Dr. Mark Lehmstedt ist ja selbst Kulturhistoriker, hat schon etliche Bรผcher und Aufsรคtze zur Buchgeschichte verรถffentlicht. Nun hat sich der Leipziger Verleger ein Herzensthema vorgenommen: Er will das erste maรgebliche Lexikon schaffen, in dem die wichtigsten Akteure der Leipziger Buchgeschichte seit 1420 zu finden sind. Zumindest die bis 1825. Und schon das sind eine Menge.
So viele, dass Lehmstedt das Lexikon samt Gesamtregister schon einmal auf sechs Bรคnde plant, jeder Band einem ganzen Kapitel der Kultur- und Geistesgeschichte gewidmet, denn nirgendwo spiegelt sich diese Geschichte deutlicher als im Aufschwung von Buch- und Verlagswesen. Und in der Geschichte der Buchstadt Leipzig sowieso, die von Anfang an einer der Orte war, an denen das Verlagswesen in Deutschland zur Blรผte kam.
Was vor allem mit Leipzigs Rolle als Messestadt zu tun hat: Hier wurden die Bรผcher umgeschlagen, die den aufblรผhenden Buchmarkt bereicherten. Und wo der Handel eh schon zu Hause ist, siedeln sich auch die Drucker und Verleger an.
Im ersten Band bildet Lehmstedt also die Startphase der Leipziger Buchstadt ab. Dass er sie im Jahr 1420 beginnen lรคsst, 30 Jahre vor der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern durch Johannes Gutenberg, ermรถglicht zumindest ein Streiflicht in diese Vor-Zeit, in der es natรผrlich auch Bรผcher gab, wenn auch aufwendig in Handarbeit hergestellt, von den gewaltigen Bibelabschriften aus den Klรถstern und den aufwendigen Illuminationen durch Kรผnstler, deren Namen man in der Regel nicht kennt, bis hin zu den Buchbindern, von denen man zumindest einen mit Namen kennt: Andreas Zeitz.
Aber auch in Leipzig begann das Zeitalter des gedruckten Buches natรผrlich erst mit Gutenberg bzw. seinen Jรผngern, die die Schwarze Kunst schon nach wenigen Jahren auch nach Leipzig brachten und hier bekannte Druckwerkstรคtten einrichteten. Heinrich Heilemann, Marcus Brandis und Conrad Kachelofen stehen fรผr diese Anfรคnge. Die Drucker, Buchbinder und Buchhรคndler siedelten sich zumeist im Lateinischen Viertel an, also rund um Nikolai-, Ritter- und Grimmaische Straรe, wo sie natรผrlich den direkten Draht zur Universitรคt hatten. Denn dass gedruckte Bรผcher und Flugschriften auch fรผr die geistige Diskussion genutzt werden konnten, entdeckten auch die Hochschullehrer recht frรผh โ und wurden schnell selbst zu Autoren, Herausgebern und sogar Verlegern.
Die Grenzen sind flieรend, wie Mark Lehmstedt feststellt. Auch wenn die aufgearbeitete Quellenlage zu diesem ersten Leipziger Buchjahrhundert relativ gut ist, weil sich die Forschung gerade mit dieser Frรผhzeit des Buchdrucks aus verschiedensten Grรผnden schon sehr intensiv beschรคftigt hat. Dazu gehรถren natรผrlich auch die Reformation und die enorme Wirkung der gerade in Leipzig gedruckten Streitschriften und Verรถffentlichungen nicht nur Martin Luthers und seiner Mitstreiter, sondern auch ihrer Kritiker.
Und ganz zentral ist ja bekanntlich dabei der Drucker Melchior Lotter, der in der Hainstraรe die Druckerei von Conrad Kachelofen fortfรผhrte und mit Luther eng befreundet war. Die durchaus unterschiedlich stark ausgearbeiteten Kapitel zu den in diesem Band versammelten Herren (und ganz wenigen Frauen) zeigen natรผrlich den durchaus unterschiedlichen Archivbestand. Von manchen in der Buchbranche Tรคtigen sind oft nur ihre Tรคtigkeiten bekannt, wie sie in diversen stรคdtischen Akten (und manchmal auch Gerichtsunterlagen) erhalten geblieben sind.
Von anderen Akteuren kennt man lรคngst recht ausfรผhrliche Lebenslรคufe, zusammengetragen von Historikern, die sich diesen Personen sehr intensiv gewidmet und die alten Archive entsprechend intensiv durchforstet haben. Da zum Glรผck viele Archivalien mittlerweile auch in Online-Datenbanken verfรผgbar sind, erรถffneten sich auch fรผr Mark Lehmstedt neue Mรถglichkeiten, die Frรผhzeit der Buchstadt neu zu erhellen, den Kanon der verifizierbaren Personen deutlich zu erweitern, andererseits auch manchen Namen zu streichen, weil die Person wohl eher doch nichts mit dem Buchgewerbe selbst zu tun hatte.
