Während Leipzig sich, irgendwie aus Platznot geboren, in diesem Jahr im wesentlichen auf zwei große Jahrestage konzentriert - Wagners 200. und den 200. der Völkerschlacht, ging der 150. Geburtstag der SPD im Wagner-Trubel fast unter. Was nicht nur an Leipzig lag, sondern auch an der SPD des Jahres 2013. Irgendetwas fehlt da. Auf jeden Fall ein Mann wie August Bebel, dessen Todestag sich am 13. August zum 100. Mal jährt.
Was einen dann wieder an Florian Illies’ beeindruckenden Besuch in jenem Vorkriegsjahr “1913 – Der Sommer des Jahrhunderts” erinnert. Aber auch an eine keineswegs zufällige Schwerpunktsetzung in der 2011 eröffneten Dauerausstellung zur Leipziger Moderne im Alten Rathaus, wo das Jahr 1913 besonders hervorgehoben wird: “Das Jahr 1913 – Stolz und Selbstbewusstsein einer Metropole”. Wobei diese Fokus natürlich deutlich macht, wie sehr auch die Leipziger ihre Vergangenheit gern verklären. Denn 1913 schwebte das Damoklesschwert eines europäischen Krieges mit modernen Vernichtungswaffen längst über dem Kaiserreich. Und keiner hatte es in den Vorjahren deutlicher gesagt als August Bebel.
Er kannte seine Pappenheimer. Und er kannte auch seine Genossen. Wer sich im Jahr 2013 mit August Bebel beschäftigt, erlebt erstaunliche Überraschungen. Die Sorgen, die die heutige SPD plagen, kannte Bebel aus eigener Praxis bestens. Auch die frühe SPD war zerrissen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Vision und politischer Realität. Mit dem Unterschied: Sie hatte noch eine Vision. Und Marx und Engels steckten nicht nur im Programm, August Bebel war mit den beiden Burschen in London per Du. Und Leipzig spielt in dem Ganzen eine elementare Rolle.
Nicht nur durch die Gründung des ADAV 1863 in Leipzig, dessen Vorsitzender Ferdinand Lassalle wurde, mit dem Marx und Engels so überhaupt nicht konnten und der ein Jahr später schon in einem Duell zu Tode kam, sondern auch als Schmelztiegel der liberalen Bewegungen Deutschlands. August Bebel, der 20-jährig im Jahr 1860 nach Leipzig kam, um sich hier eine Existenz als Drechsler aufzubauen, startete seine politische Karriere mit dem Eintritt in den Leipziger Arbeiterbildungsverein. In Leipzig lernte er seinen langjährigen Freund Wilhelm Liebknecht kennen, hier lernte er auch seine Frau Julie kennen, hier errang er mit der Sächsischen Volkspartei 1867 sein erstes Mandat für den Reichstag des Norddeutschen Bundes.
Hier hielt ihm Julie den Rücken frei, als er seine diversen Haftstrafen antreten musste – 1874 zum Beispiel die wegen Hochverrats. Denn gelebt hat Bebel ja in dieser frühen Zeit nicht von seiner politischen Arbeit, sondern vom erfolgreichen Betrieb seiner Leipziger Horndrechslerei, deren Leitung Julie übernahm, wenn er nicht da war. Und er war oft nicht da. Schmidt schildert in seiner Biographie, wie Bebel in diesen frühen Jahren zum Politiker reifte, wie er sich das Wissen dazu aneignete. Denn mitbekommen hatte er es ja nicht. Leute wie Marx, Engels, Lassalle hatten allesamt studiert. Bebel stammte aus prekären Verhältnissen, war Sohn eines preußischen Unteroffiziers, geboren in der Festung Deutz im heutigen Stadtgebiet von Köln.
Er war gleich nach seiner Haftverbüßung 1875 einer der Mitgestalter der Vereinigung des Lassalleschen ADAV mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) in Gotha. Zuerst hieß die Partei nun ganz simpel Sozialistische Arbeiterpartei – erst 1890 – nach Auslaufen des “Sozialistengesetzes”, mit dem Bismarck versucht hatte, das Erstarken der Sozialdemokratie zu verhindern, benannte sich die Partei um in Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Da lebte Bebel mit seiner Familie schon in Berlin. 1884 waren sie aus Leipzig weggezogen. Wer die Spuren der Leipziger Zeit sucht, findet nicht viel. Der Eiertanz um den Gedenkstein für die Gründung des ADAV in der Dresdner Straße erzählt genug über die Leipziger Schwierigkeiten mit seiner linken Geschichte.
Bebel hätte das nur zu gut verstanden. Wie gesagt: Er kannte seine Pappenheimer. Seine Werkstatt hatte er übrigens anfangs in der Petersstraße 18, später in der Hauptmannstraße, praktisch gleich neben der Lassallestraße, die damals noch Bismarckstraße hieß. Man war sich durchaus nah. Auf grimmige Art. Die Parteien konnte Bismarck verbieten, die Abgeordneten nicht. 1881, als Bebel und Liebknecht nach einer der vielen Staatsmaßnahmen gegen sie aus Leipzig verwiesen wurden und in Borsdorf Quartier nahmen, wurde Bebel in den sächsischen Landtag gewählt.
Die Arbeiterschaft, die in der entstandenen Partei ihre Wünsche verkörpert sah, wählte ihre Kandidaten auch trotz “Sozialistengesetz”. 1890 saßen dann so viele im Reichstag, dass das “Sozialistengesetz” nicht mehr die nötige Mehrheit fand. Mit seinem Anspruch, ein Land auch auf dem parlamentarischen Weg zu verändern, lag Bebel so falsch nicht, auch wenn die SPD zu seiner Zeit nie auch nur in die Nähe von Regierungsverantwortung kam.
