
Weshalb Frauke Angel ganz hinten im Buch zwei große Listen untergebracht hat, mit echten und guten Tipps nicht nur für Scheidungskinder, sondern auch für die Eltern, die diese am besten wirklich beherzigen. Etwa: „Redet nicht schlecht vor uns über Mama oder Papa.“ Oder: „Erzählt uns, warum ihr euch scheiden lasst!“ Oder die Frage, die auch Eltern gern stellen, die gar nicht an Scheidung denken: „Stellt uns niemals die Frage, wen von euch wir lieber haben!“
Und die Tipps für die Kinder sind ebenso nützlich und hilfreich. Denn nichts ist ärgerlicher, als den ganzen Kummer immerzu herunterzuschlucken, ohne mit jemandem darüber reden zu können. Und dann auch noch lauter Schamgefühle zu entwickeln, weil man denkt, dass man nun kein vollwertiger Mensch mehr ist. Obwohl sich viele Eltern ja sogar im Guten scheiden und den Kontakt zu ihren Kindern nicht aufgeben. Und damit oft verlässlichere Verhältnisse schaffen als Eltern, die ihre Kinder wie kleine Automaten behandeln, die zu funktionieren haben.
Nicht alles hält ein ganzes Leben lang
Die Botschaft ist klar: Auch Scheidungskinder sind richtige Menschen, mit allem drum und dran, mit Gefühlen und berechtigten Ansprüchen. Und mit Persönlichkeit, die nicht kaputt gemacht werden darf, nur weil sich Erwachsene gegenseitig die Hölle heiß machen.
Das Buch ist etwas anspruchsvoller und wird eher Schulkinder ansprechen, die auch schon ein gewisses Verständnis für den ganzen Papierkram, die Arbeitsweise eines Gerichts und Erwachsenendinger haben. Aber es hilft garantiert genauso Erwachsenen, die in Scheidungssituationen ja oft selbst hineingeraten, ohne zu wissen, wie es passiert ist.
Obwohl es sogar ganz natürlich ist, was Frauke Angel ja mit lauter Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt unterlegt. Ehen halten nun einmal nicht immer ein ganzes Leben. Oft leben sich Menschen auseinander, das Vertrauen erlischt, Zuneigung und Liebe verwandeln sich in drögen Alltag. Und nicht immer haben Eltern dann die Kraft, die Sache wieder zu reparieren und ihre Partnerschaft neu zu gestalten.
Da ist es dann gut zu wissen, wie man mit Trennungen umgeht und die Kinder dabei nicht überfordert. Was dann natürlich viele Eigenschaften voraussetzt, die manchmal auch Erwachsene erst erwerben und erlernen müssen – die Fähigkeit zur Kommunikation, zum Vertrauen und zum Ehrlichsein in den Beziehungen auch zu den Kindern zum Beispiel.
Das Buch jedenfalls dürfte vielen Menschen helfen in schwierigen Situationen – großen wie kleinen. Und seien es auch die Kleinen, die den Großen dann erklären, was jetzt eigentlich dran wäre und richtig helfen könnte.
Frauke Angel, Meike Töpperwien: „Vorsicht, frisch geschieden! Ein Survival-Buch für Trennungskinder“, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2023, 20 Euro.
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