Um wenig wird in unserer Gesellschaft so viel Bohei gemacht wie um das Thema Sex. Allüberall wird es ausgewalzt, klebt es an Plakatwänden, macht Fernsehen zur Anmache. Die ganze Gesellschaft scheint in Sex zu wabern. Aber in Wirklichkeit wissen die meisten gar nichts über Sex. Denn wirklich aufgeklärt wurden sie nie. Das müsste sich ändern, fand die Sexualpädagogin Katharina von Gathen.
Schon vor drei Jahren. Da veröffentlichte sie im Klett Kinderbuch Verlag das große Eltern-Rettungs-Blätter-Werk „Klär mich auf!“ mit 101 richtigen, wichtigen und peinlichen Fragen von Kindern zur Sexualität. Fragen, die Kinder immer wieder stellen und Eltern damit in die Bredouille bringen, weil die so offen über all die Dinge rund um die Fortpflanzung nie gesprochen haben. Und auch nicht gesprochen wird in unserer Gesellschaft. Denn mit Sex wird man zwar an jeder Ecke blöde angemacht – aber in Wirklichkeit ist unsere Gesellschaft noch genauso verklemmt wie vor Luthers Zeiten.
Und das hat auch mit einem hundsmiserablen biologischen Grundlagenwissen zu tun. Das sich noch verschlechtern wird, weil Tiere in unserer Umwelt immer seltener vorkommen. Wir zerstören nicht nur ihre Lebensräume, wir machen Landschaften regelrecht clean, räumen alles raus, was sich da wie wild vermehrt, egal, ob es Hasen, Feldlerchen, Wölfe oder Falter sind, Spinnen, Sperlinge oder Hamster. Deswegen ist oft der Zoo die letzte Domäne, in der Kinder etwas anderes sehen als kastrierte Katzen oder Hunde. Und Tiere auch bei Tätigkeiten erwischen, die man sonst nirgendwo zu sehen bekommt, obwohl sie das Elementarste am Leben sind.
Denn beim Leben geht es immer nur um eins. Nein, nicht um Sex.
Um Fortpflanzung. Der Sex ist manchmal ganz überflüssig, werden neugierige Kinder beim Durchblättern dieses Buches entdecken, das genauso aus der täglichen Arbeit von Katharina von der Gathen entstanden ist wie „Klär mich auf!“. Denn Kinder wollen erklärt bekommen, was sie sehen. Vielleicht auch im Fernseher, über den sie meist kennenlernen, was von der Vielfalt der Welt noch übrig ist. Wenn es solche Sendungen über das Leben und Lieben der Tiere überhaupt noch gibt in ihrem Alltag.
Und wieder hat sich die Frau mit dem großen Wissen über das Fortpflanzen eine Unterstützung geholt mit der Zeichnerin Anke Kuhl, die zu all den kleinen Geschichten freche Bilder erstellt hat, in denen allerlei Tiere recht verblüfft dreinschauen, wie sie da in zuweilen sehr skurrilen Situationen erwischt wurden.
Und vielleicht fühlt sich das eine oder andere Kind beim Lesen an den Biologie-Unterricht erinnert. Wenn das da alles noch vorkommt, was man so langsam bezweifelt. Denn eigentlich braucht so was mindestens ein komplettes Schuljahr. Denn es geht ums blanke Leben, um all das, was Tiere anstellen, um am Ende ihre Gene weiterzugeben und die biologische Vielfalt auf Erden zumindest zu erhalten. Wenigstens die eigene Art. Und das ist nicht leicht, weil es immer ein Wettbewerb ist. Den ein gewisser Charles Darwin nicht erfunden hat, sondern entdeckt. Weil er unbedingt wissen wollte, warum Tiere und Pflanzen sich ständig verändern und auch an neue Lebenswelten anpassen können.
Und der Mechanismus, der dabei wirkt, ist die fortwährende Zuchtwahl, wie es in einem seiner Buchtitel heißt. Denn immerfort wird rings um uns an der Fortpflanzung und Vermehrung gearbeitet. Und weil alle die besten Nachkömmlinge haben wollen, haben sich überall lauter seltsame Rituale ausgebildet, mit denen die Tiere umeinander werben – meistens die Männchen um die Weibchen – ihre Kraft und Schönheit darstellen – aber vor allem ihre Gesundheit. Denn nur die Gesündesten haben auch die besten Überlebenschancen.
Und deshalb wird um Aufmerksamkeit gerungen, wird gebalzt, getanzt, geduftet und gesungen. Jede Spezies hat ihre Eigenarten entwickelt, die nur uns Menschen seltsam vorkommen. Zur Lebenswelt der Tiere, von denen Katharina von Gathen erzählt, passen die Rituale meistens perfekt. Und gerade weil das oft so unterschiedlich aussieht, lernen die kleinen Leser (empfohlen ab 8 Jahre), worum es immer geht und warum sich alle so anstrengen und darum kämpfen, sich paaren zu dürfen. Natürlich fehlt das Augenzwinkern nicht, denn in vielem erkennt man Menschliches und nur Allzumenschliches wieder.