Die einzelnen Kapitel enthalten alle Lebensdaten, die mittlerweile durch Quellenfunde belegt sind. Das ist bei den bekannteren natรผrlich deutlich mehr als bei jenen, รผber die es nur wenige Befundstellen gibt.
Und bei den bekannten Buchdruckern, Buchbindern und Buchhรคndlern gibt es dann meist auch eine ausfรผhrliche Werklisten. Denn bei ihnen haben sich oft auch prรคsentable Buchbestรคnde in den wichtigen Bibliotheken erhalten. Und da werden natรผrlich selbst die gedruckten Bรผcher zur Fundgrube fรผr den Forscher, verraten ja die Titelblรคtter meist den Drucker und zeigen auch gleich noch sein Signet. Wie so etwas aussieht, zeigt ein dem Band beigegebener Bildteil. Da findet man zwar auch einige Druckerportrรคts โ aber erst solche aus dem 18. Jahrhundert, also wohl eher Phantasiebilder.
Man braucht Phantasie, um sich das Druckgewerbe in Leipzig zur Lutherzeit vorstellen zu kรถnnen. Die biografischen Notizen regen diese Phantasie natรผrlich an. Etwa bei Melchior Lotter, der auch als einziger Drucker die amtlichen Schriften des Dresdner Hofes drucken durfte und der 1518 das Haus Hainstraรe vollstรคndig umbauen lieร, im selben Jahr, in dem er mit dem Druck von Luthers Schriften begann. Man findet aber auch Lotters Zeitgenossen Jacob Thanner, der gleichzeitig auch inhaltlicher Konkurrent war, denn zeitweilig druckte er nur katholische Schriften. Dabei war er es gewesen, der 1517 als erster die 95 Thesen Martin Luthers gedruckt hatte. Aber das mit den katholischen Schriften war wohl keine so gute Idee: Schon 1526 geriet er in finanzielle Schwierigkeiten und starb 1535 verschuldet.
Natรผrlich endet das Lexikon nicht schlagartig mit dem Jahr 1538, dem Jahr vor der Einfรผhrung der Reformation in Sachsen, sondern beinhaltet sรคmtliche Personen, deren Wirken vor diesem Jahr begonnen hat. Der Folgeband verspricht fรผr die Kenner der Materie wohl einige รberraschungen, denn hier ist die Aufarbeitung der Quellen noch lรคngst nicht so umfassend, wie es fรผr die Frรผhzeit schon erfolgt ist, betont Mark Lehmstedt im Vorwort. Irgendwie war die Zeit von der Einfรผhrung der Reformation in Sachsen bis zum Ende des Dreiรigjรคhrigen Krieges fรผr die Forscher bislang nicht so interessant, dass sie hier wirklich ehrgeizig zu Werke gegangen wรคren. Mark Lehmstedt wird hier also einige groรe Lรถcher stopfen.
Und mit der Zeit wird er damit ein Lexikon schaffen, das wiederum jรผngere Forschergenerationen dazu animieren dรผrfte, sich mit einigen dieser Persรถnlichkeiten der Buchstadt kรผnftig intensiver zu beschรคftigen. Eine Chronik, Personen- und Berufsregister machen das Suchen und Finden in diesem Band leichter. Im Band 6 soll es, wenn das ganze geplante Lexikon fertig ist, auch noch ein Gesamtregister nebst Tabellen, Statistiken und Karten geben, sodass das Lexikon dann zu einem der wichtigsten Findemittel fรผr all jene wird, die sich in den ersten 400 Jahren der Geschichte der Buchstadt Leipzig orientieren wollen.
Mark Lehmstedt Buchstadt Leipzig, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2019, 78 Euro.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. Oktober 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr fรผr alle Leser frei verfรผgbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label โFreikรคuferโ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem โLeserclubโ (also durch eine Paywall geschรผtzt) kรถnnen wir diese leider nicht allen online zugรคnglich machen.
Trotz aller Bemรผhungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstรคrkt haben sich im Rahmen der โFreikรคuferโ-Kampagne der L-IZ.de nicht genรผgend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehรถrigen, Vereinen, Behรถrden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstรผtzen und ein Freikรคufer-Abonnement abschlieรen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekรคren Situation unserer Arbeit zu unterstรผtzen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine โPaywallโ, bemรผhen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch fรผr diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten kรถnnen und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood รผber Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafรผr und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jรคhrlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfรผgbare Texte zu prรคsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 450 Abonnenten.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher