2019 ist die Tschechische Republik Gastland der Leipziger Buchmesse. Und es kommt Faszinierendes auf all jene zu, die sich den 20. Mรคrz vormerken. Dann wird der Auftritt des Gastlandes mit einer Kultband in der Schaubรผhne Lindenfels erรถffnet: der Kafka Band. Und wer glaubt, die hรคtten doch nur Kafkas Namen gemaust, der irrt. Zur Buchmesse bringt die Kafka Band auch gleich ihr neuestes Kafka-Epos mit: โAmerikaโ.
L-IZ-Leser kennen zwei der Mitwirkenden schon: Jaroslav Rudiลก und Jaromir 99. Sie haben Buchliebhaber mit ihren liebevollen beiden Comic-Bรผchern รผber den Bahnhofswรคrter Alois Nebel beschenkt. Und wer die Bรผcher las, der weiร auch, dass darin genau jene Atmosphรคre lebt, die man auch aus den Romanen und Erzรคhlungen Franz Kafkas kennt, die ganze Irritation einer Gegenwart, die eigentlich fรผr den kleinen Angestellten nicht mehr greifbar ist, nicht mehr รผberschaubar. Die Irritationen wirken bis hinein in die menschlichen (Nicht-)Begegnungen. Das 20. Jahrhundert war schon ein sehr kafkaeskes, das 21. droht zu dessen Steigerung zu werden.
Natรผrlich hat das Kafka-Band-Projekt nicht die ganzen Romane vertont. Und wahrscheinlich hรคtte Kafka sich davon schwer beeindrucken lassen und sich sehr gewรผnscht, so etwas wรคre auch schon zu seiner Zeit mรถglich gewesen. Aber als er das Romanfragment โDer Verscholleneโ zwischen 1911 und 1914 schrieb, das dann Max Brod 1927 unter dem Titel โAmerikaโ verรถffentlichte, gab es noch keine elektronische Musik, nicht jene gewaltigen Klangwelten, die erst mit Pink Floyd und all den anderen Bands des elektronischen Zeitalters in die Welt kamen. Und damit auch noch nicht das, was man seitdem Konzept-Album nennt. Das Konzert wird zur groรen Erzรคhlung, Klang und Wort vereinen sich einem Gesamterlebnis und machen wieder erlebbar, dass gute Texte rauschende Poesie sind, dass in unseren Wรถrtern ganze Landschaften anklingen โ wenn sie nur klingen dรผrfen.
Und die Kafka Band lรคsst Kafka klingen. Zwรถlf Stรผcke hat sie aus Kafkas Romanfragment herausdestilliert und in Collagen aus Textfragmenten und Songs verwandelt, gleich mal dreisprachig, weniger darf bei Kafka gar nicht sein, der ja mitten im zweisprachigen Prag aufwuchs und mit โDer Verscholleneโ versuchte, seine groรe Sehnsucht nach Amerika in Worte zu fassen. Es ist zwar ein Amerika aus zweiter Hand. Er hat es nie selbst gesehen.
Aber er konnte die Faszination nachempfinden, die andere Reisende hatten, die รผber dieses gewaltige Land hinterm Ozean schrieben, seine riesigen Ebenen, seine gewaltigen Gebirge, die bildhaft direkt in die Hรคusergebirge New Yorks รผbergehen, und seine tiefen Abgrรผnde von Rassenhass und Kommerz. Alles klingt an. Und man spรผrt die Faszination, die zu Beginn es letzten Jahrhunderts von diesem seltsamen Land ausging, das so viel Platz fรผr alle zu bieten schien, so rigoros alle Begrenzungen aufhob und den Menschen spรผren lieร, wie gewaltig das alles war, und wie klein und verloren er selbst. Ein Ort der Angst, der Sorglosigkeit, der Hoffnung und des Scheiterns.
Das mischt sich schon bei Kafka, der seinen Helden nicht als Helden รผber den Groรen Teich schickt, sondern als Verstoรenen, einen, der geradezu verdammt ist dazu, nun irgendwie einen Fuร auf den Boden zu bekommen und sein Schicksal in die eigenen Hรคnde zu nehmen. Ein Mythos, an dessen Gelingen ja heute noch Millionen Amerikaner glauben, auch wenn ihr Leben ein einziges Scheitern ist. Auf einmal spiegelt sich der tragische Mythos des frรผhen 20. Jahrhundert in der ganz und gar nicht mehr poetischen Tragik der Gegenwart. Einer Gegenwart, in der selbst der Sound des Elektronic-Zeitalters wirkt wie der Traum einer vergangenen Zeit.
Ein starker Traum, keine Frage. Die Kafka Band beherrscht diesen Sound. Und gerade die englischen Songs wirken, als kรถnnte diese Band bei einer Amerika-Tournee auch ganze Stadien fรผllen, auch wenn die Herren am Mikro und den Gerรคten tatsรคchlich aussehen wie echte Dichter, Punker und Trรคumer aus Mitteleuropa, wo sie ja herkommen. Und sie beherrschen auch die Molltรถne so, wie Kafka sie beherrschte. Man merkt, dass sie ihren groรen Namensgeber lieben und dass sie auch seine Abgrรผnde kennen, die so abwegig ja nicht sind. Jeder kennt sie, der auch nur einmal innehรคlt und sich fragt, in welchem falschen Film er gerade wieder gelandet ist.
Und gleichzeitig schafft Kafka Band auch die Grenzรผberschreitung, wird die alte und gegenwรคrtige Sehnsucht nach Amerika deutlich, wenn das โkrรกsnรก Amerikaโ sich tschechisch artikuliert. Eine Sehnsucht, die einem Phantom gilt. Weshalb selbst der von Max Brod gewรคhlte Titel โAmerikaโ Sinn macht: 200 Jahre haben die Europรคer sich nach einem Amerika gesehnt, das es so in der Realitรคt nie gab. Es war ein Traumland, gebaut aus den Geschichten etlicher Autoren, die in diesen neuen Kontinent all das hineinhofften, was ihnen am alten Europa zu eng, zu klein, zu bieder schien.
Aber: โThereโs no home / Thereโs no hopeโ. Erst recht, wenn einer die Kunst der Selbstvermarktung nicht beherrscht und voller Scham ist, voller Selbstzweifel wie Kafkas Held. Und wie Kafka selbst. Davon leben ja seine Geschichten, von diesem funkengenauen Nachspรผren nach menschlicher Verunsicherung in einer Welt, die sich auch fรผr Kafka schon amerikanisierte.
Ganz offiziell erscheint die CD โAmerikaโ am 15. Mรคrz bei Indies Scope.
Und allen, die diese beeindruckende Band selbst erleben wollen, sei der 20. Mรคrz in der Schaubรผhne Lindenfels ans Herz gelegt, der auch gleich noch die inoffizielle Erรถffnung des Gastlandauftritts der Republik Tschechien ist. Beginn des Konzerts ist 21 Uhr in der Schaubรผhne Lindenfels Karl-Heine-Str. 50. Eintritt: Tageskasse/Abendkasse, VVK/AK: 18,- / (erm. 16,- Euro).
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 64: Kopf hoch oder โStell dir vor, die Zukunft ist jetztโ
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