Der Leipziger Autor und Dichter Ralph Grüneberger hat ein ganz besonderes Steckenpferd für sich entdeckt: die Leipziger Maler. Und zwar nicht irgendwelche und schon gar nicht die üblichen Verdächtigen aus der (Alten) Leipziger Schule und der Neuen Leipziger Schule, über die alle so gern reden, wenn sie an das Kunstpflaster Leipzig denken. Aber was ist eigentlich mit all denen, die in aller Stille für ein anderes, weniger publicity-trächtiges Leipzig stehen?

Wir werden sie hier nicht alle aufzählen. Wenn Ralph Grüneberger bei der Stange bleibt und auch weiter Verlage wie den Projekte Verlag mit seiner Edition Cornelius findet, dann kann sie jeder kennen lernen, der noch neugierig genug ist. Er könnte sich auch direkt anlehnen an die Ausstellungen, die das Stadtgeschichtliche Museum in seinem kleinen Kabinett und – eher seltener – auch im großen Ausstellungsraum im Böttchergässchen gestaltet mit jenen Künstlern, die in Leipzig seit Jahrzehnten auf hohem Niveau arbeiten, vorzugsweise auch mit dem Stadtbild als Motiv, was dann natürlich auch die Sammelarbeit des Museums ergänzt.

Der Fingerzeig kommt automatisch. Und natürlich stimmt er auch. Eigentlich wäre so eine Arbeit eher im Nachbarhaus, dem Museum der bildenden Künste zu erwarten. Ältere Leipziger können sich wohl noch an mehrere Ausstellungen am alten Standort, dem heutigen Bundesverwaltungsgericht, erinnern, die – lebenden – Leipziger Malern gewidmet waren. Und zwar nicht nur Tübke, Mattheuer und Heisig. Sondern auch ihren Altersgenossen und ihren Schülern, die thematisch und stilistisch teilweise andere Wege gingen.

Manche – wie Gert Pötzschig – aus bewusster Entscheidung. Denn was eine doktrinäre Kunst bedeutet, das hat er als Student der HGB (die damals noch Leipziger Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe hieß) unter Rektor Kurt Maßloff erlebt. Damals entschied er sich, sich als Künstler ganz auf Landschaftsdarstellungen zu spezialisieren, um gar nicht erst in die leidigen Diskussionen um die gerade richtige künstlerische Haltung zu kommen. Landschaften verlangen keine parteiliche Aussage. Und selbst hochdekorierte Parteibonzen fangen vor solchen Bildern nicht an, die inszenierte Aussage zu diskutieren.Kunstexperten suchen dann eher die Wurzeln. Die Pötzschig auch sehr gut benennen kann. Es fallen auch etliche Namen im Buch – von Corot über Turner bis van Gogh. Seine Maßstäbe hat Pötzschig, der 2008 zu seinem 75. Geburtstag seine Personalausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum bekam, von Anfang an hoch gelegt. Und wer seine Bilder betrachtet, sieht, wie er sich in seine Themen hineinarbeitet, vor allem aber auch, wie er mit Licht und Farbtönen zaubert. Seine Leipzig-Bilder gehören zum Eindrucksvollsten, was von dieser Stadt je gemalt wurde.

Wer natürlich hübsche Postkartenmotive erwartet, ist bei ihm falsch. Er liebt gerade die schattigeren Quartiere weitab vom Zentrum. Das brüchige, vom Verfall bedrohte Leipzig. Deswegen frappiert auch die “Pompejanische Ansicht”, die er 2000 malte: Sieht sie nicht wie eine Leipziger Stadtlandschaft aus? Mit wachem Blick hat er immer das Wesentliche gesucht, den eigentlichen Charakter der Dinge, die er im heimischen Atelier zu bannen versucht.

