Ein Zeitalter geht zu Ende. Eigentlich wissen es alle – aber Menschen sind eine seltsame Spezies: Sie können nicht aufhören, wenn ihre Sucht angefixt ist. Udo Köpkes Buch bindet drei große Geschichten zusammen, die selbst Journalisten und Politiker oft nicht zusammenbringen, obwohl sie alle zusammengehören: den entfesselten Kapitalismus, den Klimawandel und das absehbare Ende des Ölzeitalters. Denn Kapitalismus ist Ölzeitalter. Und was dann?
Das gehört dann möglicherweise zu all den dunklen Erwartungen, die heute so viele Menschen in Panik versetzen. Sie wissen nicht, was dann kommen soll, sie sind auf ein Konsumentenleben fixiert, in dem sie alles jederzeit zu jedem Preis bekommen können. Sie sind an eine Welt gewöhnt, die auf der konzentrierten Energie des Erdöls basiert. Ohne Erdöl wird die komplette westliche Wirtschaftsweise zusammenbrechen. Und selbst die Ölkonzerne geben dem förderbaren Erdöl keine 50 Jahre mehr.
Knapp und teuer wird es schon viel früher. Die meisten großen Ölfelder haben ihren „Peak Oil“ längst überschritten, der Aufwand zur Förderung der Restmengen wird immer größer. Was Udo Köpke, Volkswirtschaftslehrer von Beruf, sehr anschaulich erklärt. Nebst der nicht unwichtigen Tatsache, dass die heutigen Rohstoffpreise in keiner Weise die Knappheit der Rohstoffe verraten.
Gerade die rücksichtslose Ölpolitik der Bush-Regierung hat die Ölmärkte – so scheint es – noch einmal so richtig mit „billigem Sprit“ geflutet, sodass sich auch das Gefühl wieder breitmachte, dass das Nutzen dieser herrlichen Energie noch ewig so weitergehen wird.
Aber da der Preis weder die tatsächliche Knappheit und auch nicht den Aufwand der immer teureren Förderung widerspiegelt, wird das Problem Öl wohl eher als sehr unangenehme Überraschung auf den Markt kommen. Die Preise werden zu galoppieren beginnen, der bislang immerfort steigende Weltbedarf nicht mehr zu decken sein. Das kann schon ziemlich bald passieren. Und dann?
Dann steht das gesamte westliche Wirtschaftssystem infrage, denn alles, was die Wirtschaft des Westens seit ungefähr 200 Jahren derart beschleunigt hat, beruht auf der Verfügbarkeit von Erdöl. Köpke deutet nur ganz vorsichtig an, was alles daran hängt – vom heutigen PS-starken Autoverkehr über einen Großteil der Pharmaindustrie bis hin zur Landwirtschaft, der komplette Luftverkehr (womit fliegen Flugzeuge dann?), der komplette Schiffsverkehr bis hin zu den riesigen Container-Linien, die Waren, Halbprodukte und Rohstoffe permanent rund um den Erdball schippern.
Nur so als beiläufiger Gedanke: Die Globalisierung ist mit dem Ende des Ölzeitalters eigentlich tot. Es gibt keinen billigen Ersatzstoff, der diese riesigen Transportflottilien dann weiter betreiben könnte. Und dasselbe gilt für den größten Teil des LKW-Verkehrs. Den Deutschen scheint nicht einmal zu schwanen, wie viel eigentlich am Erdöl hängt.
Denn mit dem Erdöl verschwindet auch die Rohstoffbasis für sämtliche Kunststoffprodukte. Da geht es dann nicht nur um Plastiktüten, da geht es um fast alle Supermarktverpackungen, um Zahnbürsten, Elektrogeräte und Spielzeug, selbst um Isolationen für Stromleitungen. Mit anderen Rohstoffen – etwa Kohle – ist all das nicht im Ansatz zu kompensieren.
Was Köpke nicht extra betont. Er wird einem schlicht bewusst, wenn er die Ölwirtschaft unter volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt analysiert und dabei eben nicht nur merkt, dass der ganze Turbokapitalismus mit seiner enormen Ressourcenverschwendung ohne Erdöl gar nicht funktioniert.
Das Tragische dabei ist nicht mal nur der Klimawandel, zu dem die Verbrennung des fossilen Rohstoffs massiv beiträgt. Die powerstarke Mobilität mit Verbrennungsmotoren ist ja wie eine Droge für die Industriegesellschaften. Wenn man in Deutschland auch nur andeutet, die sogenannte Freiheit der Autofahrer eingrenzen zu wollen, kommen ganze Regierungen ins Rutschen.
Obwohl das Verschleudern eines derart energiereichen Brennstoffs für simple individuelle Bedürfnisse weniger Generationen geradezu ein Narrenstreich vor der Menschheitsgeschichte ist. Spätere Generationen werden die unsere zu Recht verdammen, weil wir diesen kostbaren Rohstoff so sinnlos verbrannt haben.
Und selbst das Predigen von Spritsparen hat ja nichts geholfen. Die Deutschen sind nicht von Spritfressern auf sparsame kleine Autos umgestiegen, sondern auf spritfressende noch stärkere und größere Autos. Alle Effizienzgewinne wurden durch Gewicht und Motorstärke wieder aufgefressen. Und das Öl natürlich gleich mit.
Und das ist kein Fehler im System, sondern die Urnatur dessen, was wir Kapitalismus nennen. Es ist eine Wirtschaftsform, die ihre größten Renditen erwirtschaftet, wenn sie möglichst viele Rohstoffe möglichst schnell in Abfall verwandelt, die Konsumquote also massiv beschleunigt und damit erst dafür sorgt, dass die Menschen die Ressourcen der Erde binnen weniger Generationen verbrauchen.
Udo Köpke geht noch weiter. Denn dass es derzeit nichts und niemanden zu geben scheint, der diesen Irrsinn stoppt und wieder in vernünftige Bahnen lenkt, hat mit der Schwäche der Staaten zu tun. Sie waren nicht immer schwach. Aber spätestens mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan gewann eine ideologische Richtung massiven Einfluss auf alles Regierungshandeln, die unter dem Namen „Neoliberalismus“ bekannt ist.
Beschreibbar mit Schlagworten wie Deregulierung, Privatisierung, Primat des „Marktes“. Im Titel wird es dann zur „Vergötterung der Märkte“. Den „Märkten“ werden regelrecht Selbstheilungskräfte zugeschrieben.
Aber an dutzenden Beispielen zeigt Köpke, dass Märkte dazu gar nicht in der Lage sind. Sie sind ja keine Personen oder handlungsfähige Akteure. Sie sind Orte, auf denen Preise ausgehandelt und Produkte abgesetzt werden, auf denen um Marktanteile gefochten wird – und zwar bis aufs Messer. Märkte sind Schlachtfelder. Und ihre Akteure gehen über Leichen. Und das ist nicht nur symbolisch gemeint. Sie lassen Armeen marschieren, wenn es um ihre Interessen geht. Die Erdölkriege der USA sind das beste Beispiel dafür.
Das Problem dabei ist: Es gibt kaum noch eine Regierung, die sich nicht dem neoliberalen Denken unterworfen hat. In Deutschland fasste es spät Fuß – aber seit den 1990er Jahren hat es fast die gesamte politische Elite erfasst. Es steckte in Gerhard Schröders neoliberalen Reformen und den Steuererleichterungen für die Superreichen genauso wie in Angela Merkels „alternativlos“.
Und alternativlos war immer das Interesse der großen Konzerne, die Deutschland so wichtig sind – der Banken, die mit Milliarden Euro gerettet wurden, der Autobauer, der Energiekonzerne, der Pharmakonzerne usw. Konzernmitarbeiter und bezahlte Kanzleien schreiben Gesetze, Lobbyisten haben direkten Zugang in fast alle Ministerien.
Das Denken hat sich in den letzten 30 Jahren so fest auch in den Medien und Wirtschaftslehrstühlen verankert, dass die jüngeren Generationen gar kein anderes mehr kennen und den heutigen Zustand mit „sozialer Marktwirtschaft“ verwechseln, obwohl er damit gar nichts mehr zu tun hat.
