2011 hat die Grafikerin Esther Gonstalla ihr erstes „Klimabuch“ gestaltet und veröffentlicht. Kein ganz zufälliges Jahr: Es war das Jahr von Fukushima und Angela Merkels resoluter Kehrtwende in der Atompolitik. Und der Hoffnung, dass die Bundeskanzlerin die Klimapolitik jetzt wirklich ernsthaft angehen würde. Die Hoffnung trog. Sie hat es nicht getan. Höchste Zeit also für ein neues „Klimabuch“, das in anschaulichen Grafiken zeigt, wie wir unsere Welt kaputtmachen.
Vielleicht hat ja Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ein Vorabexemplar bekommen. Oder er hat einfach zugehört, was die Schüler/-innen bei „Fridays For Future“ sagen. Zum Lernen ist es ja nie zum spät. Und wer die großen Zeitungen der Republik liest, wundert sich ja nur, wie das Thema auf einmal überall präsent ist. In all seinen Facetten. Als hätten die Redakteure endlich aufgehört, erst mal zu fragen, was denn nun die Regierungsparteien meinen könnten, was jetzt opportun wäre, für gutzuheißen.
Oder sie haben tatsächlich endlich die Angst bekommen, die aufmerksame Menschen schon lange haben, weil sie ahnen was es bedeutet, wenn der Regen ausbleibt, die Dürren um sich greifen, die Korallenriffe sterben und die Polkappen abschmelzen. Um nur ein paar der Dinge zu nennen, die mit den steigenden Temperaturen nicht erst morgen auf uns zukommen, sondern heute schon überall auf unserem Planeten zu besichtigen sind. Sie wissen, was die riesigen Mengen von CO2 in der Atmosphäre anrichten, die eben nicht nur unsere fossilen Kraftwerke in die Luft blasen, sondern auch unsere riesigen Flotten von Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotor, von Containerschiffen und Frachtfliegern, die immer größere Mengen von Waren rund um den Globus transportieren.
Aber wie vermittelt man das all den Menschen, die von der Flut der alarmierenden Nachrichten mittlerweile verwirrt sind? Die mit Entsetzen auf brennende Wälder und Torfe in der Arktis schauen, auf abschmelzende Gletscher und sterbende Korallenriffe?
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Das Buch wirbt zwar damit, das Wichtigste, „was man wissen muss“, in 50 Grafiken erzählen zu wollen. Aber tatsächlich sind es 50 Doppelseiten voller Grafiken, die den Leser mitnehmen an den Beginn, der ganz und gar nicht unheimlich ist, sondern unser Leben begründet. Denn die ersten Seiten erzählen davon, wie unser Klima entsteht, wie der sogenannte Treibhauseffekt dafür sorgt, dass unsere Welt genau auf die richtige Temperatur geregelt ist, die nicht nur alles heutige Leben ermöglicht, sondern auch die ganze menschliche Zivilisation.
Das erzählen unsere Blitzmerker aus der „Klimawandelleugner“-Fraktion nämlich nie. Sie haben nur irgendwo mal gehört, dass die Durchschnittstemperaturen auf der Erde immer mal geschwankt haben. Aber sie haben nie begriffen, dass einige dieser Schwankungen das Aus für ganze Arten waren, dass die Welt, wie wir sie kennen, erst ungefähr 10.000 Jahre existiert, in denen die Temperaturen im Weltmaßstab sehr stabil gewesen sind. Mit leichten Schwankungen selbst in Zeiten, als von Kleinen Eiszeiten und mittelalterlichen Warmzeiten die Rede war. Keine dieser historische Epochen wich so stark vom Durchschnittswert der weltweiten 15 Grad ab wie die Jahre seit 2000.
Es geht nicht um irgendwelche Temperaturschwankungen. Es geht um solche, die so deutlich vom jahrtausendelangen Durchschnitt abweichen, dass die komplette menschliche Zivilisation in Gefahr gerät, weil riesige Gebiete für die Landwirtschaft verloren gehen, viele Inseln und Küsten beim Anstieg des Meeresspiegels unter Wasser stehen werden, Starkregen, Orkane und Dürren zunehmen und ganze Biosysteme zusammenbrechen und die Artenvielfalt verschwindet.