Grüneberger hat ihn besucht am Stephaniplatz, wo er heute lebt und arbeitet. Hat mit ihm über das Malen gesprochen, seine Haltung zu Kunstbetrieb, die Motivsuche und die eigene Geschichte. Immerhin hätte auch diese Karriere eine andere sein können, hätte Pötzschig nicht früh das Stirnrunzeln der Funktionäre gemerkt, als er in den 1950er Jahren seine Bilder zur Kleinmesse schuf. War ihnen das zu viel des prallen Lebens, zu viel Wirklichkeit? Immerhin eine Frage, die 40 Jahre lang über der DDR-Kunst-Geschichte schwebte und Malern das Leben genauso versauerte wie Dichtern und Fotografen. Die Menschen lebten zwar alle ihren Alltag zwischen und hinter den pompösen Kulissen – nur zeigen durfte man es nicht.Pötzschig zeigte es trotzdem. Dann halt ohne Menschen. Wer seine Bilder und seine Grafiken sieht, merkt es bald: Er braucht die Menschen nicht dazu. Wer van Gogh für den Größten hält, der weiß, was Bilder alles erzählen, auch wenn scheinbar nur Flussufer, Regentage, leere Straßen im Industrieviertel, Kanäle, leere Bahnsteige darauf zu sehen sind. Leipzig selbst ist ja eine von Menschen geformte Landschaft. Sogar eine besondere Note. Die Leipziger “Landschafts”-Maler der vergangenen Jahrzehnte haben es oft mit bedrohlicher, oft auch mit wärmeerfüllter Farbenfreude erzählt. Eine Frühlingsstadt war Leipzig bei ihnen allen nicht. Für Pötzschig dominieren die Herbstfarben.

Oder sollte man besser sagen: die Herbststimmung? Denn auch seine Grafiken haben diese Schwere des Vergänglichen, Grafiken, die nicht zufällig an die von Rembrandt erinnern. Gelernt hat Pötzschig das noch bei Karl Krug, der zu seiner Zeit als Student die Werkstatt für Radierung und Kupferstich an der HGB leitete – und den Studenten professionelles Handwerkszeug und höchste Maßstäbe beibrachte. Ralph Grüneberger sorgt mit diesem Buch auch für die (Wieder-)Entdeckung des Grafikers Pötzschig. Die Monografie ist reich gespickt auch mit Grafiken. Aber auch farbige Bilderstrecken sind drin, die dem Leser die gemalte Bilderwelt des Malers zeigen, der in seiner Studienzeit noch mit den malerischen Vorbildern des “sozialistischen Realismus” ringen musste (Leibl, Menzel, Repin), dies aber keineswegs bereut, denn Technik konnte man an diesen Vorbildern immer lernen. Aber ein Künstler bleibt ja nicht stehen an so einem Punkt, sondern sucht lebenslang weiter nach Geistesverwandten – Cezanne und Leger nennt Pötzschig in seinem eigenen Beitrag “Anspruch und Maßstab” als nächste Wegbegleiter, gefolgt von Turner und van Gogh.

Und er kopiert nicht. Wer wirklich sehen und malen lernen will, der versucht an solchen Vor-Bildern zu begreifen, wie Komplexität entsteht, wie man mit Farben, Pinseln, Details und Komposition an den Punkt kommt, an dem ein Bild auf einmal stimmt und fertig ist. Das kann ein schneller und fast berauschter Zustand sein – oder ein quälend langer Prozess.

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Die Käufer haben durch ihre Treue eigentlich immer bestätigt, das Pötzschig das Gewollte erreichte. Er erwähnt fast am Rand die kleine Anekdote von den Experten, die vor den großen Aufregern der politischen Kunstmalerei ihre Reden und Aufsätze schwangen, in ihre Arbeits- und Wohnzimmer aber lieber Bilder von Pötzschig hängten. Manchmal kann das so einfach sein. Ralph Grüneberger gibt mit dieser Monografie über einen stillen, aber wohl gerade deshalb auch typischen Leipziger Künstler einen stimmigen und einfühlsamen Werkstatteinblick. Und in einer Position sind sich Autor und Künstler natürlich wesensverwandt. Auch diesen Satz hat Pötzschig selbst formuliert: “Ohne das Verständnis für künstlerische Tradition ist moderne Kultur nicht lebensfähig.”

Das könnte man so einigen Leuten ins Stammbuch schreiben. Aber es wird wohl wahrscheinlich so sein wie in Zeiten des protzigen “sozialistischen Realismus”: Sie werden es gar nicht verstehen und einfach weitermachen. Was auch eine Art Heimatlosigkeit ist.

Ralph Grüneberger “Gert Pötzschig. Den Blick zu haben. Eine Monographie”, Edition Cornelius, Halle 2013, 29,50 Euro

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