Natürlich kann Köpke auch andeuten, wie dieses „Markt“-Denken auch das soziale Vertrauen zerstört. Denn in so einer neoliberalen Gesellschaft bleibt kein Gesellschaftsbereich mehr dem Zugriff der Vermarktung entzogen. Alles wird zur Ware gemacht. Selbst mit Umweltzerstörung werden Gewinne erwirtschaftet. Und die, die diese Ideologie für sich akzeptieren, benutzen den Ellenbogen, machen den permanenten Wettbewerb zu ihrem Lebensinhalt. Dass damit die Verachtung für all die „Minderleister“ einhergeht, die nicht stark genug sind, über Schwächere hinwegzutrampeln, gehört dazu.
Genau hier geht der Riss durch die Gesellschaft – und versagt zunehmend der Sozialstaat. Denn damit wird auch wertvolle Arbeit, ohne die die Gesellschaft nicht mehr funktioniert, entwertet. Und zu diesem Weltbild gehört natürlich auch die böswillige Behauptung von den „Sozialschmarotzern“, die völlig negiert, dass Arbeit für alle Menschen ein Grundbedürfnis ist, ein Teil ihrer sozialen Teilhabe.
Man muss nicht lange rätseln: Die populistischen Bewegungen von heute sind nicht die Ursache der Schieflage, sondern ihr Ergebnis. Sie gedeihen direkt auf dem Boden einer Marktideologie, in der der Kampf aller gegen alle zur Grundmaxime erklärt wird und das Produzieren von Gewinnern – und Verlieren – zum Gesetz.
Und das funktioniert auch deshalb so gut, weil staatliche Monopole massiv unterlaufen wurden. Auf einmal haben wir Banken und Autokonzerne, die „to big to fail“ sind, so groß, dass kein Staat die Macht hat, sie mitsamt ihren weltzerstörerischen Aktivitäten vom Markt auszuschließen.
Ganz am Ende seines Buches, mit dem Udo Köpke vor allem die massive Dominanz des neoliberalen Denkens auf deutschen Wirtschaftslehrstühlen infrage stellt (mitsamt den fatalen Folgen für die Wirtschaftsberichterstattung), deutet er zumindest an, wo wir tatsächlich Handlungsoptionen haben. Nichts ist alternativlos. Auch wenn wir den dramatischen Folgen des Klimawandels und denen des Verschwindens billigen Erdöls nicht mehr entkommen.
Beide erreichen uns in wenigen Jahren. Und Tatsache ist: Wir haben nicht vorgesorgt, obwohl wir seit 1972, seit der Erstveröffentlichung von „Die Grenzen des Wachstums“ alles Nötige wissen, um gegenzusteuern, unser Verhalten zu ändern und wieder das in den Mittelpunkt der Politik zu stellen, was uns – wissenschaftlich nachweisbar – tatsächlich glücklich macht.
Denn das Konsumieren in der Art, wie wir es heute treiben, zerstört nicht nur die Welt – es macht uns nicht mal glücklich. Denn es ist nur Ersatz für die Bestätigung, die wir als fühlender Mensch augenscheinlich nicht mehr bekommen. Da hilft keine Shopping-Tour, kein neues Eigenheim, kein schickes Auto und auch kein neuer Supermixer in der Küche.
Und während das (steuerersparte) Kapital immer wilder und gieriger um den Globus jagt und die nächste Finanzkrise droht, fehlt den düpierten Staaten das Geld fürs Eigentliche: für Schulen, Krankenhäuser, ordentlich bezahltes Pflegepersonal, für Lehrer und ein wirklich leistungsfähiges und gerechtes Bildungssystem. Wir könnten so reich sein – würden wir nicht von einer neoliberalen Ideologie regiert, die die Raubitter der „Märkte“ geradezu vergöttert.
Es ist eigentlich das Buch für alle, die wieder daran erinnert werden wollen, dass der Neoliberalismus niemals alternativlos war. Dass er aber dazu geführt hat, dass unsere Gesellschaft immer kälter, asozialer und ruppiger geworden ist. Und dass gewählte Politiker lieber auf warme Aufsichtsratsposten wechseln, als auch nur ein bisschen Mühe darauf zu verwenden, die Gesellschaft wieder gerechter, gesünder und lebenswerter zu machen.
Udo Köpke Die Vergötterung der Märkte, Büchner Verlag, Marburg 2018, 22 Euro.
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