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Also erklärt Esther Gonstalla erst einmal anschaulich, wie unser Klimasystem funktioniert, welche Rolle Wälder und Meere als CO2-Speicher spielen und wie der immer weiter steigende CO2-Ausstoß in den Industrienationen dazu führt, dass das sensible Gleichgewicht aus dem Lot gerät und die Atmosphäre sich immer mehr aufheizt. Sie erzählt auch, was es eigentlich mit der berühmten 1,5 Grad Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf sich hat, denen wir schon gefährlich nahe sind.
Denn der Wert ist von den Meteorologen nicht einfach so ausgedacht, er hängt mit gleich mehreren Kipppunkten zusammen, an denen wichtige Systeme beginnen, tatsächlich zu kippen. So wie der riesige Eispanzer auf Grönland, von dem die Forscher dringend hoffen, dass er eben nicht abschmilzt, oder der Eisschild der Antarktis. Oder auch die Permafrostböden in Sibirien und Kanada, die aufzutauen drohen und dann riesige Mengen von Methan freisetzen, die noch viel stärker als Klimagase wirken als CO2.
Die Grafiken stehen nicht einfach nur als Bild auf der Seite. Zu jeder Grafik gibt es Erläuterungen, die erklären, was das Bild in seiner scheinbaren Einfachheit zeigt.
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Aber Gonstalla belässt es nicht bei den natürlichen Systemen. Sie zeigt auch anschaulich, wie der Mensch mit seiner heutigen Wirtschaftsform dafür sorgt, dass die Atmosphäre immer weiter aufgeheizt wird. Und wer eigentlich welchen Anteil daran hat – beginnend bei der fossilen Brennstoffindustrie über den fossil betriebenen Frachtverkehr und die Zerstörung der Wälder und die methanproduzierende Massentierhaltung bis zur Rolle einer überdüngten Landwirtschaft.
Einzelne Länder wie Deutschland, China und die USA werden regelrecht unter die Lupe gelegt. Und akribisch wird vorgerechnet, wie Länder wie die USA oder auch Europa ihre CO2-Bilanz verschleiern, weil sie einen Großteil ihrer Warenproduktion regelrecht ausgelagert haben. Meist nach China, dessen Warenbilanz ein US-Präsident namens Trump bis heute nicht begriffen hat.
Ein nicht gerader kleiner Teil des Buches zeigt dann, welche konkreten Folgen die Erwärmung von Atmosphäre und Meeren heute schon hat. Und welche Folgen schon in wenigen Jahren über die Erde hereinbrechen werden – auch ein wenig differenziert zwischen der gewünschten Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, mit dem die nahe Zukunft der Menschheit nur hart wird. Sollten es aber die 4 Grad werden, die bei einem „Weiter so“ auf uns zukommen, wird unser Planet schon Ende des Jahrhunderts in einem Chaos von lauter verschiedenen Katastrophen stecken, die zu bewältigen die Kraft aller Nationen übersteigen wird.
Wobei anzumerken ist: Niemand kann wirklich voraussagen, wie irrational eine Menschheit auf einem um 4 Grad aufgeheizten Planeten reagieren wird. Absehbar ist nur jetzt, dass die Flüchtlingsströme massiv anwachsen werden, wenn riesige Gebiete in Afrika, Südamerika und Ozeanien unbewohnbar werden, dass es mehr Bürgerkrieg und mehr Krieg um überlebenswichtige Dinge wie Trinkwasser und Böden geben wird.