Wir verbergen es nur immer wieder, wenn wir so tun, als wäre es nicht so, als ginge es in menschlichen Beziehungen nicht um Balz, Kraftproben, Paarung und die gemeinsame Aufzucht der Kinder. Mit allen Tricks und Täuschungen. Und natürlich hört die Autorin nicht auf, wenn die Männlein und Weiblein sich bekommen haben und die Befruchtung passiert ist. Natürlich geht es um Befruchtung. Um nichts anders, egal wie. Hauptsache, es funktioniert und neue Geschöpfe können heranwachsen, ausgebrütet oder geboren werden. Und auch beim Schlüpfen der Kleinen hört das Buch nicht auf, beleuchtet auch die (oft genug sehr kurze) Phase des Kinderlebens und das, was bei einigen Tieren als Familienleben passiert, während andere gar keine Familie kennen. Oder nach all der Aufregung sogar verjagt werden und allein durch die Wälder streifen müssen, weil sie sonst selbst dem Nachwuchs gefährlich werden.
Die Texte sind so geschrieben, dass man immer wieder augenzwinkernde Verweise aufs menschliche Liebes- und Familienleben bekommt. Denn natürlich deuten wir das Meiste, was wir da in der „freien Natur“ sehen, mit menschlichen Erfahrungen – egal, ob es um Kuckuckskinder geht, Regenbogenfamilien oder Treue. Anders als Menschen denken Tiere wahrscheinlich über all das nicht nach. Sie tun es einfach, werfen sich ins Getümmel und versuchen den ganzen „struggle for life“ irgendwie für sich zu entscheiden und ihre Gene wieder einzuspeisen in den großen Gen-Pool (um mal wieder Richard Dawkins zu zitieren), denn nur Gene, die erfolgreich weitergegeben wurden, bleiben im Pool, sorgen für die Entstehung neuer kleine Löwen, Pinguine, Meeresschildkröten oder Stechmücken.
Man begegnet in diesem Buch natürlich auch einigen Tieren, die eher zu den (aus menschlicher Sicht) unangenehmen Zeitgenossen gehören. Aber sie alle erfüllen eine wichtige Rolle im Ökosystem, sorgen für die ganzen Stoffkreisläufe, ohne die die anderen nicht existieren könnten. Auch wir nicht.
Der Mensch versucht sich ja immer irgendwie als Ausnahmeerscheinung und Krone der Schöpfung zu begreifen – aber tatsächlich ist auch er nur Teil dieser fortwährenden Kreisläufe, in denen neues Leben geboren wird und sich paart und vermehrt und stirbt, während die Nachkommen sich schon längst wieder paaren und vermehren usw. Und der Mensch ist darauf angewiesen, dass das ringsum ständig so weitergeht.
Man kann es den Kindern eigentlich gar nicht früh genug zeigen, weil sie so lernen zu verstehen, wie Leben entstand und immer aufs Neue entsteht. Und auch, warum es so vielfältig ist und immerfort nur an eines denkt: neuen Nachwuchs zu machen. Damit es weitergeht. Immer weiter.
Eigentlich ein Buch für Eltern und Kinder, die gemeinsam staunen und lachen wollen über all die Verrücktheiten, die Tiere so anstellen, um wieder neue kleine putzige Tierchen zu erzeugen. Manchmal ganz viele, manchmal auch nur eins oder zwei. Und sich sorgend aufopfern für nichts anders, obwohl sie doch bei der Gelegenheit auch mal eine Kreuzfahrt machen könnten. Aber machen sie nicht. Sie machen immer weiter. Zum Glück, muss man sagen. Und zur Freude der Beobachter, die durchaus klein und verflixt neugierig sein können. Denn eigentlich animiert Katharina von der Gathen die Leser genau dazu: Hinzugucken und neugierig zu sein. Zum Beispiel mit Sätzen wie diesen: „Marienkäfer lieben Sex! Sobald sie ihre Winterruhe beendet haben, fangen sie an, sich zu paaren.“
Und dabei hat man doch die süßen Käferchen eben noch für unschuldig gehalten. Die also auch!
Man fasst es nicht. Oder man lernt mit diesem bunten, wimmelnden Blick in die Tierwelt die eigene Welt mit anderen Augen zu sehen und dabei zu entdecken, dass es im Leben immer nur um eins geht.
Katharina von der Gathen Das Liebesleben der Tiere, Klett Kinderbuch Verlag,Leipzig 2017, 18 Euro.
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