Aber den Spagat kannte Bebel nicht nur, er ging damit um. Denn die Flügel, wie sie die heutige SPD kennt, entstanden alle schon zu Bebels Zeit. Am Bekanntesten wurden immer die Reformisten und die Radikalen. Der Reformismusstreit in den 1890er Jahren drohte die SPD schon damals zu zerlegen. Bebel griff die Reformisten um Eduard Bernstein immer wieder heftig an – band sie aber trotzdem immer wieder ein. Schmidt spricht von Bebels hohem Arbeitsethos, den er wohl mit den meisten führenden Köpfen seiner Partei teilte. Man kniete sich nicht nur in die parlamentarische Arbeit, sondern auch in die zehrende Konfliktbewältigung innerhalb der Partei. Gegen die SPD der Bebel-Zeit ist die heutige SPD ein verschlafener Haufen. Was auch daran liegt, dass Bebels Nachfolger keineswegs mehr die bindenden Talente hatten, wie sie Bebel besaß, der nicht von “Schulterschluss” redete, wie das heute in jedem Wahlverein üblich geworden ist, sondern für die Einheit seiner Truppe arbeitete und die Leute – auch wenn er sie nicht mochte – trotzdem in die Grundasatzarbeit einband.
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Aber die Zeit nach Bebel ist ein permanenter Aderlass gewesen: 1918 der erste, als der radikale Flügel um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (die Bebel alle beide für große politische Talente hielt) nach der Gründung der Spartakusgruppe ihre eigene Partei, die KPD gründeten. Was auch mit etwas zu tun hat, was die SPD nach Bebel verloren hatte – ihren politischen Willen zu Frieden und zur Abrüstung. Die Reden Bebels aus den 1890er Jahren wandten sich immer wieder gegen den zunehmenden deutschen Expanisionismus, die Aufrüstung, den forcierten Militarismus, den Kolonialismus. Das nahm zwar beim späten Bebel auch etwas andere Züge an. Aber die SPD und ihre Vorläuferorganisationen hatten auch unter Bismarck schon bewiesen, dass man Haushalte und Kriegskredite auch erhobenen Hauptes ablehnen konnte.
Schmidt stellt die durchaus berechtigte Frage, welchen Zugang die SPD kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs zu den wirklich relevanten Informationen zu Außenpolitik und Bewaffnung hatte. Es liegt nahe zu vermuten, dass die öffentliche Irreführung durch das Regierungskabinett und die Heeresführung auch das Parlament betraf. So dass Bebels Nachfolger womöglich einem Krieg zustimmten, über den sie nicht einen Bruchteil der relevanten Informationen hatten.
Den letzten großen Aderlass hat sich ja die SPD 2002/2005 organisiert, als die “Hartz IV”-Gesetze von der Schröder-Regierung umgesetzt wurden. Reihenweise verließen damals wichtige Vertreter des linken Flügels die SPD und landeten zumeist bei der WASG, die dann in der Linkspartei aufging. Allen voran ein streitbarer Bursche namens Oskar Lafontaine. Man kann über einiges spekulieren, was Bebel anders gemacht hätte, wenn er nach 1913 noch gefragt hätte werden können. Hätte er – wie Karl Liebknecht – 1914 gegen die Kriegskredite gestimmt? Den “Hartz IV”-Gesetzen jedenfalls hätte er nie zugestimmt, denn sie haben in vielen Fällen zurückgenommen oder in Frage gestellt, wofür Bebel und Genossen ein Leben lang gekämpft haben.
Auch wenn Bebel die Revolution wohlweislich aus dem Tagesprogramm genommen hat – obwohl er bis zuletzt davon überzeugt war, dass der von Marx prophezeite “Kladderadatsch” ziemlich bald passiert, war für ihn der parlamentarische Weg auch immer der Weg hin zu einer gerechteren Gesellschaft. Und mit seinem Buch “Die Frau und der Sozialismus”, das er 1877 in der Haft schrieb und richtig Geld verdiente, ging er auch ein Stückweit den Weg der Emanzipation. Aus heutiger Sicht nicht wirklich mutig – für seine Zeit aber durchaus. Zuweilen, so betont Schmidt, war Bebel durchaus auch eine widersprüchliche Figur seiner Zeit.
August Bebel. Kaiser der Arbeiter
Jürgen Schmidt, Rotpunktverlag 2013, 27,00 Euro
Und das mit dem “Kaiser” stammt auch nicht von ihm, sondern war die direkte Reaktion der Wähler, die ihn in all seiner Widersprüchlichkeit trotzdem als ihren Hoffnungsträger begriffen, als “ihren Kaiser” – auch wenn sein Begräbnis in Zürich nicht ganz so pompös ausfiel wie das seines Freundes Wilhelm Liebknecht zwei Jahre zuvor in Berlin.
Schmidts Biografie wird – weil er sich auf den Politiker August Bebel konzentriert – natürlich auch zu einem durchaus erhellenden Blick auf die politischen Konflikte seiner Zeit, die den Konflikten der Gegenwart auf erstaunliche Weise ähneln. Da glaubt man, man kommt mit einem Mordstempo voran in der Weltgeschichte – dabei sind die Schritte, die eine Gesellschaft dabei tatsächlich voran kommt, erstaunlich winzig. Man fühlt sich glatt an Günter Grass’ “Tagebuch einer Schnecke” erinnert. Und vermisst natürlich Typen wie Bebel in der heutigen Politik. Vielleicht sind echte politische Talente tatsächlich rar gesät. Viel zu rar.
Geheiratet hat der August seine Julie übrigens in der Thomaskirche.
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