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Und bevor jetzt alle denken, das Buch entmutige nur: Gonstalla lässt ihre Leser nicht im Regen stehen. Denn auch wenn Regierungen zaudern und sich immer wieder von gewaltigen Lobbyverbänden der Fossilindustrie unter Druck bringen lassen, haben trotzdem tausende Wissenschaftler an Modellen gearbeitet, wie unsere Gesellschaften die Kurve kriegen können, wie wir den CO2-Ausstoß schnell und radikal senken können. Eigentlich ist das alles schon seit über 30 Jahren bekannt. Spätestens seit der Konferenz in Rio de Janeiro 1992 wissen es alle, auch wenn sich gerade konservative Politiker nur allzu gern doof stellen, weil sie sich nicht trauen, „ihrer“ Wirtschaft und ihren Wählern etwas zuzumuten.
Dabei beginnt der Wandel bei uns selbst. Auch das zeichnet Gonstalla sehr eingängig auf. Jeder Einzelne kann – zum Beispiel mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes (siehe unten) – recht genau ausrechnen, welcher Teil seines Alltags welche CO2-Emissionen verursacht. Und jeder kann selbst handeln und seine Lebensgewohnheiten stückweise ändern. Wir haben nicht alles in der Hand, aber vieles.
Wir selbst bestimmen, ob wir viel Fleisch aus Massentierhaltung auf dem Tisch haben, ob wir uns mit Soja und Palmöl versorgen, für die ganze Tropenwälder in Asien und Südamerika gefällt wurden, ob wir Solarstrom verbrauchen oder weiter Kohlestrom, ob wir kleine und regionale Bauern unterstützen oder rücksichtslose große Agrarkonzerne. Selbst am Beispiel der Mobilität zeigt Gonstalla, wie viele Wahlmöglichkeiten wir haben, um unsere ganz persönliche CO2-Bilanz ganz bewusst zu verbessern.
Und auf einer „Weltkarte des Wandels“ zeigt sie, dass einige Länder beim Umbau ihrer Energie- und Verkehrssysteme schon deutlich weiter sind als Deutschland. Bis hin zum fahrradfreundlichen Umbau ihrer Städte.
Das heißt: Das Buch klingt als Mutmacher aus, als Ermunterung dazu, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und nicht zu warten, bis auch noch die letzten Minister und Kanzler begriffen haben, dass wir keine Zeit mehr haben, dass die Uhr abläuft und die Menschheit nur überlebt, wenn sie vom fossilen Wachstumswahn Abschied nimmt.
Von den bräsigen Konzernen, die von diesem fossilen Wachstumsdenken profitieren, wird man keine Veränderung erwarten können. Die Veränderung muss vor Ort, bei uns selbst beginnen. Und sie kann dort beginnen, ohne dass wir auch nur das Geringste an Lebensqualität einbüßen. Im Gegenteil: Es öffnet die Tür dazu, vieles in unserem Leben wieder bewusster zu tun und wahrzunehmen. Und auch das, was wir jetzt wirklich zu verlieren drohen – den Artenreichtum um uns herum – mit offeneren Augen sehen zu können.
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Und wie bei ihren vorhergehenden Büchern (sie hat auch ein „Atombuch“ und ein „Ozeanbuch“ gestaltet), hat Gonstalla auch diesmal eine ganze Reihe hochkarätiger Forscher um Unterstützung gebeten, damit ja auch alle Fakten und Grafiken stimmen und vor allem auf dem neuesten Stand der Forschung sind. Denn seit 2011 hat sich die Lage ja nicht gebessert, im Gegenteil, die wichtigsten Messwerte haben sich weiter verschlechtert.
Aber wer sich durcharbeitet durch das Buch, bekommt nicht nur eine sehr bildhafte Vorstellung über die Ursachen und Mechanismen dessen, was wir heute als Klimawandel erleben. Er (oder sie) bekommt auch etliche Seiten Ermutigung, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen und das eigene Leben klimafreundlicher zu gestalten. Und die Kinder bei „Fridays For Future“ zu unterstützen Druck zu machen, bis unsere von Aussitzeritis geplagte Regierung endlich so handelt, wie es jetzt auch im Landes- und Europamaßstab dringend nötig wäre.
Esther Gonstalla Das Klimabuch, Oekom Verlag, München 2019, 24 Euro.
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